Was, wenn der Brexit Wirklichkeit wird?

bac99c3301708ebeaa2542ec_1920-300x267Der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

In einem historischen Referendum entscheiden die Briten am 23. Juni 2016 über den Verbleib in der Europäischen Union (EU). Der sog. Brexit, ein Kunstwort aus Britain und Exit, ist nach neuesten Hochrechnungen nicht mehr unwahrscheinlich. Lesen Sie im heutigen Zinskommentar über die Auswirkungen eines Austritts Großbritanniens aus der EU.

 

Markt-Monitoring und Ausblick
Kurzfristiger Zins: Der 3-Monats-Euribor ist in den letzten 2 Wochen unverändert und steht aktuell bei

-0,263 %. Ein leichtes Abfallen in Richtung -0,4 % ist sehr wahrscheinlich. Dies ist der aktuelle Stand der Einlagenfazilität der EZB.

Langfristiger Zins: Der 10jährige SWAP-Satz liegt derzeit bei 0,45 % und ist in den letzten Wochen wieder gesunken. Eine Seitwärtsbewegung zwischen 0,5 und 1,0 Prozentpunkten erwarten wir für den weiteren Verlauf in 2016.

 

Was, wenn der Brexit Wirklichkeit wird?

Der Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise verdrängten das Referendum in England aus der Medienwelt. Viele Europäer scheinen den Austritt Englands nicht als realistisches Szenario wahrzunehmen. Doch der Ausgang der Volksabstimmung ist äußerst ungewiss. Umfragen ergaben, dass die Ursache für den Zulauf der rechts-populistischen Parteien in der Flüchtlingspolitik der EU liegt. Viele Briten haben Angst um ihre Arbeitsplätze und sehen eine Ausbeutung des Sozialstaates durch Asylsuchende als Gefahr. Dennoch hatte Großbritannien schon immer ein schwieriges Verhältnis zur EU. Das Vereinigte Königreich wurde nie Mitglied der Währungsunion oder des Schengen-Abkommens. Viel mehr diente ihm die EU als Freihandelszone mit wirtschaftlichen Vorzügen.
Die Konsequenzen eines möglichen Austritts sind schwer einschätzbar. Noch nie hat ein Land in dieser Größenordnung die EU verlassen (Einziger Austritt: Grönland 1982). Doch die Signalwirkung an alle antieuropäischen Gruppierungen in Europa ist eindeutig: Ein Austritt ist nicht unmöglich. Parteien wie die Front National in Frankreich oder die Alternative für Deutschland (AfD) könnten nun mit populistischen Parolen die europäische Gesellschaft zunehmend spalten und den Zerfall Europas weiter vorantreiben. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für England wären folgenreich: Laut der London School of Economics (LSE) wird die Wirtschaftsleistung um bis zu 3,1 Prozent schrumpfen. Die EU ist wichtigster Handelspartner für das Vereinigte Königreich, über 50 Prozent des Exportes von Gütern und Dienstleistungen fließen nach Europa. Ein Brexit hätte womöglich hohe Zölle und Regularien zur Folge. Die Handelshemmnisse gefährden britische Exportunternehmen und tausende Jobs. Zwar haben Norwegen und die Schweiz freien Zugang auf den Binnenmarkt, doch muss im Gegenzug die freie Zuwanderung von Arbeitskräften gewährt werden. Doch genau das will Großbritannien unterbinden. Ein Ausschluss aus dem europäischen Binnenmarkt, der größten Freihandelszone der Welt, könnte London den Titel als Finanzmetropole kosten. Die britische Bank HSBC drohte schon im Falle eines Brexits, über tausend Investmentbanker in die französische Hauptstadt Paris zu verlegen. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich das proeuropäische Schottland in einem weiteren Referendum vom Vereinigten Königreich abspaltet, um in der EU bleiben zu können. Der mögliche EU-Austritt drückt auch die Immobilienpreise von Luxusobjekten. London verliert ohne einen Verbleib in der EU die Attraktivität als internationaler Treffpunkt der Finanzwelt.

 

David Cameron wirbt um einen Verbleib in der EU mit dem Versprechen, Reformen in Brüssel durchzusetzen. Knackpunkt des Forderungskataloges ist die Eindämmung der Einwanderung aus EU-Staaten nach Großbritannien. Doch verstößt dies gegen ein Grundprinzip der EU. Die Mitgliedschaft erfordert Verpflichtungen gegenüber den europäischen Institutionen. Man darf sich nicht über Jahrzehnte an den wirtschaftlichen Vorzügen und Subventionen bereichern und dafür keinen Solidarbeitrag leisten. Es scheint, die Briten wollen nicht einen Teil ihrer Souveränität an trübe EU-Bürokraten abtreten. Vielleicht entsteht auch der Wunsch nach Unabhängigkeit durch die geografisch bedingte Insellage oder die besondere Verbindung zu den Vereinigten Staaten. Nichtsdestotrotz war die EU-Mitgliedschaft ein Segen für Großbritannien. Der Austrittsgedanke beruht daher auf Emotionen und nicht auf wirtschaftlichen Fakten. Es bleibt abzuwarten wie sich die Briten entscheiden, doch ein Verbleib ist für Europa und auch für die Briten selbst nur wünschenswert.

 

 

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