„Von Zinserhöhungen ist Europa weit entfernt“
Von Tobias Stöhr, Börsenexperte bei Spectrum Markets
„Mit Ausscheiden von Bundesbankpräsident Weidmann verliert der EZB-Rat eine mahnende Stimme gegen die zunehmenden Inflationsrisiken. EZB-Präsidentin Christine Lagarde muss sich entscheiden, ob sie Weidmanns hawkisher Linie folgen und damit das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP zurückfahren, oder ob sie lieber der Mehrheit im EZB-Rat folgt und weiter am PEPP festhalten wird. So oder so: Von Zinserhöhungen ist Europa weit entfernt. Damit wird sich auch die Gefahr einer weiter zunehmenden Inflation verfestigen und könnte den Euro in starke Bedrängnis bringen.
In den USA scheint man die Inflationssorgen ernster zu nehmen. Auch hier stehen Anleihenankaufprogramme zunächst möglichen Zinserhöhungen im Weg. Doch im Unterschied zur EZB ist man gewillt, das Notfallprogramm schneller zu beenden, um den Weg frei für erste Zinserhöhungen zu machen. Da aber andererseits die Corona-Sorgen nach wie vor nicht aus dem Weg geräumt sind, besteht die Gefahr, dass die USA ins offene Messer läuft und das Pflänzchen der Konjunktur im Keim erstickt wird.
Ganz anders sieht es in Norwegen aus: Die norwegische Zentralbank hat eine deutlich optimistischere Sichtweise auf die Wirtschaft. Der bereits angehobene Zins wird daher vermutlich ein weiteres Mal nach oben korrigiert werden können. Die norwegische Krone rückt damit auch in das Interesse vieler Anleger.
Auch in Großbritannien treffen sich die Gremien der Bank of England. In London scheint man die Entwicklungen in Frankfurt und Washington genau im Blick zu haben. Ursprünglich hatte die Bank of England an der hawkishen Linie der Fed Gefallen gefunden, denn auch Großbritannien kämpft mit steigenden Inflationsraten, weshalb die Zentralbanker mit Zinserhöhungen liebäugeln. Doch die jüngsten wirtschaftlichen Rückschläge vor dem Hintergrund von Omikron und den anhaltenden Personal- und Lieferengpässen mahnen zur Vorsicht. Eine allzu voreilige Zinserhöhung könnte eine Stagflation heraufbeschwören. Das muss die Bank of England unbedingt vermeiden.“
EZB: Vereinfachung ist das Gebot der Stunde
Von Dr. Andreas Billmeier, europäischer Volkswirt bei Western Asset Management, Teil von Franklin Templeton
„Wir glauben, dass Vereinfachung das Gebot der Stunde für die EZB ist – die Programme zum Ankauf von Vermögenswerten fallen weltweit schnell in Ungnade und die Inflationsdynamik wird das Gespräch auf absehbare Zeit dominieren.
Für die neuen Prognosen erwarten wir, dass die EZB die Gesamtinflationsprognose für das nächste Jahr deutlich auf über 2 Prozent anheben wird, was die Kommunikation einer geduldigen Haltung erschwert. In den letzten Wochen haben mehrere EZB-Sprecher bestätigt, dass die Zentralbank das PEPP wie geplant Ende März 2022 beenden will, ungeachtet der neuen und immer noch steigenden Unsicherheiten rund um die Omikron-Variante.
Wir glauben jedoch, dass die EZB die Ankäufe von Vermögenswerten nicht von der derzeitigen kumulativen Rate von rund 100 Mrd. pro Monat für PEPP und APP auf die derzeitige Rate des APP von nur 20 Mrd. zwischen März und April nächsten Jahres reduzieren will, da diese rasche Reduzierung der Liquiditätsbereitstellung erhebliche Turbulenzen in den europäischen Renditekurven und eine deutliche Verschärfung der Finanzierungsbedingungen auslösen könnte.
Daher könnte die EZB entweder ihre Käufe im Rahmen des PEPP im Laufe des ersten Quartals 2022 verringern (und möglicherweise die Anleihekäufe im Rahmen des APP erhöhen) oder nach dem ersten Quartal mit einem allmählichen Auslaufen ihrer Käufe beginnen. Wenn der letztere Weg gewählt wird, muss die EZB zwischen der Einführung eines weiteren begrenzten Kaufprogramms zusätzlich zum APP – aber flexibler als dieses – oder einer einfachen Erhöhung des APP für Q2 von der aktuellen Rate auf etwa 40-50 Mrd. wählen
Wir glauben, dass die Hürde für die Schaffung eines weiteren Ankaufsprogramms im Zusammenhang mit der Beendigung eines anderen Programms (PEPP) sehr hoch ist und erwarten, dass die EZB zumindest für das zweite Quartal höhere Ankäufe im Rahmen des APP tätigen wird. Wir gehen davon aus, dass griechische Schuldtitel für Käufe im Rahmen des APP in Frage kommen werden.
Wir sind besorgt, dass ein Versuch des EZB-Rats, einige der Entscheidungen über die Höhe der Käufe im 2. Quartal auf die EZB-Sitzung im Februar zu verschieben, zu erheblichen Turbulenzen an den traditionell illiquiden Märkten zum Jahresende führen könnte.
Wir gehen davon aus, dass die europäischen Zinssätze bei so gut wie jedem Ergebnis steigen werden, sobald sich die technischen Bewegungen zum Jahresende verflüchtigt haben, wobei die Kurven im Jahr 2022 wahrscheinlich steiler werden.“