Börsencrash-Szenario und wachsende Instabilität an den Kreditmärkten
An den internationalen Finanzmärkten mehren sich die Anzeichen für zunehmende Instabilität, die im Extremfall in einen Börsencrash münden könnten, insbesondere im Bereich der privaten Kreditvergabe. Große außerbörsliche Unternehmen verzeichnen Insolvenzen, in Fonds für Privatkredite tun sich Finanzierungslücken auf und auch Banken sowie Versicherer sind betroffen. Gleichzeitig verschärfen sich globale Handelsbedingungen durch Zölle und eine spürbare Abschwächung der weltweiten wirtschaftlichen Aktivität. Professionelle Investoren reagieren zunehmend nervös. Wie der Economist berichtet, genügt es, das Jahr 2007 zu erwähnen, um bei erfahrenen Marktteilnehmern Alarmbereitschaft auszulösen. Pessimistischere Anleger erkennen Parallelen zurzeit unmittelbar vor der globalen Finanzkrise.
Ein Blick auf die aktuellen Marktdaten zeigt deutlich, dass sich Ungleichgewichte aufgebaut haben. In den vergangenen Wochen ist der Renditeabstand zwischen amerikanischen Unternehmensanleihen und US-Staatsanleihen auf den niedrigsten Stand seit 2007 gefallen. Hochrisikoanleihen, sogenannte Junk Bonds, werfen fast nur noch die Hälfte der Rendite ab wie im langjährigen Durchschnitt. Statt üblicher 4,5 Prozentpunkte über Staatsanleihe-Renditen liegen die Aufschläge aktuell nur noch bei etwa 2,8 Prozentpunkten. Ungewöhnlich ist zudem, dass selbst erstklassige Unternehmen wie Microsoft auf ihre Anleihen geringere Renditen bieten als die US-Regierung. Diese Konstellation deutet darauf hin, dass Risiko am Markt massiv unterbewertet wird und bei einer Fehlbewertung ein Börsencrash ausgelöst werden könnte.
Ignorierte Frühindikatoren und schwächelnde Realwirtschaft
Während Investoren weiter Kapital in risikoreiche Anleiheprodukte lenken, zeigen zentrale Indikatoren der Realwirtschaft klare Schwächesignale. In den USA liegt der Anteil notleidender Autokredite bei rund fünf Prozent und damit auf dem höchsten Stand seit fünf Jahren. Der Absatz von Nutzfahrzeugen ist stark gesunken, was traditionell als Indikator für die Dynamik des Handels- und Industriesektors gilt. Auch die Arbeitslosigkeit steigt bereits, obwohl die Auswirkungen der US-Zollpolitik auf die Binnenwirtschaft erst langsam zu greifen beginnen. Beratungshäuser wie EY warnen vor nachlassendem Wachstum und Think Tanks wie The Conference Board verzeichnen einen Rückgang des Index der führenden Wirtschaftsindikatoren. Die Inflation in den Vereinigten Staaten bleibt gleichzeitig hartnäckig. In der Europäischen Union zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Industrie kämpft insbesondere in den Bereichen Automobil, Chemie und Stahl mit strukturellen Nachteilen. Die EU verliert an Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Energiekosten und dichte Regulierung. Trotz politischer Ankündigungen bleiben nachhaltige Erfolge aus, und auch neue Aufträge in Deutschland steigen kaum.
Zwei große Insolvenzen erschüttern den US-Markt
Innerhalb weniger Wochen haben zwei Unternehmenspleiten die Risiken der privaten Kreditmärkte offengelegt. Zuerst meldete das texanische Unternehmen Tricolor Holdings Insolvenz an. Das Unternehmen war auf den Verkauf gebrauchter Fahrzeuge spezialisiert und vergab eigene Kredite an Kunden, die von klassischen Banken keine Finanzierung erhalten hätten. Kurz zuvor hatte die Fifth Third Bank, ein börsennotiertes Institut, mitgeteilt, dass sie wegen aufgedeckter Betrugsfälle bei Tricolor Holdings bis zu 200 Millionen US-Dollar verlieren könnte. Tags darauf folgte der Insolvenzantrag. Auch Banken wie JP Morgan mit rund 200 Millionen US-Dollar Engagement und Barclays sind betroffen. Insgesamt gibt es etwa 25.000 Gläubiger und Verbindlichkeiten von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Ermittlungen ergaben, dass Tricolor Fahrzeuge mehrfach als Sicherheit für verschiedene Kreditlinien hinterlegt hatte, rund 40 Prozent der gesamten Kreditstruktur.
Nur gut zwei Wochen nach Tricolor folgte die Pleite von First Brands, einem Hersteller von Autoteilen. Die Insolvenz wurde ausgelöst durch Sorgen der Gläubiger über verdeckte langfristige Verbindlichkeiten, die durch Factoring-Strukturen und außerbilanzielle Finanzierungen verborgen worden waren. First Brands gab an, Schulden von 10 bis 50 Milliarden US-Dollar zu haben, bei Vermögenswerten zwischen einer und zehn Milliarden US-Dollar. Die Investmentbank Jefferies ist über ihren Fonds Leucadia Asset Management mit 715 Millionen US-Dollar exponiert, UBS mit etwa einer halben Milliarde US-Dollar. Diese Summen verdeutlichen, wie stark traditionelle Finanzinstitute bereits mit privaten Kreditstrukturen verflochten sind und wie sich eine solche Dynamik in Richtung eines Börsencrash entwickeln könnte.
Private Kreditfonds als möglicher Übertragungskanal für eine Krise
Die Ratingagentur Fitch warnt vor einem neuen systemischen Risiko. Private Debt Fonds, ursprünglich als Nischenprodukte für institutionelle, fachkundige Anleger gedacht, haben sich rasch ausgebreitet und sind inzwischen zu einem relevanten Bestandteil der globalen Kapitalmärkte geworden. Neben Pensionskassen und vermögenden Investoren wurden zunehmend auch Kleinanleger in diese Fonds gezogen. Banken und Versicherer stellten zusätzlich Fremdkapital bereit. Diese Verflechtung macht den Sektor anfällig für Kettenreaktionen. Laut Fitch könnte die weite Verbreitung privater Kreditvergabe nicht nur institutionelle Anleger, sondern auch private Haushalte und soziale Sicherungssysteme betreffen. Ein breiter Schock könnte den Zugang zu Kapital massiv einschränken und das Vertrauen in Finanzmärkte erschüttern, was im Extremfall zu einem Börsencrash führen könnte. Noch spricht Fitch nicht von einer akuten systemischen Gefahr, warnt aber, dass das schnelle Wachstum und die zunehmende Vernetzung des Sektors seine Sprengkraft deutlich erhöhen.
Auch Versicherungen geraten nun in den Fokus der Krise. Große Anbieter wie Allianz, Coface und AIG haben Kredite an Unternehmen wie First Brands abgesichert und erwarten nun hohe Ansprüche entlang der gesamten Lieferkette des Autozulieferers. Offiziell äußern sich die Konzerne nicht, doch inoffiziell ist zu hören, dass erste Rückzugsbewegungen aus diesen Risiken bereits vor einem Jahr begonnen haben, nachdem Zahlungsschwierigkeiten bei Tochtergesellschaften aufgetreten waren. Der Fall entwickelt sich zu einem der größeren finanziellen Schocks an der Wall Street seit langer Zeit und seine Effekte breiten sich stetig über den globalen Finanzsektor aus.
Wachsende Risiken bei sinkender Risikoprämie
Die aktuelle Konjunktur privater Kreditvergaben entstand in der Zeit nach der Finanzkrise, als Banken sich aus riskanteren Kreditbereichen zurückzogen und neue Akteure auf der Suche nach Rendite in weniger regulierte und schwer durchschaubare Marktsegmente vordrangen. Es entstanden hochkomplexe Kreditstrukturen, oftmals ohne ausreichende Kontrolle durch Investoren oder Aufsichtsbehörden. Gleichzeitig war weltweit viel Kapital verfügbar, was zu einem intensiven Wettbewerb führte, der die Renditen drückte, während die Risiken blieben. Die Risikoprämien liegen heute historisch niedrig. Für die Übernahme erheblicher Ausfallrisiken erhalten Investoren kaum noch angemessene Vergütung. Marktbeobachter wie Oksana Aronov von JP Morgan Asset Management weisen darauf hin, dass die Fixierung vieler Anleger auf Wachstum im Aktienbereich die Gefahr im Anleihebereich verdeckt. Sie warnt, dass nicht die Frage ist, ob es zu einer Korrektur kommt, sondern wann.
Auch die deutsche Wirtschaft ist eng mit internationalen Finanzstrukturen verflochten. Deutsche Versicherer, Pensionskassen und Banken gehören traditionell zu den größten Kapitalgebern in solchen Kreditvehikeln. Wenn private Kreditmärkte unter Druck geraten und ein Börsencrash ausgelöst wird, könnten auch deutsche Anleger und soziale Sicherungssysteme belastet werden. Angesichts der ohnehin schwachen Konjunktur und der strukturellen Herausforderungen der deutschen Industrie wäre ein externer Finanzschock ein weiterer Risikofaktor für die wirtschaftliche Stabilität.