NNIP Kolumne Gibt es noch Hoffnung für China? – Maarten-Jan Bakkum

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Wachstumsdynamik bleibt negativ – aktuell bereits (weit) unter der Fünf-Prozent-Schwelle

Maarten-Jan Bakkum, globaler Emerging Markets-Aktienstratege bei NN Investment Partners

 

Die Schwäche der EM-Asset-Märkte seit 2010 lässt sich zum größten Teil durch die konjunkturelle Abkühlung in China sowie die Sorge um systemische Risiken in der chinesischen Volkswirtschaft erklären. Erst kürzlich waren es vor allem die wirtschaftspolitischen Impulse in China sowie die damit einhergehende Hochstimmung am Markt, die die aktuelle Outperformance der Emerging Markets gegenüber den entwickelten Märkten (DM) auslösten. Bei unserer Reise nach China vor ein paar Wochen konnten wir vor allem folgende Trends beobachten: die zunehmende Sorge um die wirtschaftlichen Rahmendaten und die freudige Erwartung im Hinblick auf die geldpolitische Lockerung sowie die Kurserholung am Aktienmarkt. Dabei hatten wir auch die Gelegenheit zu Gesprächen mit Regierungsvertretern, Ortsbanken, Treuhandgesellschaften, Bauträgern, Botschaftern, Wirtschaftsführern in der Baustoffbranche sowie Rohstoffhändlern in Peking, Shanghai und Suzhou.

 

Im Folgenden skizzieren wir unsere wichtigsten Schlussfolgerungen. Insgesamt konnte die Reise unsere Bedenken nicht ausräumen, im Gegenteil. Sorgen machen uns vor allem: die konjunkturelle Schwäche, die Krise im Bau- und Rohstoffsektor, die erheblichen Kapitalabflüsse in jüngster Zeit, Zweifel an der Effektivität der wirtschaftspolitischen Lockerung sowie die steigende Verschuldung.

 

  1. Wachstumsdynamik bleibt negativ

 

Seit Q1 2010, als die stimulierende Wirkung des beispiellosen Wirtschaftsförderungsprogramms im Anschluss an die Lehman-Pleite nachließ, ist das Wirtschaftswachstum rückläufig. Die Gründe für die nachlassende Dynamik in China, die in den kommenden Jahren noch anhalten wird, sind mannigfaltig: weniger günstige demografische Entwicklung (die erwerbstätige Bevölkerung geht zurück), strukturell geringeres Wachstum des Welthandels, übermäßiger Anstieg der Verschuldung in einem ungenügend regulierten und undurchsichtigen Finanzsystem sowie Überkapazitäten in mehreren Schlüsselindustrien wie Stahl, Kohle und Immobilien.

 

Wir waren jahrelang der Überzeugung, dass die Zuwachsrate in China auf mindestens 5 % sinken muss, bevor an eine Stabilisierung zu denken sei. Laut amtlicher Daten ist das BIP-Wachstum gar nicht so weit von diesem Niveau entfernt. Im ersten Quartal des laufenden Jahres lag die annualisierte Zuwachsrate im Quartalsvergleich bei 5,3 %. Andere regelmäßig erhobene Daten sowie einige der verlässlicheren Statistiken, wie beispielsweise der Anstieg des Schienen-Frachtvolumens oder des Stromverbrauchs, deuten indes darauf hin, dass das Wachstum aktuell bereits (weit) unter der 5%-Schwelle liegt (siehe folgende Grafik). Dennoch halten die Entscheidungsträger an ihren hohen und unserer Ansicht nach unrealistischen Wachstumszielen fest. Sofern die Regierung ihre Vorgabe von 7 % BIP-Wachstum für 2015 ernst meint, muss ihr in den nächsten Quartalen eine erhebliche Steigerung gelingen, um das Ausgangsniveau von 5,3 % merklich zu übertreffen.

Auf diese künftigen wirtschaftspolitischen Impulse stützt sich die gegenwärtige Vorfreude am Markt. Die chinesische Bevölkerung glaubt an die Wachstumsziele der Regierung und ist überzeugt, man werde alles daransetzen, diese Ziele zu erreichen. Wir sind hier skeptischer und denken nicht, dass die Regierung um jeden Preis ein Wachstum von 7 % erreichen will. Bei einem Besuch in China im Oktober letzten Jahres sprachen wir mit mehreren Regierungsvertretern sowie einflussreichen Beratern, die rund 6 % als eine realistischere und damit erstrebenswertere Zuwachsrate nannten.

Schaut man sich also das Wachstum der chinesischen Wirtschaftsleistung an, so sind trotz der wirtschaftspolitischen Lockerung in den vergangenen Quartalen bislang keinerlei Anzeichen für eine Stabilisierung – geschweige denn eine Erholung – erkennbar. Einzig im Immobiliensektor gibt es Lebenszeichen. Das ist zwar wichtig, reicht aber bislang nicht, um die Verschlechterung in anderen Sektoren auszugleichen.

 

China weiterhin eine der am schlechtesten abschneidenden EM-Volkswirtschaften

 

Doch bleiben wir bei der aktuellen Wachstumsdynamik. Die Wirtschaftsdaten haben sich in letzter Zeit weiter verschlechtert. Vor allem die Baubranche und der Exportsektor schwächeln. Auch Indikatoren wie die PMIs vom April deuten nicht auf eine baldige Erholung hin. Der HSBC PMI sank auf einen Stand von 48,9 und damit auf ein niedrigeres Niveau als die Werte, die nur zehn Tage früher im April zu verzeichnen waren. Von den acht Konjunkturindikatoren, die wir anhand der Faktoren Relevanz, Verlässlichkeit und Zeitnähe für China ausgewählt haben (u. a. auch Außenhandelsdaten, die sensibel auf Veränderungen beim Investmentwachstum in China reagieren), sind sieben seit drei Monaten rückläufig. Damit ist China weiterhin eine der am schlechtesten abschneidenden EM-Volkswirtschaften. Derzeit sieht es in puncto Wachstumsdynamik nur in Russland, Indonesien und Griechenland ähnlich schlecht aus.

 

Auch die geldpolitische Lockerung, die im vergangenen November eingeleitet wurde, konnte der schwächelnden Konjunktur in China bislang noch nicht auf die Beine helfen. Zugleich läuft die gegenwärtige Schwäche der allgemeinen Annahme zuwider, dass die Regierung bereits in Q2 2014 eine neue Lockerungsrunde eingeleitet hatte. Auch die Lockerung der Restriktionen am Immobilienmarkt im September letzten Jahres ändert daran nichts.

 

Was diese drei Bereiche der wirtschaftspolitischen Lockerung betrifft, ist zumindest auf der geldpolitischen Seite Geduld erforderlich. Es dauert immer eine gewisse Zeit, bevor eine Zinssenkung sich auf die Wachstumsentwicklung auswirkt. Doch sechs Monate nach der ersten Zinssenkung dürfte dieser Zeitpunkt nicht in allzu großer Ferne liegen. Was die Finanzpolitik betrifft, ist es unserer Einschätzung nach bisher noch zu keiner echten Lockerung gekommen. Bleibt also die Lockerung im Immobiliensektor. Die wirtschaftspolitischen Impulse waren hier in der Tat erheblich. Doch während sie in Q3 2014 eine gewisse Wirkung zeigten, konnten sie den negativen Verkaufstrend insgesamt nicht brechen. Erst seit Kurzem – im Anschluss an die letzte Lockerungsrunde Ende März – beobachten wir einen Anstieg des Verkaufsvolumens in den größten Städten. Auch der Preisverfall ist hier vorerst gestoppt (siehe folgende Grafik).

 

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