Changeprojekte evaluieren

Kraus, Georg Dr - Portrait_2014Nach Changeprojekten atmen die Projektverantwortlichen oft erleichtert durch. Denn diese bedeuten für sie Mehrarbeit und eine hohe emotionale Belastung. Das heißt: Eine systematische Auswertung der Projekte unterbleibt. Dabei wäre sie wichtig – unter anderem um für künftige Projekte zu lernen.

 Wir müssen den Verlauf und den Erfolg unserer Changemaßnahmen und -projekte evaluieren – damit wir den Prozess steuern können und hieraus für die Zukunft lernen. So lautet eine selbstverständliche Forderung aller Organisationsentwickler und Projektmanager in Unternehmen. Doch was heißt Evaluation eigentlich? Evaluation bedeutet, ein oft komplexes Gefüge von Ergebnissen zu beurteilen oder zu bewerten. Dabei wird das Erreichte anhand von Kriterien und Maßstäben mit den Zielen verglichen. Und bei großen, oft bereichs- und zuweilen sogar unternehmensübergreifenden Projekten? Bei ihnen werden meist schon im Laufe des Prozesses die Zwischenergebnisse regelmäßig erfasst und bewertet, damit Zielabweichungen früh erkannt und steuernde Maßnahmen ergriffen werden können.

 

 

Bewertung der operativen und strategischen Wirkung

 

Unterziehen Unternehmen nach Abschluss eines Changeprojekts dessen Ergebnisse und den Projektverlauf selbst einer kritischen Beurteilung, dann verfolgen sie hiermit in der Regel zwei Ziele: eine betriebswirtschaftliche Abschlussbetrachtung des Projekts und ein Lernen für künftige Veränderungen.

 

Beim Bewerten der Projekte stehen folgende zwei Wirkungs- und Nutzendimensionen zentral: die operative und die strategische Wirkung. Operative Wirkung meint, inwieweit die Changemaßnahmen dazu beitragen, die (Unternehmens-/Bereichs-)Ziele zu erreichen und die prognostizierten Risiken zu reduzieren. Im Zusammenhang mit einem Merger kann die Frage nach der operativen Wirkung zum Beispiel lauten: Gelang es alle Keyplayer an Bord zu halten und die Mitarbeiter so für ihre neuen Aufgaben zu motivieren, dass die Produktivität schnell wieder stabil war?

 

Bei der strategischen Wirkung geht es um die Nachwirkung der Maßnahmen im Hinblick auf künftige Veränderungsprozesse. Diese Wirkungsdimension ist oft nicht ausdrücklicher Bestandteil der Projektziele. Deshalb wird sie beim Bewerten des Projekterfolgs häufig vernachlässigt und ihre Bedeutung unterschätzt. Ist den Führungskräften und Mitarbeitern eines Unternehmen jedoch zum Beispiel bewusst, dass die umfassende Einbindung der Betroffenen der Schlüssel dafür war, dass die Keyplayer blieben und die Mitarbeiter motiviert sind, dann wirkt diese Erfahrung auch bei der Planung und Gestaltung künftiger Vorhaben nach.

 

 

Schwierigkeiten bei der Changebewertung

 

Es scheint selbstverständlich zu sein, dass eine Bewertung der Zielerreichung zum professionellen Abschluss eines jeden Projekts, also auch von Changeprozessen, gehört. Warum erfolgt sie in der Praxis trotzdem zuweilen nicht und häufig nur partiell? Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen.

 

Ursache 1: Eine „ehrliche“, umfassende Bewertung des Veränderungsvorhabens ist zuweilen unerwünscht. Oft registriert man in Unternehmen folgendes Verhaltensmuster: zum Beispiel, die lang vorbereitete und unter großen Anstrengungen bewältigte IT-Migration ist endlich abgehschlossen. Doch noch immer sind viele Anwender mit dem neuen System unzufrieden. Und die Produktivität? Sie sank. Und die Kunden? Sie beschweren sich über einen schlechteren Service. Trotzdem wird das Projekt-Ergebnis positiv bewertet, denn das wesentliche Ziel IT-Migration wurde erreicht. Die Frage, inwieweit bei einer anderen Projektgestaltung eventuell die (vorübergehenden) Produktivitätseinbrüche minimiert und die Kundenbeschwerden hätten vermieden werden können, wird nicht gestellt. Denn sowohl für die Auftraggeber, als auch Projektmanager stehen die langfristig-strategischen Ziele des Projekts im Fokus, zudem wollen sie ihren Erfolg nicht schmälern. Das Beispiel zeigt: Klare Ziele, Kriterien und Maßstäbe allein genügen nicht für eine „ehrliche“ Bewertung. Wichtig ist auch eine Unternehmenskultur, die einen offenen Umgang mit „Fehlern“ zulässt und hierin Lernchancen sieht.

 

Ursache 2: Evaluation verursacht Aufwand und Kosten. Ist der Kostendruck in einer Organisation hoch, dann wird gerne auch an Evaluationsprozessen gespart, denn gute Evaluationen kosten Zeit und Geld. Dennoch sollten solche Maßnahmen von Beginn an eingeplant werden und sich nicht auf eine Bewertung der Zwischenergebnisse beschränken.

 

Ursache 3: In der Organisation dominieren ein „Insel-Denken“ und ein kurzfristiges Erfolgsdenken.

Besonders schwierig wird es, wenn bei der Evaluation eines Projektes dessen Auswirkungen auf die gesamte Organisation erfasst werden sollen. Für viele Projekte gilt: Sie betreffen scheinbar nur einen Ausschnitt des Unternehmens – also zum Beispiel ein, zwei Bereiche in einem bestimmten Zeitraum. Deshalb überwiegen bei der Projektplanung und Durchführung deren (Partial-)Interessen und Einschätzungen, Entsprechend sind nicht selten die Ergebnisse. Das Projekt erreicht möglicherweise sein Ziel, doch:

  • Was ist mit den Schnittstellen zu anderen Prozessen?
  • Was geschieht nach Projektabschluss?
  • Wie wird die gewünschte Nachhaltigkeit der Ergebnisse erreicht?

Das wird bei der Evaluierung oft nicht oder kaum bedacht.

 

Ursache 4: Das Evaluieren von Changemaßnahmen ist nicht einfach. Albert Einstein brachte ein Grunddilemma von Messungen und damit auch von Evaluationen auf den Punkt: „Nicht alles, was man messen kann, ist relevant, und nicht alles was relevant ist, kann man messen.“ Während Hardfacts wie Produktivitäten, Beiträge, Kosten, Stornoquoten meist gut erfassbar sind, werden unnötige Kosten, die auf die Vernachlässigung der Softfacts zurückzuführen sind, oft nicht erfasst. Auch entgangene Chancen entziehen sich meist der Bewertung. Auf der anderen Seite sind Fortschritte in weichen Themen häufig nicht konkret erfassbar beziehungswiese eindeutig auf die Wirkung professioneller Veränderungsbegleitung zurückzuführen und erst recht schwer zu beziffern. Kulturelle Qualitätsverbesserungen entziehen sich im Kern oft einer eindeutigen und messbaren Beurteilung.

 

 

Kriterien zum Bewerten von Changemaßnahmen

 

Trotzdem ist auch der Erfolg von Changemanagement-Maßnahmen bewertbar. Folgende Möglichkeiten haben sich unter anderem in der Praxis bewährt:

  • Planung und Controlling der Kosten von Changemaßnahmen,
  • Einschätzung des Beitrags zur Kennzahlenentwicklung (u.a. Krankenstand, Fluktuation, Produktivität, Umsatz),
  • Befragung Außenstehender (z.B. Kunden, Partner, Lieferanten),
  • Interviews oder Fragbogenaktionen mit Beteiligten, Betroffenen und Beobachtern,
  • Beurteilung der Resonanz auf Kommunikationsaktivitäten (Firmenzeitung, Intranet),.
  • Vergleich der Ergebnisse bei unterschiedlicher Vorgehensweise in verschiedenen Bereichen.

 

Zudem gibt es zahlreiche Kriterien für das Bewerten der der beiden Wirkungsdimensionen von Changemaßnahmen.

Kriterien zum Bewerten der operativen Wirkung – u.a.:

  • Teilnahmequote an Informations- und Qualifikationsveranstaltungen, Befragungen,
  • Termineinhaltung (nicht durch Widerstand der Betroffenen gefährdet),
  • Produktivität nach Anlaufphase (auf Zielniveau – ja, nein),
  • Nacharbeitsaufwände (niedrig oder hoch),.
  • Fluktuations- und Krankheitsrate (steigt, steigt nicht).
  • Verhalten von Schlüsselpersonen (bleiben, engagieren sich),
  • Kostenbudget für Changemaßnahmen (eingehalten oder nicht).

 

Kriterien zum Bewerten der strategischen Wirkung – u.a.:

  • Bereitschaft zur Qualifikation und Interesse an Projektarbeit (steigt, steigt nicht),
  • Hierarchie- und bereichsübergreifende Kommunikation findet statt (Netzwerke im Unternehmen entstehen),
  • Projekte werden schneller und kosten weniger (ja, nein),
  • größere Handlungsspielräume werden eingeräumt und bewähren sich (ja, nein),
  • Besprechungs- und Workshopkultur hat sich geändert (positiv, negativ),
  • Kommunikation erfolgt über alle Ebenen vorrangig in Dialogform (ja, nein).

 

Sich mit dem Thema Evaluation von Changeprozessen intensiv zu befassen, ist wichtig – auch wenn es verständlich ist, dass die Projektverantwortlichen nach Projekten, die häufig Mehrarbeit für sie bedeuten, dazu neigen, erleichtert durchzuatmen und die Evaluation zu vernachlässigen. Denn eine systematische Evaluation hat auch die Funktion, das Erreichte und das Engagement der Projektbeteiligten zu würdigen. Außerdem dient sie der Stabilisierung der Ergebnisse. Eine der wichtigsten Funktionen beispielsweise der Reviews sowie des Austauschs über die gesammelten Erfahrungen ist jedoch, für die Zukunft zu lernen, damit die Changemanagement-Kompetenz der Projektbeteiligten und der Organisation steigt.

Dr. Georg Kraus

 

Zum Autor: Dr. Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist Autor mehrerer Change- und Projektmanagement-Bücher. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.

 

 

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