Agile Strategieumsetzung mit Hoshin Kanri

Bei der Strategieumsetzung in Unternehmen werden oft Insellösungen produziert – unter anderem, weil keine bereichsübergreifende Abstimmung der Ziele erfolgt. Zudem fehlt beim Umsetzen der Maßnahmen im Betriebsalltag die nötige Flexibilität. Diese Probleme lassen sich mit dem Managementsystem Hoshin Kanri lösen.

 

Immer wieder registriert man in Unternehmen: Das Top-Management beschließt eine neue Strategie und ist von ihr begeistert. Doch dann beginnt die Strategieumsetzung, und nach einiger Zeit stellt die Unternehmensspitze frustriert fest: Leider entfaltet die Strategie die gewünschte Wirkung nicht – nicht weil sie schlecht oder falsch wäre, sondern weil

  • die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter auf der operativen Ebene die Strategie nur bedingt mittragen,
  • nicht wissen, auf welche (Teil-)Ziele sie ihre Aktivitäten fokussieren sollen,
  • ihnen die Kompetenz fehlt, um die Strategie im Arbeitsalltag umzusetzen, und
  • in den Abteilungen und Bereichen ein Silodenken dominiert, weshalb sie „Insellösungen“ produzieren.

Diese Schwächen bei der Strategieplanung und -umsetzung hilft das Managementsystem Hoshin Kanri zu vermeiden, indem

  • die Führungskräfte top-down in den Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzungsplanung involviert werden,
  • sogenannte „Durchbruchziele“ definiert werden, auf die die gesamte Organisation ihre Energie fokussiert,
  • eine crossfunktionale Abstimmung der (Detail-)Ziele und Maßnahmen zwischen den Bereichen und Abteilungen erfolgt und
  • den Mitarbeitern die Kompetenz vermittelt wird, ihre Leistung sukzessiv zu erhöhen.

Dabei lautet das übergeordnete Ziel: In der Organisation sollen die (Führungs-)Kompetenzen aufgebaut sowie die Kultur und Struktur geschaffen werden, die nötig sind, damit das Unternehmen langfristig erfolgreich ist.

Das Silodenken überwinden

Beim Hoshin Kanri spielt der aus dem Lean Management bekannte PDCA-Zyklus eine Schlüsselrolle. Das heißt, der Hoshin-Prozess besteht aus den vier Phasen

  • Plan (Vereinbaren der Ziele und Maßnahmen),
  • Do (die Mitarbeiter und Führungskräfte befähigen),
  • Check (die Entwicklung sichtbar machen und überprüfen) und
  • Act (neue Standards implementieren).

Bei Hoshin Kanri entwickelt das Top-Management die Vision jedoch mit allen Führungskräften der nächsten Ebene. Dasselbe gilt für die aus der Unternehmensvision und -strategie abgeleiteten Durchbruchziele, auf die das Unternehmen seine Aktivitäten in den kommenden drei bis fünf Jahren fokussiert. Auch sie werden in sogenannten Zielklausuren vom Top-Management und den (oberen) Führungskräften erarbeitet. Hieraus werden dann die jährlichen Hoshin-Ziele abgeleitet, die die Meilensteine auf dem Weg zum Erreichen der Durchbruchziele sind.

 

Die Hoshin-Ziele werden nach ihrer Festlegung wie beim Management by Objectives („Führen mit Zielen“) auf die nächsten Ebenen kaskadiert. Ein zentraler Unterschied ist jedoch: Nach dem Definieren der Ziele und Erstellen der Pläne erfolgt eine crossfunktionale Abstimmung auf allen Ebenen in einem sogenannten Catchball-Prozess. Das heißt, in den Zielklausuren haben alle Teilnehmer wie bei einem Ballspiel die Möglichkeit, zunächst Ideen hin und her zu „werfen“, bevor eine Verständigung auf Ziele, Maßnahmen und Kennzahlen erfolgt.

Die Führungskompetenz erhöhen

In vielen Unternehmen wird fleißig geplant, doch, wenn die Umsetzung ansteht, passiert wenig – auch weil den Mitarbeitern wichtige Kompetenzen fehlen. Ein weiteres Manko ist: Die Zielvorgaben sind nicht ausreichend in den Arbeits- und Führungsalltag integriert. Deshalb legt Hoshin Kanri ein besonderes Augenmerk darauf, bei den Führungskräften und Mitarbeitern die erforderlichen (Leadership-)Fähigkeiten zu entwickeln,

  • um den Strategieumsetzungsprozess im Arbeitsalltag mit der nötigen Flexibilität zu steuern und
  • herausfordernde Ziele zu erreichen.

Dabei orientiert sich die Führungskräfteentwicklung meist am Lean Leadership-Development-Modell (siehe Kasten).

Zudem erhalten die Mitarbeiter Werkzeuge, um neben dem Tagesgeschäft die vereinbarten Verbesserungsinitiativen zu ergreifen. Eines dieser Instrumente sind die A3-Reports. Sie gehen auf den Wirtschaftsingenieur Joseph M. Juran zurück. Er empfahl vor circa 60 Jahren japanischen Top-Managern, Problemlösungen und Strategien auf einem Blatt Papier darzustellen.

Ein A3-Report soll den Prozess der Problemlösung transparent machen – unter anderem, um bei den Mitarbeitern die Kompetenz zu entwickeln (allein oder im Team), Probleme eigenständig zu lösen. Ein A3-Report spiegelt sozusagen den Denkprozess bei der Problemlösung wider.

Stabile Prozesse installieren

Insbesondere in der Check-Phase von Hoshin Kanri spielt das Shopfloor-Management eine zentrale Rolle. Denn eine Maxime von Hoshin Kanri lautet: Statt mit administrativen Aufgaben sollen sich die Führungskräfte mit den wertschöpfenden Prozessen befassen: „Go and see“ statt „meet and mail“.

Durch die regelmäßige Präsenz der Führungskräfte in den wertschöpfenden Bereichen werden Entscheidungen beschleunigt. Dies ist auch nötig, um bei unerwarteten Problemen bei der Strategieumsetzung die nötige Flexibilität und Agilität zu zeigen.

Ein übergeordnetes Ziel hierbei ist: In der Organisation sollen stabile Prozesse installiert werden, um ein zufallsunabhängiges Erreichen der geplanten Ergebnisse zu gewährleisten. Das heißt, die Abläufe werden standardisiert. Dabei wird die Standardisierung jedoch als ein fortlaufender Prozess gesehen. Das heißt: Die definierten Standards sind keine „heiligen Kühe“. Sie dürfen bei Bedarf „geschlachtet“, also über Bord geworfen werden. Deshalb existiert auch ein standardisierter Problemlöseprozess. Er wird bei (Ziel-)Abweichungen oder einer Veränderung der Rahmenbedingungen ausgelöst.

 

Die hierfür nötige Kommunikation erfolgt in täglichen Shopfloor-Meetings. In ihnen werden die Mitarbeiter immer wieder auf die Hoshin-Ziele fokussiert, indem die Performance des Vortags und die Ziele für den heutigen Tag besprochen werden.

Auch agile Skalierung erfordert Standardisierung

 

Das mit dem Managementsystem Hoshin Kanri verbundene Streben, das Erreichte durch Standardisierung zu sichern, scheint dem aktuellen Ziel vieler Unternehmen zu widersprechen, schneller und agiler auf neue Herausforderungen reagieren zu können – weshalb sie in ihrer Organisation Strukturen schaffen, die den Arbeitsteams ein selbstbestimmteres Arbeiten ermöglichen.

Diese „Autonomie“ birgt jedoch die Gefahr, dass in der Organisation erneut Wissensinseln entstehen und Insellösungen produziert werden. Deshalb stehen gerade Unternehmen, deren Ziel es ist, dass die gesamte Organisation agiler und flexibler beispielsweise auf Marktveränderungen reagiert, vor folgender Herausforderung:

  • Einerseits müssen sie auf der Bereichs- und Teamebene die Rahmenbedingungen schaffen, die für ein agiles Arbeiten nötig sind,
  • andererseits müssen sie für ein gewisses Alignment – also ein Sich-verständigen auf gemeinsame Ziele und ein verbindliches Vorgehen – sorgen, damit eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit funktioniert.

Das Alignment darf jedoch kein bürokratischer Moloch aus starren Regeln sein. Die Standards müssen vielmehr als Hilfsmittel verstanden werden, um die gewünschte Qualität zuverlässig zu produzieren und die angestrebten Ziele zu erreichen.

Agile Strategieumsetzung erfordert agilen Mindset

Diesen Mindset, bei allen Mitarbeitern zu entwickeln, ist eine komplexe Management- und Führungsaufgabe. Deshalb darf beim Einführen von Hoshin Kanri sowie bereichs- und hierarchieübergreifenden Abstimmen der Ziele keinesfalls der mit dem Managementsystem verknüpfte Personal- und insbesondere Führungskräfteentwicklungsgedanke vergessen werden: Sonst fehlen den Mitarbeitern insbesondere auf der Shopfloor-Ebene im Betriebsalltag die nötigen Unterstützer.

Dr. Daniela Kudernatsch

Zur Autorin: Dr. Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung KUDERNATSCH Consulting & Solutions in Straßlach bei München, die Unternehmen beim Umsetzen ihrer Strategie im Betriebsalltag unterstützt. Sie ist Autorin des Buch „Hoshin Kanri: Policy Deployment durch agile Strategieumsetzung“, von dem im April 2019 die 2. überarbeitete und erweiterte Auflage erschien (Internet:www.kudernatsch.com).

Schreibe einen Kommentar