NNIP Kolumne Teil 2 „Gibt es noch Hoffnung für China?“ – Maarten-Jan Bakkum

image007Maarten-Jan Bakkum, globaler Emerging Markets-Aktienstratege bei NN Investment Partners

 

  1. Konjunkturprogramm findet nicht wirklich statt Der Verkauf von Land zum Bau von Immobilien ist in ganz China um durchschnittlich 40 % zurückgegangen. Damit haben die Lokalregierungen ihre wichtigste Einnahmequelle eingebüßt. Zudem versperrte die Zentralregierung den Regionen und Kommunen letztes Jahr den Zugang zu Bankkrediten. Stattdessen werden sie sich – wohl transparenter – am Anleihemarkt finanzieren müssen. Hinzu kommt, dass Peking wegen der dramatischen Zunahme der Luftverschmutzung in den Großstädten die Umweltauflagen verschärft hat. Auch dadurch wird es für die Lokalregierungen schwerer, in traditionell wichtige Industrien wie Stahl, Kohle und Aluminium zu investieren.

 

Wenn man bedenkt, dass seit 2008 70 % der Anlageinvestitionen in China auf Lokalregierungen entfielen, liegt es auf der Hand, dass die Zunahme der Staatsausgaben von anderer Seite angekurbelt werden muss. Und das auch nur, falls die Behörden wirklich eine neue Runde von Konjunkturmaßnahmen auflegen wollen.

 

Tatsächlich steht die Regierung einer niedrigeren Wachstumsrate wohl aufgeschlossener gegenüber, als die Anlegerschaft wahrhaben will. Letztes Jahr war in Regierungskreisen viel die Rede von der „neuen Normalität“, also einer Zuwachsrate von etwa 6 %. Bei unseren Treffen mit politischen Entscheidungsträgern in Peking war zudem häufig zu hören, die Zentralregierung wolle keine „unbeabsichtigten Investitionen“ mehr. Soll heißen: Die Regierung möchte Investitionen in Sektoren mit Überkapazitäten vermeiden, also Investments, die aus politischen, nicht wirtschaftlichen Gründen stattfinden. Dazu hat die Regierung die Industriezweige hervorgehoben, in denen Investitionen erwünscht und erforderlich sind: Abwasser- und Abfallversorgung, Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Stadtentwicklung.

 

Eine fokussiertere Vorgehensweise, um wirtschaftlich sinnvolle Investitionen zu fördern, könnte bedeuten, dass es schwieriger wird, sehr hohe Zuwachsraten bei Sachanlageinvestitionen zu erreichen. Derzeit liegt die Zuwachsrate für Infrastrukturinvestitionen bei 23 %. Wir sprachen mit zwei Ökonomen – ihres Zeichens Regierungsberater –, nach deren Ansicht die Investitionen in Infrastruktur unter

 

Berücksichtigung des in anderen Sektoren erwarteten Wachstums um 40 % zunehmen müssen, damit eine BIP-Zuwachsrate von 7 % in Reichweite bleibt. Nach Meinung dieser Experten ist eine Zunahme der Infrastrukturinvestitionen um 40 %, die noch 2009 erzielbar war, mittlerweile ausgeschlossen.

 

In jedem Fall werden Konjunkturmaßnahmen von der Zentralregierung und den Förderbanken, wie der China Development Bank und der Agricultural Development Bank of China, angestoßen werden müssen. Letztere haben in den vergangenen Quartalen frische Liquiditätsspritzen erhalten. In den kommenden Quartalen dürfte die Kreditvergabetätigkeit dieser Banken zunehmen. Das Haushaltsdefizit der Zentralregierung hat sich derweil kaum geändert und verharrte in den vergangenen zwölf Monaten zwischen 2,5 und 3,0 %. Insgesamt war bisher – also seit letztem Sommer – kaum fiskalpolitische Lockerung zu beobachten, wenn auch der Markt das anders sieht.

 

  1. Weichen für weitere geldpolitische Lockerung sind gestellt, doch Kapitalabflüsse mindern deren Wirksamkeit Bei unseren Treffen mit Vertretern der chinesischen Zentralbank sowie der Bankenaufsichtsbehörde zeichnete sich klar ab, dass die Entscheidungsträger eine offensivere Geldpolitik in Erwägung ziehen. Wir waren allerdings überrascht, als man mehrfach von uns wissen wollte, wie eine quantitative Lockerung in China bei ausländischen Investoren ankommen würde.

 

Zinssenkungen, Senkung des Mindestreservesatzes, frische Liquiditätsspritzen für das Bankensystem – den Währungshütern stehen ausreichend geldpolitische Instrumente zur Verfügung. In der Tat wurde mit deren Einsatz bereits in Q4 2014 begonnen. Der Hauptgrund, weshalb die Wirtschaft sich noch nicht stabilisiert hat und die Lockerung nicht aggressiver betrieben wird, ist der zunehmende Kapitalabfluss.

 

Seit Mai letzten Jahres findet in China netto ein Kapitalexodus statt (siehe nachfolgende Grafik). Das lässt sich u. a. durch die Auflösung von USD-Carry-Trades sowie die strengere Regulierung des Schattenbankensystems erklären. Dies hat die Gelegenheiten für Investments in hochverzinsliche Werte deutlich reduziert. Aber auch die Krise im Immobiliensektor und die Antikorruptionskampagne spielen eine Rolle. Und nicht zuletzt hat die wachsende Volatilität am Devisenmarkt seit Anfang 2014 eindrücklich demonstriert, dass der Renminbi nicht nur aufwerten kann. Genau das wollte die Regierung zwar, aber der Preis ist ein Abzug von Kapital.

 

Dass China in den vergangenen zwölf Monaten den größten Kapitalabfluss in seiner Geschichte erlebt hat, schränkt den Spielraum der Zentralbank für einen etwaigen Zinsschnitt deutlich ein. Niedrigere Zinsen könnten den Exodus sogar noch beschleunigen. Die geldpolitischen Instanzen intervenieren bereits stark am Devisenmarkt, um den Renminbi stabil zu halten. Mit 3,7 Billionen USD verfügt China zwar über immense Devisenreserven, doch je mehr sie schrumpfen, desto zweifelhafter wird die Nachhaltigkeit der gegenwärtigen Politik.

Hinzu kommt, dass die Kapitalabflüsse in den vergangenen Monaten größer waren als die Liquidität, die durch die Senkung des Mindestreservesatzes freigesetzt wurde. Sollen diese Senkungen wirklich einen Unterschied machen, dann müssen sie deutlich höher ausfallen. Der Mindestreservesatz liegt momentan bei 18,5 %, insofern besteht immer noch Spielraum für weitere Senkungen. Kurz nach der Jahrtausendwende lag dieser Satz bei nur 6 %. Wir rechnen mit einem offensiveren Vorgehen der geldpolitischen Instanzen in den kommenden Quartalen. Darauf setzen auch die chinesischen Privatanleger, die sich in die Rallye am Aktienmarkt einkaufen.

 

Die entscheidende Frage lautet indes weiterhin: Können die Währungshüter den Kapitalabfluss überhaupt noch einholen? Und: Wie wollen sie die Währung steuern? Der chinesische Exportsektor steht unter erheblichem Druck, angefangen mit dem hohen Lohnwachstum der letzten Jahre und der rückläufigen globalen Nachfrage bis hin zur Divergenz zwischen Renminbi und anderen EM-Währungen (siehe vorstehende Grafik). Im März fiel die Exportzuwachsrate auf -15 %. Ab einem bestimmten Punkt wird die Regierung daher wohl beschließen, eine Schwächung des Renminbi zuzulassen. Das würde einerseits den Umfang von Interventionen am Devisenmarkt reduzieren, könnte andererseits aber neue Kapitalabflüsse auslösen.

 

Insgesamt ist die Kombination aus rückläufigem Wachstum und beschleunigten Kapitalabflüssen eine der größten geldpolitischen Herausforderungen, denen sich die chinesische Regierung seit langer Zeit gegenübersieht.

Schreibe einen Kommentar