Durch das Online-Coachen haben sich die Interventionsmöglichkeiten der Coaches stark erhöht. Diese gilt es gezielt zu nutzen.
Der Coachingmarkt hat sich fundamental gewandelt. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie lautete ein Glaubenssatz fast aller Coaching-Anbieter „Coaching setzt ein persönliches Treffen zwischen dem Coach und dem Coachee, also der zu coachenden Person, voraus“.
Begründet wurden die Vorbehalte gegen ein Online- oder Telefon-Coaching meist damit, dass ein effektives Coaching eine von Vertrauen geprägte Beziehung zwischen den Prozessbeteiligten voraussetze – unter anderem damit der Coachee offen über seine Probleme und Ängste spricht.
Coaching ist mehr als ein Reparatur-Instrument
Hinter dieser Annahme steckt ein Coachingverständnis, das grundsätzlich von einem in der Person bzw. Persönlichkeit des Coachees verankerten Defizit ausgeht, das es sozusagen therapeutisch zu bearbeiten gilt. Das Coaching wird also primär als ein Reparatur- und nicht als ein Entwicklungsinstrument gesehen. Ein solches Coachingverständnis mag im B2C-Bereich, wenn es um das Lösen manifester persönlicher Probleme geht, partiell berechtigt sein, inwieweit dies aber im B2B-Bereich der Fall ist, war auch schon vor der Corona-Pandemie fraglich – denn beim Business-Coaching geht es oft schlicht darum, andere Menschen beim Lösen für sie neuer Aufgaben oder Herausforderungen im Beruf zu unterstützen und zu begleiten.
Trotzdem hinterfragten die meisten Coaches ihre Vorbehalte gegen das Online-Coaching erst, als corona-bedingt Präsenz-Coachings nicht mehr möglich waren. Das Wegbrechen ihrer bisherigen Einnahmequellen veranlasste viele dazu, sich sozusagen über Nacht das erforderliche technische Equipment zuzulegen, um künftig auch Online-Coachings anzubieten. Dabei sammelten sie die Erfahrung, dass das Online-Coachen aus Sicht ihrer Kunden viele Vorzüge hat (siehe Kasten). Diese meldeten ihnen beispielsweise zurück, dass Online-Coachings leichter in ihren Alltag integrierbar seien; außerdem, dass diese oft eine ebenso hohe Wirkung wie Präsenz-Coachings hätten.
Coaches mussten viele Lernprozesse durchlaufen
Inzwischen haben die meisten Coaches eine gewisse Routine im Online-Coachen entwickelt. Sie verfügen also über die nötige Digitalkompetenz und Erfahrung in der Nutzung der erforderlichen Technik. In einem oft ernüchternden Lernprozess sammelten sie dabei jedoch zugleich die Erfahrung, dass beim Online-Coachen aufgrund der anderen Rahmenbedingungen auch ein teils anderes Vorgehen als beim Präsenz-Coaching nötig ist – unter anderem, um trotz der beschränkten Wahrnehmung des Gegenübers eine Vertrauensbeziehung zum Coachee aufzubauen.
Vielen Coaches wurde zudem erst mit der Zeit bewusst, dass man auch beim Online-Coachen geeignete Tools braucht, um mit den Coachees zum Beispiel
- komplexe Sachverhalte zu analysieren,
- ihnen (Wirk-)Zusammenhänge aufzuzeigen oder
- ihr Feedback einzuholen
und dass deren professioneller Einsatz eine gewisse Routine erfordert.
Hybride Coaching-Konzepte boomen
Eine wichtige Erkenntnis vieler Coaches war zudem: Beim künftigen Gestalten von Coaching-Prozessen geht es – anders als zunächst befürchtet – nicht um ein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als-auch“. Das heißt, es gilt die verschiedenen Coachingformen vom Präsenz-Coaching, über das Online- und Telefon-Coaching bis hin zum E-Mail-Coaching und sogar mittels Coaching-Apps themen- und teilnehmerabhängig jeweils so zu kombinieren, dass sie
- aus Klientensicht die beste Input-Out-Relation erzielen sowie
- den Bedürfnissen des Coaches entsprechen.
Solche hybriden Coaching-Formate boomen aktuell nicht nur im B2B-Bereich. So finden zum Beispiel Anwendung bei komplexen Coachingthemen, die auch eine Einstellungs- und Verhaltensänderung der Coachees erfordern. Bei ihnen finden die ersten Treffen oft als Präsenzcoaching statt, um eine persönliche Vertrauensbeziehung aufzubauen. Steht diese jedoch, finden die Coachings zunehmend virtuell statt, um Zeit und Geld zu sparen und da diese leichter in den Alltag der Coachees integrierbar sind.
Oft niedrigere Hemmschwellen beim Online-Coaching
Nicht selten stellen Telefon- und Online-Coachings jedoch auch den Auftakt zu längerfristigen Coaching-Prozessen dar. Die Praxis zeigt nämlich: Wenn Personen ein akutes Problem haben, für das sie aus ihrer Warte rasch zumindest eine vorläufige Lösung brauchen, präferieren sie es oft, zunächst online mit einem Coach zu konferieren statt unmittelbar ein persönliches Treffen zu vereinbaren.
Ähnliches gilt für schambesetzte Themen. Bei ihnen fällt es Menschen oft leichter, sich zunächst per Telefon oder online einem Coach zu öffnen als bei einem persönlichen Treffen – auch weil das Coaching dann in einer für sie gewohnten Umgebung stattfindet, in der sie sich sicher fühlen. Zudem können sie das Coaching jederzeit abbrechen.
Sabine Prohaska
Zur Autorin: Sabine Prohaska ist Inhaberin des Wiener Trainings- und Beratungsunternehmens seminar consult prohaska, das unter anderem (Online-)Trainer und Coaches ausbildet und Unternehmen beim Einführen einer hybriden Lern- und Arbeitskultur unterstützt. (Internet: www.seminarconsult.at