Zinswende schon in 2021? der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

Der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

Viele Marktbeobachter haben vor der Coronakrise eine zeitnahe Rückkehr der Inflation ausgeschlossen. Dies hat sich mit der Verabschiedung von Milliardenhilfen in bisher unbekanntem Ausmaße geändert. Die Wahrscheinlichkeit inflationärer Tendenzen ist signifikant höher als noch vor einem Jahr. Steigende Preise bedeuten auch fast immer steigende Zinsen. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars mehr über die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen.

Markt-Monitoring und Ausblick
Kurzfristiger Zins: Der 3-Monats-Euribor stieg bis Mitte März auf – 0,161% und fällt seit Anfang Mai auf aktuell – 0,548%. Die überdurchschnittlich starke Kapitalnachfrage von staatlicher und nichtstaatlicher Seite hat sich wieder gelegt. Bis Ende 2020 erwarten wir einen Seitwärtsverlauf um die – 0,50%. Dieser orientiert sich an der Einlagenfazilität der EZB.

Langfristiger Zins: Der 10jährige SWAP-Satz/3M steht derzeit bei – 0,21%. Mit Sicht auf die nächsten 6-12 Monate rechnen wir eher weiterhin mit negativen, 10-jährigen SWAP-Sätzen.

Zinswende schon in 2021?
Ein wesentlicher und schon oft im Rahmen des Zinskommentars beschriebener Faktor ist das starke Geldmengenwachstum auf Basis M3 (Vgl. Abbildung 1). Mehr Geld im Umlauf bei gleichbleibendem Angebot von Produkten und Dienstleistungen bedeutet höhere Preise. Allein das Anleihekaufprogramm (PEPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) beläuft sich auf inzwischen 1,85 Billionen Euro und übertrifft bei Weitem alle zuvor verabschiedeten Programme. In den USA stieg die Geldmenge M3 zwischen Februar 2020 und November 2020 von rund 15,4 Billionen Dollar auf fast 19,1 Billionen Dollar. Das entspricht einem Anstieg von fast 25 Prozent. In der Eurozone stieg die Geldmenge im selben Zeitraum von rund 13,1 Billionen Euro auf 14,3 Billionen Euro, was ein Anstieg von rund 9 Prozent bedeutet. Damit ist insbesondere in den USA die Geldmenge historisch stark gestiegen (Vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Geldmengenwachstum in der Eurozone und in den USA (prozentuale Veränderung gegenüber dem Vorjahr)
Quelle: Fed of St. Louis

Ein Anstieg der Geldmenge (M3) ist jedoch nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit einem Anstieg des Bargeldumlaufes, da die Geldmenge auch Bankguthaben bzw. Sichteinlagen der Nichtbanken umfasst. Ein
Großteil der finanziellen Hilfen ist zunächst auf die Konten der nationalen Staaten geflossen, wo nur ein Bruchteil bisher verwendet wurde. Laut des Statistischen Bundesamtes (Destatis) stieg die öffentliche Verschuldung zwischen dem Jahresende 2019 und dem 3. Quartal 2020 um 15,6 Prozent oder 296,4 Milliarden Euro. Daraus ergibt sich eine Rekordverschuldung von 2,2 Billionen Euro für den deutschen Staat. Insgesamt lässt sich in allen Ländern der Eurozone und in den USA ein starker Anstieg der Staatsschuldenquote (Schulden in Prozent des BIP) beobachten.

Entscheidend für die Entwicklung der Inflation ist, wieviel der Mittel tatsächlich in der Realwirtschaft landen und nicht auf irgendwelchen Bankkonten parkt. Auch wenn schon ein Teil des Geldes in Form von Kurzarbeitergeld oder Soforthilfen geflossen ist, haben viele Haushalte wesentlich mehr gespart als noch vor der Coronakrise. So haben laut der DZ Bank allein die Deutschen im vergangenen Jahr rund 16 Prozent ihres Einkommens gespart und damit fünf Prozentpunkte mehr als 2019.

Für die Entwicklung der Inflation und damit der Zinsen ist das Konsumverhalten nach der Bewältigung der Coronakrise entscheidend. Einige Ökonomen erwarten, dass sich der Konsum nach Beendigung der Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen erholen wird. Dieser Nachholeffekt könnte insbesondere für Dienstleistungen im Reise- und Tourismussegment eintreten. Neben einer Erholung des Konsums könnten strukturelle Entwicklungen inflationäre Tendenzen verstärken. Der bekannte Ökonom Charles Goodhart sieht insbesondere in der abnehmenden Globalisierung (Verknappung von verfügbaren Arbeitnehmern) und dem demografischen Wandel (geringere Sparquote) Faktoren einer anziehenden Inflation. Konsum konkurriert auch immer mit Investition (im Sinne von Geld anlegen), weshalb statt einer stark anziehenden Inflation ein Anstieg der Vermögenspreise denkbar ist. Schon jetzt sprechen einige Marktbeobachter von einer Blasenbildung insbesondere am amerikanischen Aktienmarkt.

In den USA konnte sich die Inflation bereits von einem kurzzeitigen Schock erholen und lag zuletzt bei rund 1,3
Prozent im Dezember 2020 (Vgl. Abbildung 2). In der Eurozone hingegen sanken die Preise abermals um 0,3 Prozent gegenüber Dezember 2019. Die Diskrepanz zwischen den USA und der Eurozone lässt sich neben der stärker gestiegenen Geldmenge in den USA anhand der weniger starken Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen erklären. In den USA ist somit die Wahrscheinlichkeit steigender Zinsen noch in
diesem Jahr wesentlich höher.

Abbildung 2: Inflationsentwicklung in den USA und der Eurozone

Quelle: Fed of St. Louis, Eurostat

Das renommierte ifo Institut aus München erwartet für die Eurozone im Jahr 2021 eine durchschnittliche Inflation von 1,6 Prozent. Ob dieses Niveau auch tatsächlich erreicht wird, scheint bislang unrealistisch. Im Falle einer schnellen Immunisierung der Bevölkerung und eines starken Nachholeffekts des Konsums wird ein rascher Anstieg der Inflation eintreten, weshalb die Marktentwicklungen genau beobachtet werden müssen.

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