Warum Farben und Formen innovativer machen

Danz

Neueste Untersuchungen belegen, dass die Gestaltung des Arbeitsumfeldes großen Einfluss auf die Kreativität des Einzelnen hat.

Eine Studie fand beispielsweise heraus, dass Menschen signifikant bessere Ergebnisse beim Lösen einer kreativen Aufgabe erzielten und im Anschluss mehr unterschiedliche Denkansätze präsentierten, wenn sie sich in einem Raum befinden, der in warmen Farben gehalten ist, als diejenigen, die in einem Zimmer arbeiten, das in kalten Farben, zum Beispiel Eisblau, eingerichtet ist.

Eine Erklärung könnte sein, dass warme Farben, wie gelb, orange, rot und braun, im allgemeinen eine positivere Wirkung auf das Gemüt haben sollen. Laut Untersuchungen der kanadischen University of Alberta steigen, als Reaktion auf warme Farbtöne, messbar Puls und Atemfrequenz; die Probanden fühlen sich glücklicher und bewerten die Atmosphäre in einem solchen Raum als angenehm und freudvoll.

Körperlich macht sich Glück durch die Ausschüttung von Wohlfühlhormonen bemerkbar, beziehungsweise sorgen umgekehrt Hormonschübe für Emotionen – man denke an nur einmal an das beflügelnde Phänomen des Verliebtseins, das neurophysiologisch betrachtet übrigens das Gehirn genauso umbaut, wie bei einer Drogensucht, aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls denkt der Kopf, neurologisch bewiesen, ergiebiger – kreativer – wenn der Mensch glücklich ist, Ideen können effektiver entwickelt und ergänzt werden und die Fähigkeit zum Querdenken verbessert sich.

Warme Farben, so lautete die Schlussfolgerung, schaffen Nähe und wirken auf den Betrachtenden aktivierend, vitalisierend und anregend.

Wer jetzt denkt: „Super, einfacher kann es kaum sein: Maler anrufen und ab Mittwoch sind die Büroräume orange und alle Mitarbeiter zu kreativen Höhenflügen im Stande“, sollte mit dem Griff zum Telefonhörer noch kurz warten und sich bitte das Folgende zu Gemüte führen; ganz so simpel ist es nämlich doch nicht.

Was den einen in Wallung bringt, ist für den nächsten ein Warnsignal: Rot sagt dem Unterbewussten zwar: „Liebe“, aber eben auch „Gefahr, Achtung, Blut!“ oder „Stehenbleiben“, wenn man sich in den Alltag eines Städters versetzt und an das Signallicht einer Ampel oder ein Stoppzeichen denkt. In Punkto Farbgebung und deren Wirkung auf die Psyche existieren kulturbedingte Unterschiede und individuelle Assoziationsfallstricke. In einigen asiatischen Kulturen ist Weiß die Farbe der Trauer und nicht Schwarz, wie in vielen anderen Gesellschaften. Gelb waren im Mittelalter die Kopftücher der Prostituierten – sie waren verpflichtet, diese zu tragen. Judensterne im dritten Reich waren gelb; Gelb gilt auch als Farbe des Neids. Trotzdem wird Gelb heute landläufig mit Heiterkeit, Wärme oder Jugendlichkeit assoziiert. Hinzu kommen die persönlichen Erlebnisse mit einer Farbe: Wer eine schöne Schulzeit erlebte und bei Gelb an die Farbe seiner Schulbusses denken muss, auf den wird diese Farbe definitiv anders wirken als auf jemanden, der Negatives assoziiert, wie beispielsweise den gelben Pullover von Deppen-Olli, dem Blödmann, der einem in Kindertagen viel zu häufig eine Tracht Prügel auf dem Spielplatz bescherte – um sich danach wieder und wieder mit einer Tafel Kinderschokolade einzuschleimen.

 

Alle, die in den 1990er Jahre schon ein Bewusstsein hatte, dürften sich noch an Feng Shui erinnern, die Jahrtausende alte chinesische Gestaltungskunst, die Yin und Yang und außerdem alle fünf Elemente in so ziemlich allem beachtet, was mit dem täglichen Leben zu tun hat. Nehmen wir nur einmal einen kleinen Aspekt aus der sehr komplexen Lehre heraus und richten unsere Aufmerksamkeit auf die Farben, die das Feng Shui als die Kreativität fördernd erachtet. Was sieht man? In vielen Veröffentlichung wird zu Grün, Gelb und Orange an den Wänden geraten, wobei Orange auch den Appetit anregen soll, es empfiehlt sich eventuell vor der Umdekorierung ein Blick auf die körperlichen Ausmaße der Belegschaft.

 

Tödlich für Kreativität und Innovation sind übrigens Großraumbüros. Die Soziologin Wendy C. Regoeczi von der Cleveland State University, Ohio, fand heraus, dass ein Übermaß an (räumlicher) Nähe zu Aggressionen und Rückzug führt. Zustimmung erntet Regoeczi bei Forscherkollegen der Calgary University, Kanada, die bei Großraumbüroopfern erhöhte psychische und physiologische Stresswerte nachwiesen. Insbesondere Menschen, die komplexe Aufgaben bewerkstelligen müssen, büßen in der lauten, wühligen Arbeitsumgebung Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit ein, wie eine australische Studie 2005 belegte.

 

In den letzten Jahren hat sich immer mehr herauskristallisiert, wie wichtig es ist, dass die (Arbeits-)Umgebung den menschlichen Bedürfnissen entgegenkommt. In Amerika werden inzwischen ganz selbstverständlich Architekturpsychologen zur Gebäudeplanung hinzugezogen, in Deutschland hält man von dieser Berufsgruppe meistenorts (noch) nicht viel, was die Weiterentwicklung auf diesem Gebiet zum Glück nicht hemmt.

 

Janetta Mitchell McCoy und Gary W. Evans von der Cornell University definierten fünf architektonische Konzepte, die das Wohlergehen – und damit, wie wir wissen, auch die Kreativität – eines Menschen beeinflussen: Stimulierung, Kohärenz, Kontrolle, Erholung und Affordanz. Was bitte ist Affordanz, fragen Sie jetzt vermutlich den Danz. Ich fand den Ausdruck so schön – auch weil man Namen darin verwurstet wurde. Ich wird’s gleich erklären. Klingt erst einmal kompliziert, ist aber durchaus nachvollziehbar:

 

Beginnen wir mit dem Begriff „Stimulierung“. Die braucht der Mensch, um auf Ideen zu kommen. Am besten sollte die Umgebung dafür weder zu eintönig noch zu aufregend oder überladen sein und keine grellen Farben oder wilde Muster aufweisen. Auch genügend Freiraum für das Individuum ist wichtig – wie sollte man sich auch ohne diesen entfalten können?

Kohärenz, vom lateinischen „cohaerere“ (zusammenhängen) beschreibt den Grad, in dem man sich in seiner Umgebung zurecht findet. Verwirrung ist nie gut, man braucht das gute, sichere Gefühl, den Raum übersehen und beherrschen zu können.

Kontrolle spielt auch in die voran gegangenen Konzepte hinein, meint aber außerdem noch die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen auf Umgebungsparameter, wie unter anderem Licht oder Temperatur – oder auch das Maß an Gesellschaft. Wer effektiv und kreativ denken soll, braucht die Möglichkeit allein zu sein – ebenso, wie den Austausch mit anderen. Gibt es dafür in einem Unternehmen Räumlichkeiten, ist viel gewonnen.

Erholung und gleichzeitig Inspiration bieten Gestaltungselemente, die ohne Anstrengung die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wie beispielsweise ein Aquarium, ein Zimmerbrunnen oder ein Fenster mit Blick in die Natur.

So widersprüchlich die Ergebnisse zum Thema „Farbwirkung“ sind, so übereinstimmend sind die Forschungserkenntnisse, was die positive Wirkung von Naturansichten und natürlichen Designelementen auf Arbeitsprozesse angeht (an der University of Delaware wurde sogar nachgewiesen, dass frisch operierte Patienten in einem Zimmer mit Aussicht schneller genesen, weniger Schmerzen empfinden und insgesamt emotional stabiler wirken als Patienten, die von ihren Betten aus auf Bauwerke gucken).

Und jetzt kommt’s – Sie erinnern sich – dieses Wunderwort „Affordanz“. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Angebot“, also im Zusammenhang mit der Raumgestaltung: Inwieweit regt die Umgebung mich an, etwas zu tun? Dabei ist ein Sessel zum Beispiel die möbelgewordene Inspiration zum Sitzen. Negative Affordanz wären beispielsweise versteckte Stufen, also Stolperfallen, oder Türen, bei denen nicht klar ist, zu welcher Seite sie sich öffnen.

 

Was tun, wenn man im wahrsten Sinne des Wortes schlechte Aussichten hat – also dort, wo man hinschaut oder rausguckt? Hier sind sich Feng Shui und die Freie Universität zu Brüssel einig: Man behelfe sich mit so vielen natürlichen Motiven und Materialien, wie möglich – Bahn frei für Bildschirmschoner mit Landschaftsmotiv und Zimmerpflanzen aller Art (bloß bitte keine Bonsais und Kakteen, die hemmen nicht nur das geistige sondern auch das finanzielle Wachstum (sagt man so) – kreativer wird man dann bestimmt auch nicht.

 

Gerriet Danz ist seit mehr als zwei Jahrzehnten einer der anerkannten Experten für Innovation und Kreativität. In seinen Vorträgen ermuntert der passionierte Querdenker, mehrfache Start-up-Gründer und Bestsellerautor sein Publikum dazu, eingetretene Pfade zu verlassen und Change als Chance zu begreifen.  Danz ist Dozent der Steinbeis Hochschule Berlin und berät Kunden wie das Europäische Patentamt, Adobe, BMW und die Schott AG.

 

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