In der modernen, von rascher Veränderung und sinkendender Planbarkeit geprägten (Arbeits-)Welt müssen wir uns oft entscheiden, obwohl wir das Gefühl haben, dass uns noch wichtige Informationen fehlen. Dann müssen wir auf unsere Intuition vertrauen. Also sollten wir sie trainieren.
„Mein Bauchgefühl sagte mir, …“ Das erwidern Menschen oft, wenn man sie fragt, warum sie sich in bestimmten Situationen scheinbar instinktiv richtig verhalten haben. Zum Beispiel als Gefahr drohte. Oder als es Chancen zu nutzen galt. Mit traumwandlerischer Sicherheit treffen wir dann zuweilen die richtige Entscheidung. Und dies, obwohl scheinbar noch unabsehbar ist, was richtig oder falsch ist.
„Der hat den sechsten Sinn“, sagen wir über Menschen, bei denen wir registrieren: Sie entscheiden sich intuitiv meist richtig. Denn rational können wir es uns nicht erklären, warum manche Personen scheinbar mit traumwandlerischer Sicherheit durchs Leben gehen; während andere in jedes Fettnäpfchen treten, das am Wegrand steht. Und oft wünschen wir uns, wir hätten auch so einen inneren Kompass, der uns zielsicher durchs Leben führt. Dabei haben wir ihn. Denn ohne ihn kann kein Mensch sein Leben meistern.
Plötzlich packt uns so ein Gefühl
Denn immer wieder geraten im Alltag in Situationen, in denen wir uns sozusagen instinktiv entscheiden müssen. So zum Beispiel beim Autofahren, wenn vor uns ein anderes Fahrzeug fährt. Dann haben wir zuweilen unverhofft das Gefühl: Vorsicht, der könnte bremsen oder ohne zu blinken abbiegen. Und was wir ahnten, geschieht oft auch.
Ähnliches passiert häufig, wenn wir andere Personen treffen – zum Beispiel unseren Chef. Dann spüren wir nicht selten instinktiv: „Der hat heute einen schlechten Tag.“ Also verschieben wir unser ursprüngliches Ansinnen, ihn um mehr Gehalt zu bitten, auf Morgen.
Zuweilen ist es für uns selbst ein Rätsel, warum wir Personen und Situationen intuitiv richtig einschätzen. Denn eigentlich sind wir überzeugt: Wir entscheiden uns weitgehend rational. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen aber: Selbst unsere scheinbar rationalsten Entscheidungen werden stark von unserem Unterbewusstsein und von unseren Emotionen mitbestimmt – nur ist uns dies meist nicht bewusst.
Eine Ursache hierfür ist: Auf uns prasselt permanent eine Flut von Informationen ein. Nur einen Bruchteil von ihnen nimmt unser Gehirn bewusst wahr und verarbeitet sie aktiv. Der große Rest wird an unser Unterbewusstsein weitergeleitet und dort bearbeitet und archiviert. Und was passiert, wenn wir eine Situation intuitiv erfassen? Dann dringt sozusagen ein Fetzen des Unterbewusstseins in unser Bewusstsein. Jedoch nicht einfach so. Vielmehr nimmt unser Unterbewusstsein aufgrund der Situation, in der wir uns gerade befinden, einen Abgleich mit den in ihm gespeicherten Erfahrungen vor und signalisiert uns, wenn es gewisse Parallelen findet, zum Beispiel: Vorsicht, hier kann Gefahr entstehen. Oder: Achtung, hier ist vermutlich folgendes Verhalten angesagt. Indem unser Unterbewusstsein so die Flut an Informationen komprimiert und zu einem ersten Urteil über die Situation integriert, sorgt es dafür, dass wir handlungsfähig sind – sofern wir auf unsere Intuition hören.
Unsere Intuition: eine wichtige Orientierungshilfe
Sehr hilfreich ist diese Leistung unseres Unterbewusstseins im Alltag, in dem wir oft ohne lange nachzudenken auf Ereignisse reagieren. Doch auch bei vielen anderen Aufgaben ist unsere Intuition eine wichtige Orientierungshilfe. Einige seien genannt.
- Zwischen mehreren scheinbar gleich guten Alternativen wählen. Vor dieser Herausforderung stehen (Personal-)Manager beim Besetzen von vakanten Stellen oft. Dann haben sie nicht selten mehrere gleich gute Bewerber zur Auswahl. Trotzdem müssen sie sich entscheiden. Meist tun sie dies aufgrund ihres Bauchgefühls.
- Eine Entscheidung treffen trotz „ungenügender“ Information. Vor dieser Herausforderung stehen wir in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten modernen Arbeitswelt immer öfter.
- Das passende Timing wählen. Vor dieser Entscheidung stehen wir zum Beispiel, wenn wir einem Kollegen oder unserem Partner gerne sagen möchten, was uns an ihm stört oder was wir uns von ihm wünschen. Dann ist das Timing meist entscheidend dafür, auf welche Resonanz unsere Initiative stößt.
- Andere Personen und ihre Stimmung rasch einschätzen. Vor dieser Herausforderung stehen zum Beispiel Verkäufer im Kundenkontakt oft. Dann müssen sie häufig in Sekunden-Bruchteilen entscheiden, wie „tickt“ mein Gegenüber oder wie ist er gerade drauf, um die richtige Kundenansprache zu wählen.
- Für ein Problem eine ganz neue Lösung finden. Dann kommen wir meist mit unserer gewohnten Art, Probleme anzugehen, nicht weit. Wir brauchen eine „zündende Idee“, wie wir das Problem eventuell ganz anders lösen könnten.
Intuition ist auch ein Ergebnis von Erfahrung
Viele Menschen sind überzeugt: Den „sechsten Sinn“ hat man oder nicht. Doch wissenschaftliche Studien belegen: Jeder Mensch verfügt grundsätzlich über die Fähigkeit, Menschen, Situationen und Konstellationen intuitiv richtig einzuschätzen. Sie ist nur verschieden stark ausgeprägt. Und: Diese Fähigkeit lässt sich trainieren. Denn inwieweit wir in der Lage sind, Personen und Situationen richtig wahrzunehmen und einzuschätzen, hängt auch von unserem Vorwissen und unserer Erfahrung ab.
So nimmt zum Beispiel ein routinierter Autofahrer brenzlige Verkehrssituationen meist eher wahr als eine Person, die gerade den Führerschein machte. Letztere hat zwar auch oft das Gefühl „Huch, das wird gefährlich“. Dieses Gefühl resultiert aber häufig aus Unsicherheit – also eben gerade daraus, dass sie die Situation noch nicht einschätzen kann. Ebenso spürt eine Mutter oft, wenn ihr Kind zum Beispiel von der Schule nach Hause kommt, sofort: Da ist heute etwas vorgefallen. Ein Fremder registriert dies nicht.
Ähnlich ist es in unserem Arbeitsbereich. Ein erfahrener Verkäufer spürt, wenn er einem Kunden gegenüber steht, meist intuitiv, ob er von diesem an diesem Tag einen Auftrag erhält. Ähnlich ist es oft bei Technikern, die schon seit Jahren bestimmte Maschinen warten. Sie müssen zuweilen eine Maschine scheinbar nur anschauen und schon wissen sie, warum diese nicht funktioniert.
Doch wie können wir unser Gespür für Menschen, Situationen und Konstellationen trainieren? Eine Voraussetzung hierfür ist: Wir müssen zunächst akzeptieren, dass Emotionen und unser Unterbewusstsein viel stärker unser Verhalten bestimmen, als wir dies gemeinhin vermuten. Eine weitere Voraussetzung ist: Wir müssen grundsätzlich bereit sein, auf unser Bauchgefühl zu hören.
Die Intuition im Alltag trainieren
Wenn dies der Fall ist, können Sie selbst zahllose Übungen zum Schulen Ihres Bauchgefühls, also Ihrer unbewussten Wahrnehmung erfinden. Einige Beispiele: Angenommen Sie warten mit vielen Menschen auf einen Fahrstuhl. Dann können Sie sich, bevor sich die Tür öffnet, fragen: Welche Personen werden wohl als erste den Fahrstuhl betreten? Oder Sie sind in einem Meeting. Dann können Sie sich fragen: Wann wird mein Kollege Mayer das Wort ergreifen und was wird er sagen? Oder Sie sind auf einer Party. Dann können Sie sich fragen: Welche Personen werden in einer Stunde zusammenstehen und intensiv miteinander schwatzen oder flirten?
Wenn Sie sich solche Aufgaben regelmäßig stellen, merken Sie nach einiger Zeit: Ihre Prognosen sind häufiger richtig. Denn durch solche Übungen lernen Sie, Personen und Situationen intuitiv richtig wahrzunehmen und einzuschätzen. Wichtig zum Schulen Ihrer Intuition ist auch die Selbstreflexion. Fragen Sie sich zum Beispiel jeden Abend: Welche Entscheidungen traf ich heute weitgehend intuitiv? Sie werden merken: Es sind mehr als Sie vermuten. Fragen Sie sich dann, ob diese richtig oder falsch waren. Und überlegen Sie sich anschließend, welches Gefühl Sie hatten, als Sie sich von Ihrer Intuition leiten ließen. Verspürten Sie ein Prickeln im Bauch als Aufforderung, etwas zu tun? Oder ein Gefühl der Verspannung im Nacken als Warnung, Ihrer Eingebung nicht zu folgen?
Besonders gut können wir unsere Intuition in der Freizeit trainieren, denn damit wir unsere innere Stimme hören, müssen wir in der adäquaten Stimmung sein. Wer gestresst ist, arbeitet Aufgaben nur mechanisch ab. Er ist nicht offen für Neues. Ebenso verhält es sich, wenn wir Angst haben. Anders ist es, wenn wir relaxt sind und uns pudelwohl fühlen. Dann nehmen wir unsere Umwelt und Empfindungen sensibler wahr. Deshalb sollten wir uns, wenn wir das Unterbewusstsein als Ideenquelle anzapfen möchten, zunächst in die richtige Stimmung versetzen. Zum Beispiel mittels Entspannungsübungen oder -musik.
Sich aus der Hektik des Alltags lösen
Generell sollten wir uns von der Hektik des Alltags lösen, wenn wir auf ganz neue Ideen kommen möchten. Diese Erfahrung haben Sie gewiss auch schon gemacht. Zum Beispiel, wenn Ihnen beim Spazieren-gehen oder unter der Dusche plötzlich die Lösung für ein Problem einfiel, über das Sie schon tagelang gegrübelt haben.
Weil wir für das Entwickeln neuer Ideen auch ein bestimmtes Umfeld brauchen, ziehen sich zum Beispiel Manager vor wichtigen Entscheidungen oft in Klöster zurück. Denn sie wissen: In der Tretmühle des Alltags reproduzieren wir stets nur dieselben Gedanken. Um auf wirklich neue Ideen zu kommen, müssen wir uns von unseren Denk- und Verhaltensroutinen lösen.
Doch Sie können für das Lösen einer neuen oder schwierigen Aufgabe nicht stets in ein Kloster fahren. Versuchen Sie stattdessen doch mal, Ihr Problem mit anderen Augen als gewohnt zu sehen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihr Problem sei eine Landschaft. Wie würde diese aussehen? Dunkel und bedrohlich oder eher hell und sonnig? Eher geordnet wie ein Park oder wie ein Urwald? Oder stellen Sie sich vor, die Herausforderung sei ein Theaterstück. Oder eine Maschine. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen: Sie gewinnen einen neuen Blick auf Ihr Problem und in Ihnen steigen neue Gedanken und Ideen empor.
Den Empfindungen nicht blind vertrauen
Dabei Vorsicht! Nicht jeder Gedanke ist eine „zündende Idee“. Und nicht alles, was uns unser Empfinden sagt, sollten wir umsetzen. Viele Menschen tappen auch regelmäßig in Fettnäpfchen, weil sie blind ihrem Bauchgefühl folgen, statt ihre Eingebungen und Empfindungen zunächst zu prüfen.
Dies sollten wir insbesondere dann tun, wenn bestimmte Situationen oder Personen aufgrund unserer Vorerfahrungen sozusagen automatisch gewisse positive oder negative Emotionen in uns wachrufen. Dann sollten wir uns zum Beispiel gezielt fragen: Warum finde ich diese Person (un-)sympathisch? Zum Beispiel, weil ihr Äußeres mich an einen Kollegen erinnert? Oder weil sie von mir Dinge erwartet, die ich (nicht) tun möchte? Oder weil…?
Denn nicht jede Emotion ist eine zielführende Intuition. Wer sich rein auf sein Bauchgefühl verlässt, war schon oft verlassen. Deshalb kann der Rat nur lauten: Hören Sie zwar auf Ihre innere Stimme und schulen Sie diese, damit Sie einen inneren Kompass für „richtig“ und „falsch“ haben. Vertrauen Sie Ihren Emotionen und Geistesblitzen jedoch nicht blind. Denn gerade bei wichtigen Weichenstellungen in unserem Leben ist oft auch unser Verstand gefragt.
Sabine Prohaska
Zur Autorin: Sabine Prohaska ist Inhaberin des Trainings- und Beratungsunternehmens seminar consult prohaska, Wien, das unter anderem Coachs ausbildet (www.seminarconsult.at). Sie ist unter anderem Autorin des 2016 im Junfermann Verlag erschienenen Buchs „Lösungsorientiertes Selbstcoaching: Ihren Zielen näherkommen – Schritt für Schritt“.