Vertriebshaftung: Die Quittung für Anlegeranwälte

Die beiden jüngsten BGH-Urteile geben dem Vertrieb in Haftungsprozessen bessere Karten als bisher und zwingen die Gerichte, genauer hinzusehen. Groteske Rechenfehler wie in einem der Fälle werden dann vielleicht seltener.

Es sind zwei wichtige Urteile zur Vertriebshaftung, die der Bundesgerichtshof (BGH) in der vergangenen Woche veröffentlicht hat. Vor allem die Entscheidung zur Beweislast bezüglich der Übergabe des Prospekts an den Anleger stellt wieder eine angemessene prozessuale Waffengleichheit zwischen Anlegern und Finanzdienstleistern her (III ZR 565/16).

Bisher hatten es die Anlegeranwälte zu leicht: Normalerweise muss ein Kläger die Pflichtverletzung des Beklagten beweisen, im Finanzvertrieb jedoch führte die bislang vorherrschende Rechtsprechung nicht selten zu einer faktischen Beweislastumkehr, weil beklagte Vermittler auch unbewiesenen Vorwürfen “substantiiert” entgegentreten müssen.

So konnten die Anleger alle möglichen Pflichtverletzungen des Vertriebs einfach behaupten: Prospekt nicht übergeben, Totalverlustrisiko verschwiegen, nicht auf die eingeschränkte Fungibilität hingewiesen und so weiter. Das Gegenteil solcher “negativen Tatsachen” lässt sich – Jahre nach dem Vermittlungsvorgang – oftmals kaum beweisen.

Holzschnittartige Vorwürfe

Soweit zu hören ist, nutzen Anlegeranwälte dies bisher weidlich aus und bringen ohne Differenzierung im Einzelfall und selbst in Massenverfahren holzschnittartig die immer gleichen Vorwürfe vor – nicht selten losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten oder sogar im Widerspruch zu den von den Anleger unterschriebenen Bestätigungen.

Dem schiebt der BGH nun einen Riegel vor. Die Anlegeranwälte haben den Bogen offenbar überspannt und nun die Quittung erhalten. Denn künftig haben Vermittler deutlich bessere Karten: Wenn sie glaubhaft belegen können, dass auch sie den Sachverhalt „mit zumutbaren Mitteln“ nicht aufklären können, liegt der Schwarze Peter der Beweislast wiederum beim Anleger.

Denn laut BGH kann der Vertrieb den Vorwurf dann auch mit “Nichtwissen” erfolgreich bestreiten. Konkret ging es um die Übergabe des Prospekts, doch der Grundsatz gilt offenbar auch für andere behauptete Pflichtverletzungen des Vertriebs und entlastet ihn entsprechend.

BGH kassiert OLG-Urteil gegen Vertrieb

Die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Celle, hatte den Vertrieb noch zum Schadenersatz verdonnert und laut BGH postuliert, er müsse auch bei einem unbewiesenen Vorwurf “aktiv darlegen, (…) wie im Einzelfall beraten beziehungsweise aufgeklärt worden sei”.

Mit dieser Sichtweise haben es sich auch die Gerichte zu leicht gemacht und Urteile auf Basis unbewiesener Behauptungen gefällt. Künftig müssen sie genauer hinsehen. Doch der BGH kassiert nicht nur die “vollständig umgekehrte” Darlegungslast, sondern geht hinsichtlich der Prospektübergabe noch einen Schritt weiter.

In dem entschiedenen Fall kommt nämlich noch ein Punkt hinzu, der in der Klagepraxis dem Vernehmen nach ebenfalls nicht selten ist: Der Anleger hatte im Prozess behauptet, den Prospekt nicht erhalten zu haben, obwohl er dies auf dem Zeichnungsschein bestätigt hatte (ohne Datum der Übergabe).

Das kann laut BGH nicht unberücksichtigt bleiben und muss vom OLG Celle nochmals untersucht werden. Das ist auch gut so. Zwar dürfte es durchaus vorkommen, dass Anleger den Zeichnungsschein ungelesen unterschreiben. Dennoch ist es korrekt, sie nicht vollständig aus der Verantwortung zu entlassen und die Unterschrift nicht gänzlich zu ignorieren.

Schon im Sommer hatte der BGH bezüglich einer (angeblich) “blinden” Unterschrift unter die Beratungsdokumentation entschieden, dass eine “umfassende Würdigung des Einzelfalls” erforderlich ist (III ZR 296/15). Weder kann also der Anleger generell bestreiten, den Inhalt gekannt zu haben, noch kann der Vertrieb ihn ohne nähere Prüfung auf das “Kleingedruckte” festnageln.

Datum keine “negative Tatsache”

Die Gerichte müssen sich also die Mühe machen, der Sache individuell auf den Grund zu gehen und können die Fälle nicht im Schnellverfahren pauschal aburteilen. Bemerkenswert sind in der aktuellen Entscheidung die Rechtsfolgen, falls der Prospekt nach Überzeugung des Gerichts tatsächlich übergeben wurde und nur das Datum unbekannt ist.

In diesem Fall handelt es sich nicht um eine “negative Tatsache” und der Anleger muss den Zeitpunkt alleine beweisen, so der BGH. Der Vertrieb ist dann nicht zur Mithilfe an der Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet, auch nicht „mit zumutbaren Mitteln“. Das dürfte nicht wenigen Vermittlern den Hals retten.

Zweite Entscheidung pro Vertrieb

Ebenfalls Entlastung für den Vertrieb – genauer gesagt: Die Vermeidung neuer Haftungsrisiken bei einer Vielzahl von Fonds – bringt das zweite BGH-Urteil, das vergangene Woche veröffentlicht wurde. Demnach müssen Prospekte von Private-Equity-Dachfonds regelmäßig nicht die genauen Kosten der Zielfonds enthalten, auch dann nicht, wenn bereits einzelne Zielfonds ausgewählt wurden (III ZR 254/15).

Dieses Urteil ist auch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Es belegt, mit welch absurden Entscheidungen der unteren Instanzen sich der Vertrieb teilweise herumschlagen muss. So meinte das OLG Karlsruhe herausgefunden zu haben, die „Weichkosten“ des Fonds hätten inklusive der Kosten auf Zielfonds-Ebene über 15 Prozent gelegen und wären daher nach der BGH-Rechtsprechung aufklärungspflichtig gewesen.

Der BGH weist darauf hin, dass es bei der 15-Prozent-Grenze nicht um „Weichkosten“ gehe, sondern um die Vertriebsprovision. Hierzu auch die Managementgebühren auf Zielfondsebene zu zählen, war ohnehin schon ziemlich gewagt und wurde vom BGH kassiert. Noch weitaus skurriler allerdings ist die Berechnung des OLG zu den Kosten, die angeblich von den sechs bereits ausgewählten Zielfonds verursacht wurden.

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