Wenn der Chef die Firma ausbremst

Häufig klagen Unternehmensführer, dass ihre Mitarbeiter zu wenig Ideen entwickeln, wie man Dinge besser machen kann. Dabei sind sie oft selbst ein Teil des Problems: Sie verhindern mit ihrem Verhalten das Entstehen und Umsetzen neuer Ideen. Dasselbe gilt für die Unternehmensstrukturen. Davon ist Jens-Uwe Meyer, Autor des Buchs „Kreativ ohne Krawatte“ überzeugt.

„Mitdenken? Das kannst Du vergessen. Oder gar neue Ideen entwickeln – wie man zum Beispiel Kosten sparen oder Probleme eleganter lösen kann? Das kannst Du vollkommen abhaken. Von meinen Mitarbeitern denkt kaum einer über die Kante seines Schreibtischs hinaus.“

Solche Klagen hört man oft von Managern, wenn man mit ihnen abends beispielsweise zum Bier zusammensitzt. Dann zeichnen sie häufig von ihren Mitarbeitern ein Bild, das weitgehend dem Klischeebild des mit 30 Jahren schon auf seine Pension wartenden Beamten entspricht.

Umso erstaunter ist man meist, wenn man anschließend mit den so geschmähten Mitarbeitern spricht. Dann vernimmt man Aussagen wie: „Unser Betrieb wird nach der Maxime geführt: Halt’ Deinen Mund und mach’ Deinen Job. Für unsere Ideen interessiert sich bei uns niemand.“ Wie passt das zusammen, dass in vielen Betrieben die Chefs über einen Mangel an Ideen bei ihren Mitgliedern klagen und zugleich die Mitarbeiter stöhnen „Unser Chef hat für neue Ideen kein offenes Ohr“?



Ideenlosigkeit hat meist eine Vorgeschichte. Dahinter steckt in der Regel die Erfahrung der Mitarbeiter: Wenn ich meinem Chef eine Idee vortrage, dann empfängt er mich nicht mit offenen Armen. Im Gegenteil! Er signalisiert mir mehr oder minder deutlich: Was will denn der schon wieder? Und wenn ich ihm ein ausgearbeitetes Konzept zum Umsetzen der Idee vorlege, dann wischt er es mit einer Bemerkung wie „Das geht nicht“ vom Tisch. Sammeln Mitarbeiter mehrfach solche Erfahrungen, dann ziehen sich zurück. Statt mit Begeisterung neue Ideen auszubrüten, machen sie fortan Dienst nach Vorschrift.

Häufige Fehler der Führungskräfte

Führungskräfte machen im Umgang mit kreativen Mitarbeitern und ihren Ideen immer wieder folgende Fehler:

Fehler Nummer 1: die verbale Ohrfeige.

Sie würgen Ideen, die nicht in ihr (Denk-)Schema passen, vorschnell und von oben herab ab. „Da haben Sie sich ja was ‚Schönes’ ausgedacht.“ „Da spürt man den Theoretiker.“ Eine solche Ablehnung wirkt auf Mitarbeiter wie eine Ohrfeige – insbesondere dann, wenn sie von ihrem Vorgesetzten nicht weiter begründet wird.

Fehler Nummer 2: das Totschlagargument.

Oft befassen sich Vorgesetzte nicht ernsthaft mit Ideen ihrer Mitarbeiter, weil sie gerade andere Prioritäten haben. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit.“ „Hierfür fehlt uns das Geld.“ „Wir haben Wichtigeres zu tun.“ Statt mit ihren Mitarbeiter zu klären, wann ein Gespräch möglich wäre und unter welchen Voraussetzungen deren Idee eventuell realisierbar wäre, schmettern sie diese sofort ab. Und der Mitarbeiter denkt sich: Einmal und nie wieder.

 

Fehler Nummer 3: die Ideen aussitzen.

„Spannend, lassen Sie mich darüber nachdenken.“ „Sehr interessant, geben Sie mir mal das Konzept.“ Das sagen Führungskräfte zuweilen, wenn Mitarbeiter ihnen neue Ideen unterbreiten. Doch dann verstreicht Zeit – viel Zeit. Und der Mitarbeiter hört nie wieder etwas von seiner Idee. Und fragt er nach? Dann wird er vertröstet. Das „Aussitzen“ ist ein Hauptgrund dafür, dass in vielen Unternehmen das Vorschlagswesen nicht funktioniert. Oft müssen Mitarbeiter ein, zwei Jahre warten, bevor sie eine inhaltliche Rückmeldung zu ihren Vorschlägen erhalten. Deshalb denken die Mitarbeiter zurecht: Allzu wichtig scheint dem Unternehmen unser Mitdenken nicht zu sein – selbst wenn offiziell etwas anderes verkündet wird.

Fehler Nummer 4: die Ideen „stehlen“.

„Geben Sie mir das. Ich stelle das mal in der Abteilungsleiterrunde vor.“ Das sagen manche Chefs nicht nur, sie tun es auch. Doch leider präsentieren sie im Kollegenkreis oder bei ihren Vorgesetzten die Idee nicht als Idee ihres Mitarbeiters, sondern als eigene. Sie schmücken sich mit fremden Federn und heimsen hierfür die Lorbeeren ein. Für Mitarbeiter ist eine solche Erfahrung extrem frustrierend. Und sich beschweren? Das bringt nichts. Denn hierauf reagieren die „Ideendiebe“ meist wie folgt: „So neu war Ihre Idee nicht. Und wenn ich Ihr Grobkonzept nicht überarbeitet hätte, dann …“

Fehler Nummer 5: den Mitarbeiter „platt machen“.

„Haben Sie nicht besseres zu tun als …“ „Beschäftigen Sie sich nicht mit Dingen, von denen Sie nichts verstehen.“ „Auf so eine Idee kann nur ein Controller kommen.“ „Das hätte Ihnen schon früher einfallen können.“ Reagiert eine Führungskraft so oder so ähnlich auf die Idee eines Mitarbeiters, dann ist dies „der kreative Super-Gau“. Denn dann denkt der Mitarbeiter zurecht. „Du kannst mich mal. Von dir lasse ich mich nicht mehr aufs Töpfchen setzen.“ Das heißt, der Mitarbeiter zieht sich in sein Schneckenhaus zurück und artikuliert nie wieder eine Idee.

Die genannten Fehler begehen Führungskräfte immer wieder – übrigens meist nicht bewusst, sondern weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen. Deshalb wischen sie Ideen oft (scheinbar) achtlos beiseite oder sie vertrösten ihre Mitarbeiter auf den Sankt-Nimmerleinstag. Denn sie sind meist selbst Teil eines Systems, das extrem ideenfeindlich ist. „Kreativität wird in den meisten Unternehmen eher getötet als gefördert“, schreibt die Harvard-Professorin Teresa Amabile, die seit mehr als 30 Jahren über die Themen Kreativität und Innovation forscht. Schuld daran sind ihrer Meinung nach die Strukturen: „Viele Unternehmen haben Organisationsstrukturen, die systematisch Kreativität zerstören.“

Merkmale einer katalysatorischen Führung

Das Problem: Vielen Unternehmensführern ist nicht bewusst, dass neue Ideen keine Zufallsprodukte sind. Sie entstehen nur in einem Klima, das ein kreatives Denken fördert und auch „schlechte“, also nicht realisierbare Ideen anerkennt.

Für eine Studie, die an der Handelshochschule Leipzig 2010 durchgeführt wurde, wurde die Unternehmensstruktur und -kultur der 25 innovativsten Unternehmen weltweit untersucht. Ermittelt wurde, was Unternehmen wie Apple, Google, Nike und Virgin anders als ihre Mitbewerber machen. Ein Ergebnis war: Führungskräfte, die Ideen blockieren, haben in ihnen keine Zukunft. Sie fordern von ihren Führungskräften, dass diese Ideen ihrer Mitarbeiter aktiv fördern. Und zwar durch einen Managementstil, der „katalysatorische Führung“ genannt wird. Er zeichnet sich durch folgende Merkmale aus.

Merkmal 1: Die Mitarbeiter sind nicht von morgens bis abends ins operative Geschäft eingebunden. Sie erhalten (zeitliche) Freiräume, um neue Ideen zu entwickeln. Und dies wird nicht als Zeitverschwendung, sondern als integraler Bestandteil ihrer Arbeit gesehen.

Merkmal 2: Die (Arbeits- und Kreativ-)Teams werden immer wieder neu und unterschiedlich zusammengesetzt, damit in ihnen keine kollektiven Denk-Routinen entstehen, die den Blick für neue Lösungen verstellen. So soll das erhalten bleiben, was beispielsweise Intel den „Outsider Advantage“ nennt – also der Vorteil, als Außenstehender mit anderen Augen auf ein Problem zu schauen.

Merkmal 3: Außer der offiziellen Unternehmenskultur schätzen auch die Führungskräfte Kreativität als hohes Gut und verankern entsprechende Werte in ihren Teams. So lautet zum Beispiel bei Hewlett Packard eine Maxime: „Glaube daran, dass Du die Welt verändern kannst.“

Merkmal 4: Geführt wird nach der Philosophie der offenen Tür. Kein Mitarbeiter soll davor Angst haben, zu seinem Vorgesetzten zu gehen und zu sagen: „Chef, ich habe eine Idee, wie …. Wann können wir darüber reden?“ Eine weitere Maxime lautet: Es gibt keine heiligen Kühe. Alles kann man irgendwie besser machen. Apple-Chef Steve Jobs hat eine regelrechte Phobie gegen „Dinosaurier, die riesige Reiche errichten und nach antiquierten Methoden handeln“.

 

Merkmal 5: Auch das Scheitern wird belohnt. Sie haben richtig gelesen. Die Chefs der innovativsten Unternehmen belohnen ihre Mitarbeiter selbst dann, wenn deren Ideen nicht funktionieren – und sei es nur mit verbaler Anerkennung. Denn sie wissen: Es müssen viele Ideen geboren werden, um die eine zu finden, die Gold wert ist. Der indische Tata-Konzern prämiert sogar jedes Jahr eine gescheiterte Innovation. So will das Unternehmen seine Mitarbeiter ermutigen, weiter nach neuen Ideen zu suchen, selbst wenn sich bereits mehrere als Flops erwiesen haben.

Sind Unternehmen, in denen ein solch kreativitätsfördernder Geist weht, ein Mitarbeiter-Paradies? Mitnichten! Denn in den weltweit innovativsten Unternehmen sind die scheinbar paradiesischen Freiräume mit hohen Zielen verknüpft. Mitarbeiter sollen nicht nur kreativ sein, sie müssen es sogar sein. Und nicht nur Führungskräfte, die Ideen vernichten, haben in ihnen schlechte Karten. Dasselbe gilt für Mitarbeiter, die nur „beamten-mäßig“ ihren Dienst verrichten und sich nicht fragen, wie man Dinge noch besser machen kann. Wer die vorhandenen Freiräume nicht nutzt, hat in ihnen keine Perspektive.

Zur Info: Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Ideeologen – Gesellschaft für neue Ideen GmbH, Baden-Baden (Tel.: 0700/4333-6783; meyer@ideeologen.de). Der Autor mehrerer Fachbücher zu den Themen Innovation und Kreativität hat an der Handelshochschule Leipzig einen Lehrauftrag für „Corporate Creativity“. Link: http://www.ideeologen.de/

Hinweis: Im September 2010 ist im Verlag BusinessVillage das neue Buch „Kreativ trotz Krawatte – Vom Manager zum Katalysator: Wie Sie eine Innovationskultur aufbauen“ von Jens-Uwe Meyer erschienen. Es hat 240 Seiten und kostet 24,80 Euro.

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