Systemische Beratung in Unternehmen

In der modernen, vernetzten Arbeitswelt müssen die Führungskräfte und Mitarbeiter von Unternehmen stärker als früher die Auswirkungen ihres Tuns auf das Gesamtsystem beachten. Diese Kompetenz gilt es bei ihnen zu entwickeln – zum Beispiel mit firmeninternen Trainern und Beratern.

 

Die (Arbeits-und Kommunikations-)Strukturen und Beziehungen in den Unternehmen werden immer vernetzter – unter anderem aufgrund des Siegeszugs der modernen Informationstechnologie. Das heißt,

  • die Abteilungs- und Bereichsgrenzen lösen sich allmählich auf und
  • die zentralen Leistungen der Unternehmen werden zunehmend von abteilungs- und bereichsübergreifenden Teams erbracht.

 

Hierdurch werden auch die Veränderungsvorhaben in den Unternehmen komplexer, da

  • mehr Einflussfaktoren zu beachten sind,
  • mehr potenzielle Auswirkungen auf das Gesamtsystem zu bedenken sind und
  • mehr Personen mit teils unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen zu integrieren sind.

Hieraus ergeben sich auch neue Anforderungen, an die Schlüsselpersonen in den Projekten – unabhängig davon, ob es sich um Führungskräfte, Projektmanager oder Spezialisten handelt.

 

 

Mehr internes systemisches Know-how gefragt

 

In der Vergangenheit engagierten Unternehmen zum Planen komplexer Projekte oft externe systemische (Projektmanagement-)Berater. Diese analysierten mit den Verantwortlichen in der Organisation unter anderem:

  • Wie sehen die Rahmenbedingungen des Projekts aus?
  • Welche Interdependenzen gilt es zu beachten?
  • Welche Interventionen wären möglich, um das Projektziel zu erreichen?
  • Was wären die Konsequenzen, wenn wir die Intervention A oder B ergreifen?
  • Mit welchen Problemen müssen wir in den verschiedenen Projektphasen und bei den geplanten Interventionen rechnen, und was wären geeignete Gegenmaßnahmen?

Und danach entwerfen sie ein passendes Projektdesgin.

 

Dieses Vorgehen werden Unternehmen im Bedarfsfall auch künftig praktizieren. Dessen ungeachtet benötigen sie jedoch mehr systemisches Know-how in der eigenen Organisation, wenn sie bei Changevorhaben nicht nur nachhaltige Lösungen entwerfen, sondern diese auch im Betriebsalltag implementieren möchten, denn:

  • Der Changebedarf in den Unternehmen ist heute oft so groß, dass er zentral nur noch bedingt erfasst werden kann. Und:
  • Er ist heute in den Bereichen meist so verschieden, dass er mit top-down organisierten Maßnahmen nur noch teilweise befriedigt werden kann.

 

Hinzu kommt: Die Rahmenbedingungen der Projekte verändern sich heute so rasch, dass in deren Verlauf immer wieder reflektiert werden muss: Sind die geplanten Maßnahmen noch zielführend oder müssen sie neu justiert werden, damit die Ziele erreicht werden?

 

 

Ein zentraler Hebel: firmeninterne Trainer und Berater

 

Das heißt, die Projektdesigns müssen mehr Reflexionsschleifen enthalten. Und solche Einrichtungen wie Sounding Boards, die den Projektverantwortlichen regelmäßig ein Feedback über den Erfolg der Maßnahmen und die Stimmung im Betrieb geben, werden unverzichtbar. Zudem muss das systemische Denken und Handeln insbesondere der Führungskräfte auf der operativen Ebene gestärkt werden, da sie

  • die zentralen Projektsteuerer und Changemanager im Arbeitsalltag vor Ort sind,
  • ihren Mitarbeitern immer wieder die Ziele des Projekts sowie der geplanten Maßnahmen vermitteln müssen und
  • diese als Mitstreiter gewinnen müssen.

 

Ein zentraler Hebel, um den Führungskräften (und Mitarbeitern) diese Kompetenz zu vermitteln, sind die firmeninternen Trainer und Berater. Haben sie das systemische Denken und eine entsprechende Haltung verinnerlicht, können sie in ihren Trainings und Beratungen eine entsprechende Einstellung und Haltung auch bei ihrem Gegenüber bewirken. Wie diese Kompetenz bei den internen Beratern und Trainern entwickelt werden kann, sei am Beispiel eines Projekts beschrieben, das die Im-prove Coaching und Training GmbH seit 2015 bei einer gesetzlichen Krankenkasse begleitet.

 

Ein Projektbericht

 

In der Krankenkasse reifte Anfang 2015 die Erkenntnis: Wenn wir unsere Marktposition ausbauen möchten, müssen wir in unserem Personalbereich neue Impulse setzen, die darauf abzielen, die Kompetenz unserer Mitarbeiter zu erhöhen,

  • „Probleme“ und Verbesserungschancen im System selbst zu erkennen und
  • diese eigenständig zu lösen beziehungsweise zu nutzen.

 

Um dieses Ziel zu erreichen, entschied die Krankenkasse im Dialog mit Im-prove, im Unternehmen einen systemischen Coaching- und Beratungsansatz einzuführen; außerdem ein Qualifizierungsprogramm für die internen Trainer und Berater zu starten, das diese dazu befähigt, mit diesem systemischen Ansatz

  • die Mitarbeiter und Führungskräfte langfristig wie gewünscht zu entwickeln und
  • diese in Leistungs- und Motivationskrisen lösungs- und entwicklungsorientiert zu begleiten.

 

Konkret heißt dies: Künftig sollen die internen Trainer und Berater bei ihrer Arbeit ihren Kollegen die Lösung für herausfordernde Aufgaben nicht mehr vorgeben, indem sie zum Beispiel sagen: „Tue dies, dann hast du Erfolg“. Sie sollen diese vielmehr bei der Suche nach einer Lösung begleiten und zwar so, dass bei ihren Kollegen die Kompetenz wächst, Probleme eigenständig zu erkennen und mit den Unternehmenszielen konform zu lösen.

 

Interne Trainer und Berater weiterqualifiziert

 

Das im Frühsommer 2015 entwickelte Konzept der Qualifizierungsmaßnahme sah vor: Die internen Trainer und Berater werden in mehreren Gruppen zu je 12 Teilnehmern über einen Zeitraum von zwei Jahren in systemischer Haltung und Arbeit qualifiziert. Parallel dazu finden regelmäßig funktions- und hierarchieübergreifende Workshops statt, in denen unter anderem überprüft wird, ob die Prozesse in der Organisation das Umsetzen des systemischen Beratungsansatzes in der Praxis lähmen oder gar verhindern.

 

Ende 2015 startete die Qualifizierung der ersten beiden Trainer- und Beratergruppen. Sie wurden jeweils in fünf fünf-tägigen Modulen, die von zwei Im-prove-Lehrcoaches geleitet wurden, in der systemischen Beratung qualifiziert.

 

 

Die fünf Module der Weiterbildung

 

Modul 1: Systemische Grundlagen.

In ihm befassten sich die Trainer und Berater mit den Grundlagen des systemischen Denkens. Außerdem lernten sie die verschiedenen Systemarten kennen und erfuhren, wodurch sich die Systemische Beratung von der klassischen Trainer- und Beratertätigkeit unterscheidet. Sie reflektieren zudem ihre Werte und inwieweit diese mit den Grundhaltungen einer Systemischen Beratung kompatibel sind. Außerdem lernten sie Tools der systemischen Arbeit kennen und trainierten deren Einsatz.

 

Modul: 2: Prozessorientierung.

In ihm befassten sich die Teilnehmer mit den verschiedenen Phasen personaler und organisationaler Veränderungsprozesse sowie den gruppendynamischen Prozessen, die hierbei ablaufen. Sie beschäftigten sich mit den Themen (Gegen-)Übertragung sowie Glaubenssätze und deren Umdeutung. Außerdem lernten sie weitere systemische Werkzeuge und Interventionen kennen.

 

Modul 3: Umgang mit Konflikten.

In ihm lernten die Teilnehmer die verschiedenen Konfliktarten und -stile kennen; außerdem erfuhren sie. wie Konflikte entstehen und eskalieren. Sie lernten zudem Konflikte aufgrund der Werte und Bedürfnisstruktur der Beteiligten so zu bearbeiten, dass tragfähige Lösungen entstehen und der Konflikt als Chance für Veränderungen genutzt wird.

 

Modul 4: Beratungsprozesse / Selbstmarketing.

In ihm befassten sich die Teilnehmer mit der Diagnose von Organisationseinheiten. Sie beschäftigten sich zudem mit dem Thema „Systemisches Führungsverständnis“ und der lebens- und arbeitsgeschichtlichen Entstehung der individuellen Führungsstile. Zudem befassten sie sich mit der Frage, wie systemische Berater Führungskräfte bei ihrer Entwicklung und beim Entwickeln ihrer Mitarbeiter begleiten können, und wie sie sich firmenintern effektiv vermarkten.

 

Modul 5: Vision und Ziele.

Im letzten Modul reflektierten die Teilnehmer ihre Entwicklung in der Qualifizierungsmaßnahme. Außerdem entwarfen sie eine Vision für ihre künftige Entwicklung als Systemische Trainer und Berater und erstellten für sich Entwicklungspläne. Auch die Bedeutung von Ritualen sowie der Visionsarbeit mit Personen und Teams wurde reflektiert, bevor das Geleistete in der Abschlussfeier gewürdigt wurde.

 

 

Unterstützung der Trainer und Berater beim Umsetzen

 

Nach den einzelnen Modulen setzten die Teilnehmer ihre neuen Kompetenzen stets in bestehenden Trainings- und Beratungsprozessen ein. Deshalb wurden in jedem Modul am letzten Tag im Diskurs mit den Lehrcoaches die Einsatzmöglichkeiten bestimmt. Außerdem fand zwischen den Modulen ein Lernen in Lern- und Intervisionsgruppen statt, in denen die Teilnehmer sich kollegial berieten. Zudem wurden sie in ihrer Entwicklung durch Einzelcoachings und Supervision begleitet. Zu Beginn des Folgemoduls wurden dann die gesammelten Erfahrungen reflektiert.

 

Fünf Monate nach Beginn der Weiterqualifizierung der ersten beiden Trainer- und Beratergruppen, also im Frühjahr 2016, fanden die ersten Prozess-Workshops „Systemische Beratung in unserer Organisation“ statt. An ihnen nahmen auch Bereichsleiter und Vertreter der Unternehmensführung teil.

 

Diese Workshops dienten dazu, funktions- und hierarchieübergreifend einen gemeinsamen Kenntnisstand bezüglich der Einstellungen und Haltungen sowie Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine systemische Personalentwicklungs- und Führungsarbeit erfordert; außerdem über die hierbei genutzten Verfahren. Zudem wurde nochmals ermittelt, welche Hindernisse für ein systemisches Beraten noch bestehen und ein Commitment darüber erzielt, wie diese beseitigt werden.

 

Ende 2016 startete die zweijährige Weiterbildung einer weiteren Trainer- und Beratergruppe. In diese flossen beziehungsweise fliesen die Erfahrungen aus den ersten beiden Gruppen ein. Zudem fanden Ende 2016 erneut Prozess-Workshops statt, in denen die Teilnehmer funktions-, abteilungs- und hierarchieübergreifend ermittelten,

  • wie der Prozess der Einführung des systemischen Beratungsansatzes verläuft,
  • wie das Erreichte gesichert werden kann und
  • welche Hindernisse sich im Alltag noch zeigen.

 

 

Prozess-Workshops monitoren den Kultur-Wandel

 

Solche Prozess-Workshops finden regelmäßig statt, denn die Krankenkasse erachtet sie als ein wichtiges Monitoring- und Steuerungsinstrument in dem Prozess,

  • den systemischen Beratungsansatz in der Organisation zu verankern und
  • die Kompetenz der Mitarbeiter zum eigenständigen Erkennen und Nutzen von Verbesserungschancen sowie Lösen von Problemen kontinuierlich zu erhöhen

– und so den angestrebten Kulturwandel im Unternehmen zu bewirken.

 

In diesem Prozess lassen sich folgende Zwischenergebnisse konstatieren: Die Arbeit der firmeninternen Trainer und Berater hat bei den Mitarbeitern und Führungskräften stark an Akzeptanz gewonnen, weil sich diese stärker in ihrer tatsächlichen Situation gesehen und abgeholt fühlen. Und die in den Beratungen, Trainings und Coachings gefundenen Lösungen? Sie sind nachhaltiger – unter anderem, weil die Mitarbeiter und Führungskräften sie selbst entwerfen. Entsprechend groß ist ihre Motivation, alleine oder im Team, die geplanten Veränderungen anzugehen und zum Erfolg zu führen.

 

 

Neues Erleben ermöglicht neue Lösungen

 

Auch die Einstellung und das Verhalten der internen Trainer und Berater haben sich verändert – unter anderem, weil ihnen der systemische Beratungsansatz einen neuen Blick auf ihre Kollegen auf der operativen Ebene und deren Handlungsmotive eröffnete. Deshalb werden heute in der Krankenkasse im Dialog mit den Führungskräften und Mitarbeitern viele in der Vergangenheit undenkbare Lösungen initiiert und realisiert – weshalb das Unternehmen gut für die Zukunft gewappnet ist.

Frank Linde, Michael Reichl

 

Zu den Autoren: Frank Linde und Michael Reichl sind die Geschäftsführer der im-prove coaching und training GmbH, Lingen (Ems) und Heldenstein (Bayern), Sie sind anerkannte Berater des Förderprogramms der EU und Bundesregierung unternehmensWert: Mensch (Tel.: 0591/120 702 43; Internet: www.im-prove.de).

Schreibe einen Kommentar