„Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“

Kommentar von Thomas Galla.

Kinderarmut in Deutschland nimmt massiv zu. 16,3 % des Nachwuchses wachsen in prekären finanziellen Verhältnissen auf – so lautete die Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2009. Zum damaligen Zeitpunkt lag die Bundesrepublik deutlich über dem OECD-Schnitt (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) von 12 %. Aufgeschreckt durch die Zahlen entfachte sich eine öffentliche, emotional geführte Debatte die nicht zuletzt das politische Handeln der schwarz-gelben Regierung beeinflusste.

Knapp zwei Jahre nach Verkündung der alarmierenden Ergebnisse muss das Institut nun eine massive Korrektur vornehmen. Wahrscheinlich waren zum damaligen Zeitpunkt „nur“ 10 % der Kinder betroffen. Noch geringer fällt der aktuelle Wert mit 8,3 % aus. Natürlich sind das noch immer zu viele, aber das Problem scheint nur halb so groß, wie im Jahr 2009 gedacht. Peinlich ist ein derartiger Statistikfehler aus zweierlei Gründen. Zum einen werden die Zahlen des DIW als offizielle deutsche Zahlen an internationale Organisationen gemeldet. Zum anderen, und das ist weitaus gravierender, dienten die Daten offenbar als Grundlage für eine handfeste politische Entscheidung – die Erhöhung des Kindergeldes Anfang 2010.

Spätestens an dieser Stelle muss der geneigte Beobachter jedoch stutzig werden. Denn die Fehlberechnung der Statistiker ist nur eine Seite der Geschichte. Sie offenbart einen allzu unreflektierten Umgang der Politik mit derlei Daten und der durch sie ausgelösten öffentlichen Debatten. Außer Frage steht, dass Politiker auf die Hilfe von Zahlen angewiesen sind. Dennoch sind und bleiben Statistiken lediglich Hilfsmittel. Darüber muss sich jeder Politiker bewusst sein. Sie sind mitnichten Ersatz für politische Programme und Überzeugungen. Im konkreten Fall reichte die Veröffentlichung einer hohen Armutsquote, verbunden mit ein wenig öffentlicher Erregung, und schon versuchte die Regierung Merkel, das Problem mit zusätzlichen Milliarden in Form einer Kindergeld-Erhöhung zu lösen.

Diese Betrachtung ist leider zu kurzsichtig. Der Kampf gegen Kinderarmut sollte unabhängig davon geführt werden, ob eine wissenschaftliche Erhebung 8 %, 10 % oder 16 % Armutsquote ermittelt – jede Zahl ist für Deutschland beschämend. Zudem mangelt es bei diesem Kampf weniger an Geld, als vielmehr an der Qualität der staatlichen Fürsorge für sozial und wirtschaftlich schwache Familien. Hier wäre ein fundiertes sozialpolitisches Konzept und keine schnelle Kurzschlussreaktion wünschenswert.

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