Künstliche Intelligenz als Jahrhundert-Technologie
Der Boom rund um generative KI hält nun schon das dritte Jahr in Folge an. Seit dem Durchbruch von ChatGPT im November 2022 sind Investoren elektrisiert – und zunehmend besorgt. Immer mehr Marktbeobachter warnen vor einer möglichen KI-Blase, die an den Dotcom-Crash der frühen 2000er-Jahre erinnert. Doch Experten mahnen zur Differenzierung: Die aktuelle Entwicklung beruht nicht nur auf Erwartungen, sondern auf einem stabilen technologischen Fundament mit wachsender praktischer Relevanz.
Laut dem jährlich erscheinenden „AI Index“ der Stanford University ist künstliche Intelligenz „auf dem besten Weg, die wichtigste und einflussreichste Technologie des 21. Jahrhunderts zu werden“. Studien von McKinsey vergleichen das Potenzial der KI mit der Erfindung der Dampfmaschine. Langfristig könnte sie dem globalen Unternehmenssektor zusätzliche Produktivitätsgewinne im Wert von rund 4,4 Billionen Dollar bringen. Besonders stark profitieren derzeit die größten börsennotierten Tech-Konzerne, die massiv in KI-Infrastruktur und neue Geschäftsmodelle investieren. Unter ihnen befinden sich drei Unternehmen, die den Sektor dominieren und die Entwicklung entscheidend prägen.
Die neuen Giganten des KI-Zeitalters
An der Spitze steht der Halbleiterhersteller Nvidia. Das Unternehmen liefert mit seinen Hochleistungs-Grafikprozessoren (GPU) die technische Grundlage für KI-Rechenzentren, Visualisierungen und Simulationen. Im Juli überschritt Nvidia die Schwelle von vier Billionen Dollar Marktkapitalisierung – ein historischer Rekord. Heute liegt der Börsenwert bei 4,7 Billionen Dollar, womit Nvidia die schnellste Wertsteigerung in der Geschichte der Wall Street verzeichnete. Auch OpenAI zählt zu den Taktgebern der Branche. Nach dem Abschluss einer Mitarbeiterbeteiligung wurde das Unternehmen mit 500 Milliarden Dollar bewertet – mehr als jedes andere private Start-up weltweit. Die ChatGPT-Entwickler kündigten bereits an, sich in eine gewinnorientierte Struktur umzuwandeln, um künftig an die Börse zu gehen. Im September schloss OpenAI eine Vereinbarung mit Microsoft, die diesen Schritt ermöglicht. Zudem kaufte das Unternehmen Chips im Wert von 100 Milliarden Dollar von Nvidia und schloss weitere Deals mit AMD und Oracle ab, darunter eine Vereinbarung über den Erwerb von 300 Milliarden Dollar Rechenleistung. Google-Mutter Alphabet investiert ebenfalls aggressiv: Das Unternehmen erhöhte seine diesjährigen Investitionsausgaben auf 85 Milliarden Dollar, um die steigende Nachfrage nach Cloud-Diensten und KI-Anwendungen zu bedienen. Hinzu kommen milliardenschwere Übernahmen, etwa der Kauf des Start-ups Windsurf für 2,4 Milliarden Dollar.
Einen Sonderfall bildet Elon Musks xAI. Innerhalb weniger Monate errichtete das Unternehmen in Tennessee den Supercomputer „Colossus“, ausgestattet mit 100.000 Nvidia-GPUs. Damit entwickelte xAI die „Grok“-Modelle, die heute zu den leistungsfähigsten der Welt zählen. Der Zugriff auf Teslas Daten und Robotik-Systeme verschafft xAI einen entscheidenden Vorteil im Rennen um die Verbindung von KI und realer Maschinenintelligenz. Meta und Apple hingegen versuchen, den Rückstand aufzuholen. Meta investierte allein im Juni 15 Milliarden Dollar in das Start-up Scale AI, um seine KI-Modelle zu verbessern. Apple wiederum stockte seine Investitionen in KI-Technologien auf und plant, die Technologie schrittweise in alle Produkte zu integrieren. Auch wenn Apple bislang kein eigenes Sprachmodell präsentiert hat, sehen Experten im enormen Datenschatz des Unternehmens ein gewaltiges Potenzial.
Zwischen Hype und Realität: Wie groß ist die KI-Blase wirklich?
Die Investitionen in künstliche Intelligenz steigen weiter rasant – ebenso die Aktienkurse der beteiligten Unternehmen. Diese Entwicklung weckt Erinnerungen an die „New Economy“ der 2000er-Jahre. Jamie Dimon, Chef von JPMorgan Chase, warnte jüngst vor einer „ernsthaften Marktkorrektur“ in den nächsten sechs bis 24 Monaten. Die Wahrscheinlichkeit dafür liege eher bei 30 als bei 10 Prozent, sagte Dimon der BBC. Während manche Beobachter von einer gefährlichen Überhitzung sprechen, sehen andere einen substanziellen technologischen Fortschritt. „Viele große Player verdienen tatsächlich Geld – anders als zur Zeit der Dotcom-Blase“, sagt der litauische Analyst Martynas Kairys. Dennoch seien Bewertungsniveaus teilweise extrem, und kleinere, unprofitable Start-ups könnten bei einer Marktkorrektur massiv verlieren. Der Wissenschaftler Linas Petkevičius von der Universität Vilnius widerspricht der Blasen-These aus technologischer Sicht: „Wir erleben keinen spekulativen Hype, sondern eine Phase intensiver Innovation.“ Die Zahl der Forscher, die von klassischen Disziplinen wie Optimierung und Statistik in die KI-Forschung wechseln, habe sich in drei Jahren vervielfacht. Das führe zu neuen, effizienteren Modellen, die kleinere Datensätze benötigen und zuverlässiger arbeiten. Ökonomisch betrachtet, könnte jedoch eine globale Abschwächung oder Rezession die KI-Blase tatsächlich platzen lassen. Steigende Kreditausfälle und Jobverluste durch Automatisierung würden die Bewertung vieler Tech-Konzerne unter Druck setzen.
In Deutschland wird die Debatte mit besonderem Interesse verfolgt. Viele Mittelständler testen KI-Lösungen in Produktion, Logistik und Verwaltung, während Politik und Industrieverbände vor einer Überbewertung warnen. Noch ist unklar, ob sich der aktuelle KI-Hype als nachhaltige Transformation oder als spekulative KI-Blase erweist – doch der Ausgang wird auch für die deutsche Wirtschaft entscheidend sein.