Zunehmend trübe Aussichten für EM-Währungen

von Maarten-Jan Bakkum, ING Investment Management Germany

Rund zehn Jahre lang fiel die Anlageentscheidung leicht: Es galt, die Exponierung gegenüber Währungen aus den Emerging Markets zu maximieren. Die wachsende Wettbewerbsfähigkeit der Schwellenländer, ihr überlegenes Wirtschaftswachstum, solide Zahlungsbilanzüber-schüsse, relativ niedrige Makro-Ungleichgewichte und die anhaltende Nachfrage nach Roh-stoffen waren – auf lange Sicht – überzeugende Argumente für EM-Währungen.

Die globale Kreditkrise, die ab 2008 über die USA und Europa hereinbrach, und im Anschluss daran die von den Zentralbanken der entwickelten Länder angestoßene quantitative Lockerung erhärte-ten diese Argumente noch.
Jahr für Jahr gewannen die EM-Währungen gegenüber Dollar und Euro an Boden.

Dieser positive Trend setzte bereits nach den Wahlen in Brasilien im Oktober 2002 ein und endete im Sommer 2011. Die Angst vor einer harten Landung Chinas und die Eskalation der Schuldenkrise in der Eurozone, die sich negativ auf den Kapitalfluss in die aufstrebende Welt auswirkten, markierten den Anfang vom Ende beim stetigen Aufwärtstrend der EM-Währungen.
Seitdem haben sich die Hauptargumente für eine Investition in EM-Währungen abgeschwächt. Erstens ist die Wettbe-werbsfähigkeit der Emerging Markets in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Grund ist einerseits der rasche – in China und einigen anderen Schwellenländern zweistellige – Anstieg des Lohnniveaus und andererseits die unzureichende Infrastruktur, wie beispielsweise in Brasilien, Südafrika und Russland.

Das Wachstum der Arbeitsproduktivität ist in den meisten Schwellenländern zwar immer noch positiv, hat sich aber in den letzten Jahren auf Zuwachsraten im niedrigen einstelligen Bereich verlangsamt.
Zweitens hat sich das Wachstumsdifferenzial zwischen aufstrebender Welt und USA/Europa von sieben Prozentpunkten im Jahr 2009 auf derzeit rund vier Prozentpunkte verengt. Tatsächlich ist die Wachstumsdynamik in den USA und Japan inzwischen lebhafter als in den meisten Schwellenländern.

Anleger aus den entwickelten Ländern können jetzt nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, an den aufstrebenden Märkten Wachstum zu finden. In den letzten Quartalen ist das Gewinnwachstum an den Emerging Markets deutlich hinter dem der entwickelten Märkte zurückgeblieben.
Angesichts der strukturellen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China – und ihrer Folgen für das Export-wachstum der EM – sind die Wachstumsaussichten für die aufstrebende Welt mittlerweile recht düster. Dazu tragen auch die sich verschärfenden makroökonomischen Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Emerging Markets bei. Im Er-gebnis besteht wenig Spielraum für eine lockere Geldpolitik und eine lebhafte Entwicklung der Binnennachfrage.
Drittens haben die sinkenden Leistungsbilanzüberschüsse bei gleichzeitig steigenden Leistungsbilanzdefiziten und stei-lem Anstieg der spekulativen Kapitalzuflüsse der rapiden Anhäufung von Devisenreserven in den Schwellenländern ein Ende gesetzt. So ist in den asiatischen Schwellenländern der Zuwachs an Devisenreserven von monatlich 100 Milliarden US-Dollar in 2011 auf aktuell weniger als 10 Milliarden US-Dollar gesunken.




Viertens wandelt sich das relative Risikoprofil der Emerging Markets gegenüber den entwickelten Märkten. In einigen wichtigen Ländern weiten sich die Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite zunehmend aus. Hier seien vor allem Südafrika genannt. Zugleich sind die Schuldenquoten seit 2008 rapide gestiegen; das gilt insbesondere für China, aber auch Indien und Brasilien. Und schließlich hält sich in einigen Ländern, wie Südafrika, Indien und Brasilien, infolge übermäßig lockerer oder schlicht verfehlter Wirtschaftspolitik hartnäckig die Inflation.


Überdies ist in den letzten paar Jahren das Risiko eines makroökonomischen Schocks in der aufstrebenden Welt gestie-gen. Das ist einer der Gründe, warum der Kapitalfluss in die Emerging Markets seit Sommer 2011 nachgelassen hat.
Fünftens haben sich auch die Aussichten für die Rohstoffpreisentwicklung verschlechtert, Hand in Hand mit den zuneh-menden Anzeichen für eine strukturelle Verlangsamung in China. Eine niedrigere globale Nachfrage nach Rohstoffen bzw. eine rückläufige Nachfrageentwicklung würden sich in der gesamten aufstrebenden Welt entscheidend auf Zah-lungsbilanzen und Staatshaushalte auswirken. Damit schrumpft das Aufwärtspotenzial der EM-Währungen, vor allem in Südamerika, Osteuropa und Afrika.
Hinzu kommt, dass die US-Konjunktur sich lebhafter entwickelt als allgemein erwartet. Sowohl Arbeits- als auch Wohnimmobilienmarkt erholen sich wieder. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed ihre quantitative Lockerung in den nächsten Quartalen oder Jahren allmählich zurückfahren wird. Sobald sich ein solcher Kurswechsel abzeichnet bzw. die Anlegerschaft damit rechnet, dürfte der Kapitalfluss in die höher rentierlichen Emerging Markets massiv zurück-gehen. Es wäre jedoch l verfrüht, sich darüber bereits jetzt Sorgen zu machen. Eins ist jedoch klar: Die Chance der EM-Währungen, von der weltweit üppigen Liquidität zu profitieren, schwindet zusehends.

 

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