Abstiegsangst im Versicherungsvertrieb: Wer gewinnt, wer verliert

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Der klassische Versicherungsvertrieb steht wirtschaftlich stark unter Druck. Er muss vor allem digitaler werden, heißt es. In der Schaden- und Unfallversicherung etwa konkurrieren Vergleichsportale und Insurtechs mit traditionellen Vermittlern. Hinzu kommt die Nachwuchsproblematik. Vertriebler sind an einem empfindlichen Punkt angelangt. Am letzten Tag der Themenwoche Vertrieb erläutern Versicherungswirtschaft und VWheute, wer im Wettbewerb um Märkte und Kunden die Nase vorne haben wird.

Gar keine Zukunft sieht Daniel Schreiber, Gründer des US-Insurtech Lemonade, für den gesamten Berufsstand der Vermittler und Makler. „Wenn Sie sich das Durchschnittsalter der Vertreter und Makler ansehen, sehen Sie, dass die Branche in der bisherigen Form ganz von allein verschwindet. Denn junge Leute gewinnt niemand für diese Jobs.“ Dass die Lage in der Branche zumindest schwierig ist, bestätigt eine betriebswirtschaftliche Analyse.

So haben Einfirmenvertreter in der Regel zwar über 2.000 Kunden, wie eine Umfrage des Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) aus dem Jahre 2019 zeigt. Doch die Cross-Selling-Quote der Ausschließlichkeitsbestände ist gering. Nach Schätzung von Matthias Beenken und Michael Radtke von der Fachhochschule Dortmund haben die Ausschließlichkeitsvermittler in der Regel zwei Verträge pro Kunden. Ursächlich hierfür soll der früher übliche sehr einseitige Produktverkauf sein. Erst in der letzten Zeit würde stärker ein ganzheitlicher Verkaufsansatz verfolgt.

„Zu klein, zu alt, zu wenig effizient“

Auf der einen Seite gibt es für die Ausschließlichkeit somit ein großes Potenzial im Kundenstamm zu heben. Auf der anderen Seite dürfte es schwer sein, im scharfen Produkt- und Preiswettbewerb in der Schaden- und Unfallversicherung, die Vorteile eines Risikoträgers für alles zu vermitteln.

Vor allem bei Privatkunden ist das Thema Produktvergleich durch unzählige Datenbanken omnipotent. Regelmäßige Käufe oder die Orientierung für die richtige Dienstleistung, wie Reisebuchungen oder Arztbesuche, erfolgen in der Regel direkt über ein Bewertungsportal wie beispielsweise HolidayCheck, das 2,3 Millionen Besucher und 8,7 Millionen Bewertungen angibt. Das Arztportal Jameda sollen laut dem Anbieter sechs Millionen Patienten nutzen.

Und mit 15 Millionen Kunden trumpft Check24 auf. Laut einer Umfrage von Yougov Deutschland aus 2017 nutzen mehr als 70 Prozent der Deutschen Vergleichsportale. 58 Prozent der Portal-Nutzer und 31 Prozent der Nichtnutzer sollen ihre bestehenden Verträge regelmäßig auf ideale Konditionen überprüfen. Verbraucherschützer setzen ebenfalls auf diese Entwicklung. Seit Anfang 2020 bietet beispielsweise der Bund der Versicherten (BdV) eine Bedarfs-Check-App an.

In diesem Transparenztrend darf es nicht verwundern, dass Versicherungsvertreter immer stärker unter Druck geraten. Seit Anfang 2011 hat sich ihre Zahl um knapp 69.000 oder 32 Prozent verringert. Demgegenüber stieg die Zahl der Versicherungsmakler leicht an. Während die Ausschließlichkeit weiter stark schrumpft, musste seit 2017 auch die Maklerschaft leichte Einbußen hinnehmen.

Die Zahl der registrierten Versicherungsberater hat sich zwar seit 2011 mehr als verdoppelt. Auch wenn sie absolut kaum eine Rolle spielen, verstärken die provisionsfrei arbeitenden Experten den Trend zum Best-Advice. Sie haben wie Versicherungsmakler immer schon einen ganzheitlichen Beratungsansatz gehabt, der in eine deutlich höhere Cross-Selling-Quote mündet.

„Der Wettbewerb vonseiten der Vermittler wird immer weniger“, stellt der Versicherungsmakler Benno Walter fest. Der Gesellschafter-Geschäftsführer beim Assekuranzmakler Büchner Barella und ehemaliger Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler glaubt, dass aktuell 75 Prozent der Ausschließlichkeitsagenturen so aufgestellt sind, dass sie nicht überleben können. „Zu klein, zu alt und zu wenig effizient“ ist auch im Wesentlichen das Fazit der aktuellen BVK-Strukturanalyse.

Scheinbar helfen die Versicherer hier ihren Vermittlern kaum. Eher das Gegenteil ist der Fall. „Die selbstständigen Versicherungskaufleute sehen sich zunehmendem Effizienzdruck ausgesetzt. Versicherungsunternehmen rationalisieren und verlagern Tätigkeiten in die Agenturen und Maklerbetriebe, die sie früher einmal selbst geleistet haben“, so die Analyse von BVK-Vizepräsident Andreas Vollmer. In gewisser Weise ist Vollmer sogar ein Musterbeispiel für den Exodus der Vermittler. So war seine Bielefelder Hasenclever GmbH beim Start der Verbandstätigkeit 2012 noch Mehrfachagent. Heute ist sie Versicherungsmakler.

Agentur-Azubis der Ergo fahren Ford Fiesta

Etwas gegen den Trend will sich nun die Ergo stemmen. Über Instagram und Youtube findet die Ergo Beratung und Vertrieb AG nach eigener Darstellung sehr erfolgreich neue selbstständige Vermittler für die Ausschließlichkeitsorganisation (AO). „Es ist schwer, mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, daher müssen wir ihnen Videos schicken“, sagt Ronny Walter, Leiter der Vertriebsdirektion West. Die gesuchten Mitarbeiter würden mit den neuen Medien aufwachsen.

Daher schaltet die Ergo auf diesen Kanälen systematisch Werbung für neuen Vermittlernachwuchs. In der Fläche hat das Unternehmen zudem seit 2019 ein Auto für Agentur-Azubis eingeführt. Die Auszubildenden bekommen einen komfortabel ausgestatteten Ford Fiesta mit Ergo-Logo gestellt. Jährlich gibt es einen neuen Wagen. „Das Auto kommt bei den Auszubildenden gut an und macht gleichzeitig noch Werbung für uns“, so Walter. Auf dem Portal „Digitale Ausbildungsmesse“ können sich potenzielle Mitarbeiter bewerben.

„Die Interessenten verbleiben im Schnitt drei Minuten auf unserer Seite. Das ist ein sehr guter Wert“, so Walter. Das Unternehmen will seinen AO-Vertrieb deutlich verjüngen. Auf der einen Seite sucht die Assekuranz Mitarbeiter, auf der anderen Seite wird weiter abgebaut. „Unsere Zielmarke liegt bei 6.000 AO-Vermittlern“, erläutert Walter. Während die Ergo früher rund 10.000 Vermittler hatte, waren es Anfang 2017 noch 8.968 und 2019 ist der Exklusivvertrieb auf 7.550 Agenten geschrumpft.

Mit moderner Ansprache und einem neuen Ausbildungskonzept hätte die Ergo bei Bewerbern das Image für den Vertrieb von Versicherungen deutlich verändert. „Wir machen den jungen Leuten klar, dass hier niemand irgendwo klingeln muss, sondern wir gehen in Start-ups und begleiten diese“, erklärt Walter. Vor allem Frauen fühlten sich stark angesprochen, weil sie durch die freie Zeiteinteilung Arbeit und Familie kombinieren könnten. In den letzten zwei Jahren seien 35 Prozent der angeworbenen jungen AO-Vermittler beim Unternehmen geblieben. Vor der Einführung der neuen Ausbildung und der besseren Ansprache habe die Quote bei unter zehn Prozent gelegen.

Makler müssen investieren

Dennoch stehen Versicherungsmakler gleichfalls mit dem Rücken zur Wand. Denn der Aufwand, den sie für ihr Überleben in einer digitalen Welt betreiben müssen, ist enorm oder macht sie stark abhängig. Investieren müssen Makler in Software. Dabei ist aber aktuell fraglich, auf welches Pferd gesetzt werden sollte. Derzeit gibt es nach Einschätzung von Versicherungsmakler Walter die „Kraftzentren“ Hypoport (Inno-Systems, NKK), mein MVP (Kooperationsnetzwerk),

Acturis (Assfinet Nafi) und Softfair (Fondsfinanz). Alle diese Anbieter würden Verwaltungs-, Vergleichs- und Beratungsprogramme anbieten. Und alle Unternehmen würden intensiv an einer All-in-one-Lösung arbeiten, sie aber noch nicht haben. „Wer sie zuerst präsentiert, dürfte den Markt gewinnen“, schätzt Walter. Alternativ können Versicherungsmakler mit Poolern zusammenarbeiten. Dann werde den kleineren Unternehmen die Angst genommen, selbst investieren zu müssen. So kämen Makler auch an notwendige Kundenportale, die aussehen wie die eigenen.

Versicherungsmakler haben aber ebenfalls Nachwuchsprobleme. „Ganz viele Berufsträger müssen sich in wenigen Jahren bei einem aktuellen Altersdurchschnitt von 52 Jahren um die Nachfolge kümmern. Makler können nur ungewisse Aussichten auf künftige Courtageerzielung verkaufen“, sagt Beenken. Denn Maklerverträge können jederzeit aufgelöst werden.

Im scharfen Wettbewerb, der auch von Onlinemaklern und Onlineversicherern, wie Getsafe, Finanzchef24 oderLemonade angefacht wird, sinkt der Wert des Maklerbestands. Verkaufbar sind dabei nur Betriebe mit hohen Schaden- und Unfallbeständen, mit wiederkehrender Courtage. Der Verkauf von Maklerbetrieben dürfte daher in der Zukunft nicht einfacher werden. Vor allem Frauen fehlen bisher fast vollkommen. Daher müssen Betriebe für sie attraktiver werden.

„Wir brauchen Frauen in führenden Positionen und wir müssen mehr ausbilden“, fordert daher Walter. Unternehmen müssten daher sehr flexibel sein und auch Arbeitsplätze für zwei oder drei Stunden täglich anbieten. Doch Mitarbeitern unter 30 Jahren müssten Arbeitgeber heute nicht nur attraktive Gehälter zahlen, viele legen Wert darauf, dass sie einen Sinn in der Arbeit sehen.

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