Ölpreis aktuell: Keine Panik, das lehrt die Geschichte

Die Angriffe Israels auf iranische Energieanlagen lassen den Ölpreis aktuell klettern, Analysten warnen vor einem Flächenbrand in der Golfregion. Doch wer jetzt den nächsten Preisschock heraufbeschwört, ignoriert eine unbequeme Wahrheit: Historisch gesehen verlaufen solche Krisen meist anders, als es die Märkte im ersten Schockmoment erwarten.
Ölpreis aktuell: Keine Panik, das lehrt die Geschichte

Ölpreis aktuell: Explosive Lage am Golf – doch der Markt bleibt gelassen

Die Aufmerksamkeit der Ölmarktteilnehmer ist fest auf den Konflikt zwischen Israel und Iran gerichtet. Besorgt blickt man auf mögliche Störungen in der Straße von Hormus und bei iranischen Förderanlagen. Doch die Lage am Ölmarkt ist stabilisierend, und auch der Blick in die Geschichte mahnt zur Besonnenheit. Das berichtet das Wirtschaftsportal Verslo žinios.

Der Ölmarkt reagierte empfindlich auf Israels erste Angriffe gegen den Iran. Der Anstieg des Ölpreises aktuell um 13,5 Prozent infolge der ersten Luftschläge ebbte jedoch schnell wieder ab – nachdem Israel versicherte, keine Ölinfrastruktur anzugreifen. Dennoch bleibt die Lage volatil. Die Ziele der israelischen Militäraktionen sind unklar, und die Liste der iranischen Luftziele wird länger. Am Wochenende traf Israel ein Öllager nahe Teheran. Auch das größte Gasfeld der Welt, South Pars – betrieben von Iran und Katar – wurde beschädigt.

Der Ölpreis stieg nach dem ersten Schock erneut langsam an

„Der Ölpreis legte um weitere 4 Prozent zu und erreichte 76,5 USD/bbl. Aus Sicht der Weltinflation und des globalen Wirtschaftswachstums bleibt dies jedoch ein beherrschbares Niveau – trotz des rapiden Anstiegs um 10 USD/bbl“, analysieren die SEB-Bank-Experten zum Wochenauftakt. Am Donnerstag stieg der Preis weiter leicht: um 0,46 Prozent auf 77,05 USD/bbl. Die amerikanische WTI-Variante verteuerte sich um 0,89 Prozent auf 75,81 USD/bbl. John Evans, Analyst beim Brokerhaus PVM, erklärte in einer Kundenanalyse, dass die Ölmarktteilnehmer derzeit einem „allumfassenden Unbehagen“ ausgesetzt seien. „Der Ölmarkt gewöhnt sich an eine Welt, in der Raketenangriffe zur Normalität gehören. Doch der Zynismus, der dies als Normalzustand akzeptieren würde, hat sich noch nicht durchgesetzt – wegen der potenziellen Eskalationsgefahr“, so Evans.

Gut versorgt

Für etwas Entspannung sorgte am Montag ein Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA), die trotz der angespannten Lage ihre Juni-Prognose veröffentlichte. Für 2025 erwartet die IEA ein tägliches Angebotswachstum von 1,8 Millionen Barrel, während die Nachfrageprognose leicht gesenkt wurde. Die globale Ölnachfrage soll in diesem Jahr laut IEA um 0,724 Millionen bbl/d (barrels per day) steigen – im Vormonat war man noch von 0,741 Millionen bbl/d ausgegangen. „Sofern es zu keinen größeren Störungen kommt, wird der Ölmarkt im Jahr 2025 gut versorgt sein“, stellt die Agentur fest.

Bis zum Ende des Jahrzehnts soll die Nachfrage um 2,5 Millionen bbl/d steigen und mit rund 105,5 Millionen bbl/d ihren Höhepunkt erreichen. Die Produktion wächst im selben Zeitraum um 5,1 Millionen bbl/d und übertrifft damit den Nachfragezuwachs deutlich. 40 Prozent dieses zusätzlichen Angebots entfallen auf Saudi-Arabien und die USA. Iran fördert derzeit rund 3,3 Millionen bbl/d und exportiert 2 Millionen bbl/d – weniger als die nicht genutzten, leicht mobilisierbaren Förderkapazitäten Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, wie die IEA berechnet. Selbst bei schweren Schäden an Irans Ölindustrie bliebe der Weltmarkt somit kontrollierbar.

Das entscheidende Risiko liegt laut SEB jedoch woanders: Eine Eskalation auf andere Staaten der Region sowie mögliche Störungen oder Blockaden in der Straße von Hormus müssten genau beobachtet werden. „Das könnte massive Folgen für die Weltwirtschaft und die Geldpolitik haben“, warnen die Analysten. Fast ein Drittel des globalen Seeölhandels verläuft durch diesen Engpass. „Erhebliche Störungen hier würden genügen, um den Ölpreis auf 120 USD/bbl zu treiben“, so die Experten der niederländischen ING Bank. „In diesem Fall könnten selbst OPEC-Reserven nicht helfen, da sie größtenteils im Persischen Golf liegen.“

Ölpreis-Entwicklung: Die Lehren aus der Geschichte

Konflikte im Nahen Osten und schwankende Ölpreise – ein historisch vertrautes Muster. Wie Duncan Weldon, Autor des Buches Blood and Treasure: the Economics of Conflict from the Vikings to Ukraine, in der Financial Times schreibt, führen geopolitische Spannungen langfristig selten zu dauerhaft höheren Ölpreisen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stieg der Brent-Preis um 5 Prozent, da Anleger mögliche Versorgungsausfälle einpreisten. Doch innerhalb von 14 Tagen fiel der Preis um 25 Prozent – aus Angst vor einem globalen Abschwung und sinkender Nachfrage.

Studien der Europäischen Zentralbank deuten darauf hin, dass geopolitische Schocks die Weltwirtschaft auf zwei Wegen treffen. Kurzfristig wirkt vor allem der Risiko-Kanal. „Finanzmärkte kalkulieren mögliche Angebotsunterbrechungen ein, was den Preis der bestehenden Ölkontrakte steigen lässt – es entsteht eine sogenannte ‚Convenience Premium‘“, erklärt Weldon. Langfristig hingegen greift der Aktivitätskanal: Die geopolitische Unsicherheit dämpft Investitionen und Konsum, behindert möglicherweise auch den Handel – mit entsprechendem Nachfragerückgang. „Anders gesagt: Preissprünge infolge geopolitischer Schocks sind historisch meist von kurzer Dauer“, so Weldon. Selbst der sogenannte „Tankerkrieg“ zwischen Iran und Irak 1981 bis 1988, bei dem rund 200 Öltanker in der Straße von Hormus zerstört wurden, hatte keinen dauerhaften Einfluss auf den Ölpreis – nach einem Anstieg stabilisierte er sich rasch.

Auch die Auswirkungen auf die Finanzmärkte sind oft begrenzt. Nach Berechnungen des IWF führen geopolitische Ereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg kurzfristig zu fallenden Aktienkursen – dieser Effekt ist nach zwölf Monaten meist verpufft. Allerdings gibt es Ausnahmen, die noch heute in den Köpfen von Politik und Wirtschaft spuken: die Ölkrisen 1973 und 1979. Während des Jom-Kippur-Krieges 1973 stellte die OPEC die Lieferung an die USA und andere israelische Verbündete ein. 1979 führten die Unruhen der iranischen Revolution zu einem Förderausfall. Beide Schocks lösten in den USA Rezessionen aus. Vor allem die Krise von 1973 war auch an den Aktienmärkten nachhaltig: Zwölf Monate nach Beginn des Ölembargos lagen die Kurse noch immer deutlich unter dem Vorkrisenniveau.

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