Warum nur Innovationen und Kreativität Ihren Job sichern

Danz

„Bitte beschreiben Sie ein Huhn in der Programmiersprache!“

Diese Aufgabenstellung stammt aus einem gewöhnlichen Bewerbungsgespräch bei einer ganz normalen Firma. In dem Unternehmen, wie übrigens in immer mehr Unternehmen, ist man bei potentiellen Mitarbeiten auf der Suche nach kognitivem Gold, besser bekannt als „Kreativität“.

 

Wenn wundert das, denn nach der Global CEO Studie von IBM ist Kreativität die wichtigste Voraussetzung, die Mitarbeiter eines Unternehmens mitbringen müssen. 1541 CEOs und Führungskräfte wurden befragt: 60 % sprachen sich für Kreativität aus, dagegen nur 26 % für Engagement und 28 % für Offenheit.

Ebenfalls abgeschlagen sind globales Denken und Integretät.

Und das sind nun Fähigkeiten, die auch nicht ganz unwichtig sind. Die Welt wird eben immer komplexer, dynamischer und unsicherer – und wer das beherrschen will, dort langfristig eine Rolle spielen möchte, der braucht vor allem gute Ideen. Und muss in der Lage sein, die auch zu verkaufen, also: durchzusetzen. Aber reicht es, wenn sich das die CEOs so wünschen, kommt das auch in den Unternehmen an? Eine Studie von Forrester Research zieht das in Zweifel: 60 % der befragten Mitarbeiter (das sind die, die ja eigentlich kreativ werden sollen, Innovationen den Weg bereiten sollen) sagen, sie würden ihr Unternehmen nicht als kreativ einschätzen. Womöglich fehlt es hier oft an der entsprechenden Innovationskultur, die Querdenker unterstützt und nicht behindert. Die das Experimentieren fördert und nicht mit irritiertem Kopfschütteln begleitet. Die das experimentelle, produktive Fehlermachen erlaubt und nicht abstraft.

 

Doch Viele fragen sich immer noch: Kreativität, was ist das eigentlich? Hab ich das? Brauch ich das? Und, wenn ja, wofür denn bloß? Laut Duden, in dem der Begriff „Kreativität“ interessanterweise erst seit 1973 auftaucht, handelt es sich dabei um eine schöpferische Kraft, ein kreatives Vermögen. Man könnte es auch als Einfallsreichtum, Erfindungsgabe, Fantasie, Genie oder Intelligenz bezeichnen.

 

Längst vorbei sind die Zeiten, in denen nur Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Schauspieler diese wunderbare Leistung der rechten Gehirnhälfte brauchten – beziehungsweise Kreativität nur dieser, zugegebenermaßen, kleinen Bevölkerungsgruppe zugesprochen wurde. Der von der Muse geküssten, vom Geistesblitz getroffenen im Epizentrum der Ideenfinder.

 

Es ist auch noch gar nicht so lange her, da verdrehten Eltern, deren Kinder einen kreativen Beruf ausüben wollten die Augen mit den Worten: „Kind, lern doch was Anständiges, von Kunst wird man nicht satt.“ Und vermutlich würde man erschrecken, wie oft dieser Satz auch heute noch fällt. Denn vielerorts (zum Teil auch in den Lehrplänen unserer Schule) scheint immer noch nicht angekommen, dass die Zeiten der Industrialisierung vorbei sind. Wir kaum mehr produzierend glücklich werden. Die Kreativität wurde lange vom moderigen Kälte- und Krankheitsgeruch des verarmten Poeten umweht – bis sie einen zahlungskräftigen Mentor bekam: Die Werbung. Plötzlich lagen sogenannte „Kreativ-Beruf“, wie Arter und Texter, nicht nur unheimlich im Trend, sie wurden auch unheimlich gut bezahlt. Kreative Ideen, Kampagnen, Slogans wurden am laufenden Band produziert. Nicht selten waren auch Drogen im Spiel, von denen manch ein Kreativer dachte, sie würden ihn noch kreativer machen, auf noch abgefahrenere Ideen bringen. Die IWMMs strömten in den Arbeitsmarkt, die Irgendwas mit Medien werden wollten.

 

Es dauerte, bis sich die Kreativität zu dem entwickelte, was sie heute ist: kein Privileg einer Elite, keine Laune der Natur oder gar ein überflüssiger Spleen, sondern ein nahezu unverzichtbarer Bestandteil des Lebens, überall und immer, beruflich, wie privat. Von der Gestaltung der nächsten Familienfeier und Einrichtungsfragen über Überlebensstrategien, Produktentwicklung, Heiratsanträge bis zu Unternehmensstrategien, handwerkliche Einsätzen, jeder Problemlösung und, und, und. Es gibt keinen Bereich des täglichen Lebens, in dem nicht ein Mindestmaß an Kreativität gefragt wäre … Ich steige morgens ins Auto uns stelle fest, dass die Batterie leer ist – zack, schon muss ich kreativ werden: den ADAC anrufen, mich vom Nachbarn überbrücken lassen, ein Taxi oder den Bus nehmen oder doch lieber die Kinder zum Anschieben nötigen? Oder jemanden am Straßenrand anquatschen, den man zufällig ganz gut aussehend findet. So verbindet man Pannenhilfe vielleicht sogar mit Partnersuche – Schwups, schon wieder eine kreative Idee. Alle diese Überlegungen sind Alltagskreativität!

 

Jeder, der auf irgendeine Weise kreativ ist, erschafft etwas Neues, das in irgendeiner Weise sinnstiftend ist – sei es „nur“ eine Idee, ein Gedanke oder etwas, das sich anfassen, konstruieren, lässt.

Menschen sind unterschiedlich kreativ. Es gibt Techniken, die sich erlernen lassen, die Kreativität freisetzen, aus Menschen herauskitzeln, die das Gehirn bis in die Kreativ-Areale kitzelt, bis es vor Vergnügen etwas ausspuckt.

Kreativität ist keine Gabe, die manche Menschen mitbekommen haben und andere nicht. Viele Erwachsenen denken von sich, sie seien nicht kreativ, seien es nie gewesen. Aber auch die unkreativsten Großmenschen waren einmal Kinder, und Kinder sind kreativ.

 

Erinnern Sie sich einmal daran zurück, was Sie selbst für Spiele spielten als Sie klein waren, in welchen Phantasiewelten Sie sich bewegten. Denken Sie an die Bilder, die Sie gemalt haben, die Geschichten, die Sie sich ausdachten oder die Basteleien, die Sie Eltern und Großeltern mit stolzgeschwellter Brust präsentierten. Natürlich äußert sich die Kreativität in unterschiedlichen Bereichen: Der eine singt, die andere schraubt Seifenkisten zusammen, die nächste pflanzt mit 5 die wunderschönsten Blumenkompositionen; und natürlich wird jeder davon geprägt, inwieweit er oder sie kreativ gefördert und bestätigt wird – oder eben nicht. Letzteres setzt oft in der Schule ein, wenn mehr oder weniger alles, was man fabriziert, beinahe unmittelbar eine Bewertung erhält: „Am Thema vorbei, 6, setzen!“ Ich erinnere mich, dass ich im Gymasium mal in Kunst einen Grundriss der elterlichen Wohnung malen sollte. Habe ich dann auch wahrheitsgemäß getan, damals kamen offene Küchen auf, damit der Familienkoch nicht allein vor sich hinbrutzeln musste, sondern in das familiäre Geschehen integriert ist. Mein Kunstlehrer war damals Herr Hasselbach, damals schon über 70 und der hat mir für den völlig korrekten Grundriss eine 4 gegeben. Begründung: das mit der Küche könne so nicht sein. War ja nie so. Macht man auch nicht so. Ist also falsch. Daraufhin mutierte ein Vater zum Innovationsunterstützer, traf den Kunstlehrer und hielt ihm eine Standpauke. Mit dem Ergebnis, dass ich eine 3 bekam und dem Kommentar „Architekten wie dieser sind Verbrecher.“ Innovationen haben es eben schwer. In der Schule auch.

 

Hinzu kommt, dass in den meisten Schulen den Vorgängen in der linken Gehirnhälfte der Vorzug gegeben wird. Dort sitzt nämlich das logische Denkvermögen, Zahlen und einfache Sprache. Das bedeutet, das korrekte Antworten als „richtig“ bewertet werden und kreative Lösungen als „unangebracht“, wenn nicht sogar „falsch“.

 

Wie schon erwähnt, wohnt links im gleichen Körper-Stockwerk, wie die Logik, die Kreativität – und verhungert, beziehungsweise sie rostet ein. Es geht ihr, wie einem Muskel, der nicht bewegt wird, sie verkümmert. Man stelle sich vor, man hätte 20 oder 30 Jahre ein Gipsbein: Natürlich fällt man dann auf die Nase, wenn man plötzlich wieder „normal“ laufen soll. Und selbstverständlich wird man nicht gleich einen Goldenen-Werbefilm-Löwen in Cannes gewinnen, wenn man sich nach Jahrzehnte langer Kreativ-Abstinenz in einen kreativen Prozess begibt. Hinzu kommt die Angst vor den anderen, vor der Bewertung. Schließlich war es nicht schön, als damals die ganze Klasse in Lachen ausbrach als Herr Hasselbach das Bild hochhielt, auf dem man den Hühnern Fühler und Stielaugen gemalt hatte, weil man Ihnen helfen wolltest, den Habicht schneller zu sehen, damit sie sich in Sicherheit bringen konnten. Sie waren ja dumm. So dumm, wie man sich damals fühlte und weswegen man ab jetzt sagte, wenn man aufgefordert wurde, etwas zu malen: “Nein, ich kann nicht malen.“ Später wurde daraus: „Ich bin nicht kreativ.“ Irgendwann glaubte das der eigene Kopf.

 

Nun aber zur guten Nachricht: Es ist nie zu spät zur Kreativitäts-Reanimation! Denken Sie an den Muskel: Wer übt und trainiert, erreicht immer mehr, wird flinker, schneller und effektiver.

 

Wie wichtig es für uns alle ist, wieder kreativ zu denken und zu handeln, zeigt folgende Entwicklung: Inzwischen spielt Kreativität branchenübergreifend eine wichtige Rolle; sie ist zu einer entscheidenden Fähigkeit im Wettbewerb geworben, für Unternehmen und dadurch auch für Bewerber. Maßstäbe setzen diesbezüglich mal wieder die weltweit agierenden Innovationsspezialisten aus dem Silicon Valley, wie unter anderem Apple, Microsoft, Dropbox, Google und Facebook. In ihren berüchtigten, sehr herausfordernden Bewerbungsgesprächen sind Intelligenz, Vorstellungskraft und Problemlösungsvermögen gefordert. Bewerber werden mit Kreativ-Rätseln konfrontiert, von Handys oder Computern befreit und mit nicht mehr zur Lösung ausgerüstet, als mit ihrem Kopf, einem Stück Papier und einem Stift. Bei einem Bewerbungsgespräch des 21. Jahrhunderts interessieren die alten Hüte der drei größten Stärken und Schwächen kaum, sondern zum Beispiel, wie der Bewerber ein Huhn in der Programmiersprache beschreiben würde oder wie er die folgende Aufgabe lösen wird: „Sie wurden auf die Größe eines dschungarischen Zwerghamsters geschrumpft und in einen Mixer geworfen, der in 60 Sekunden angeschaltet wird – was machen Sie?“ William Poundstone hat ein kurzweiliges Buch über diese Art der Bewerbungsrätsel geschrieben, es heißt „Wie viele Golfbälle passen in einen Schulbus?“ – sehr amüsant, solange man nicht derjenige ist, der sich vor einem Gremium mit derartigen Aufgabenstellungen bewerben und bewähren muss! Wer denkt, dass die Amis ohnehin einen Hang zur Exzentrik hätten – und sich für das nächste Bewerbungsgespräch lieber doch Gedanken über seine drei größten Stärken und Schwächen machen möchte (Sie wissen schon: Meine größe Schwäche ist meine Ungeduld!) – sollte sich einfach nicht wundern, wenn er, im Fall des Falles, eine Kiste mit Legobausteinen vorgesetzt bekommt oder sich einer virtuellen Runde russischem Roulette ausgesetzt sieht – wäre ja nicht das erste Mal, dass irgendetwas den Sprung über den großen Teich schafft.

 

Und eines ist klar: Nicht nur Unternehmen profitieren von Innovationskraft, sondern jeder Einzelne von uns: Denn nach einer schwedischen Studie werden 50 % aller Beruf in den nächsten 20 Jahren digitalisiert. Soll heißen:

die verschwinden. Und so ist es schon allein aus einem Selbsterhaltungstrieb sinnvoll, sich die eine Frage zu stellen: Wie werde ich meine Talente in 20 Jahren einsetzen, womit werde ich dann mein Geld verdienen? Sie sehen: Innovation und Kreativität ist kein Kann, sondern ein Muss.

 

Gerriet Danz ist seit mehr als zwei Jahrzehnten einer der anerkannten Experten für Innovation und Kreativität. In seinen Vorträgen ermuntert der passionierte Querdenker, mehrfache Start-up-Gründer und Bestsellerautor sein Publikum dazu, eingetretene Pfade zu verlassen und Change als Chance zu begreifen.  Danz ist Dozent der Steinbeis Hochschule Berlin und berät Kunden wie das Europäische Patentamt, Adobe, BMW und die Schott AG.

 

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