Mehr Selbstverantwortung im Unternehmen

Warum zeigen manche Mitarbeiter mehr Selbstverantwortung als ihre Kollegen? Warum sind sie eher bereit, Verantwortung zu übernehmen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich der Managementberater Joachim Simon in seinem neuen Buch „Selbstverantwortung in Unternehmen“. ………………….sprach mit ihm hierüber.

 

? Herr Simon, ist das Thema Selbstverantwortung nicht ein alter Hut?

Simon: Im Prinzip ja. Zumindest zielten alle Managementsysteme, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden bzw. in Mode waren, unter anderem darauf ab, mehr Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene zu verlagern – unabhängig davon, ob sie Lean Management, TQM oder OKR heißen.

? Warum wird über das Thema Selbstverantwortung trotzdem zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Bestreben, die Agilität der Unternehmen zu erhöhen, so lebhaft diskutiert?

Simon: Unter anderem, weil in unserer vernetzten Arbeitswelt die Aufgaben in den Unternehmen immer komplexer werden und deren Kernleistungen zunehmend von bereichsübergreifenden Teams erbracht werden. Deshalb müssen die Führungskräfte ihre Mitarbeiter verstärkt an der langen Leine führen, oder wie ich als Hobbybergsteiger lieber sage am langen Seil. Und die Mitarbeiter? Sie müssen mehr Selbstverantwortung übernehmen.

Die Menschen sind und bleiben verschieden

? Warum tun sie das oft nicht in dem von ihren Chefs gewünschten Umfang?

Simon: Auch weil zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Thema Employability, also Beschäftigungsfähigkeit, zu wenig die Frage beachtet wurde: Welche psychologischen Dispositionen  führen dazu, dass Menschen selbstverantwortlich handeln?

? Also wie lassen sich die individuellen Unterschiede bei der Bereitschaft, Verantwortung bzw. Selbstverantwortung zu übernehmen, erklären?

Simon: Ja, eine erste Antwort auf diese Frage lieferte der amerikanische Psychologe Julian B. Rotter in seiner 1966 erschienenen Monografie zum Thema „Locus of Control“. In ihr unterscheidet er zwischen Menschen mit einer internen und einer externen Kontrollüberzeugung.

 

Wirkfaktor 1: eine interne statt externe Kontrollüberzeugung

? Wodurch unterscheiden sich diese?

Simon: Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung glauben, dass sie durch ihr Denken und Handeln ihr Leben beeinflussen können. Menschen mit einer externen Kontrollüberzeugung hingegen sind überzeugt, ihr Leben werde primär von Umständen, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen, bestimmt.

? Warum trifft man in unserer Gesellschaft so viele Menschen, die die Grundeinstellung „Da kann man eh nichts machen“, also laut Rotter eine externe Kontrollüberzeugung haben?

Simon: Unter anderem, weil schon kleinen Kindern oft beigebracht wird, gehorsam bzw. folgsam zu sein und möglichst keine Fehler zu machen. Deshalb entwickeln viele Menschen früh in ihrem Leben Denk- und Verhaltensmuster, die ihnen später eine verantwortungsvolle Haltung erschweren. In unserer von rascher Veränderung geprägten Welt brauchen wir aber mehr Gestalter, die bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen – also Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung.

? Wieso?

Simon: In den 1930er-Jahren sagte Henry Ford sinngemäß: „Mein Problem ist, dass ich zu den beiden Händen meiner Arbeiter immer noch ein Gehirn bekomme.“ Mitdenken war in der tayloristischen Industrie also nicht gefragt. In der heutigen Wissensgesellschaft hört man von Managern hingegen eher die Klage: „Die Mitarbeiter denken nicht ‚richtig‘ mit.“ Dabei blenden sie jedoch aus: Zum Mitdenken lassen sich letztlich nur Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung motivieren – also Personen, die der Überzeugung sind, dass man den Lauf der Dinge beeinflussen kann. Inwieweit Mitarbeiter dieser Überzeugung sind, hängt selbstverständlich auch von den Rahmenbedingungen und der Kultur im Unternehmen ab, aber auch von ihrer persönlichen Disposition.

? Heißt das, die Unternehmen stellen zum Teil die falschen Leute ein?

Simon: Zumindest sollten die Personalverantwortlichen schon beim Einstellen von Mitarbeitern – jobabhängig – stark darauf achten, wie aufgeprägt deren interne Kontrollüberzeugung ist. Dies zeigen oft schon ihre Biografien: Hat ein Bewerber sein Leben aktiv gestaltet, Dinge ausprobiert und vorangetrieben, oder wartete er eher reaktiv ab, was passiert? Das lässt sich auch in Bewerbungsgesprächen mit Fragen erkunden.

 

 

Wirkfaktor 2: ein ausbalanciertes Zeitverhältnis

 

? Gibt es weitere psychische Faktoren, die beeinflussen wie viel Verantwortung und Eigeninitiative ein Mitarbeiter zeigt?

Simon: Ja, Menschen mit einer hohen Selbstverantwortung haben in der Regel ein ausbalanciertes Verhältnis zur Zeit.

? Was heißt das?

Simon: Vereinfacht formuliert: Bei ihnen sind die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Denken und beim Entscheiden eng miteinander verknüpft. Sie sind also mit ihrem Denken zum Beispiel nicht in der Vergangenheit verhaftet und fragen sich bei Aufgaben primär: Was hat in der Vergangenheit funktioniert oder nicht? Sie sind vielmehr offen für Neues. Sie leben aber auch nicht hedonistisch im Hier und Jetzt und konzentrieren sich ausschließlich auf das, was gerade ist bzw. das, was sie gerade wahrnehmen.

? Was ist daran schlecht? Psychogen fordern doch oft stärker im Hier und Jetzt zu leben?

Simon: Zunächst mal nichts. Wenn man aber etwas gestalten möchte, darf man nicht nur den Moment auskosten und gemäß der Maxime „YOLO – You only live once“ leben. Man muss auch aus den Erfahrungen in der Vergangenheit lernen und die Konsequenzen des Handelns im Blick haben. Man sollte also, wie der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo dies nennt, keine hedonistische, sondern eine holistische Gegenwartsorientierung haben, denn nur dann trifft man Entscheidungen, die auch langfristig tragfähig sind.

? Und solche Personen sind dann die von Ihnen verstärkt geforderten Gestalter?

Simon: Nein. Das sind eher die top-fitten Macher bzw. Problemlöser, die jedes Unternehmen auf allen Ebenen braucht und die letztlich deren Rückgrat bilden. Die echten Gestalter haben ein anderes Profil.

Gestalter haben eine starke Zukunftsorientierung

 

? Inwiefern?

Simon: Die Zukunft ist wie die Vergangenheit ein psychisches Konstrukt; eine Geschichte, die wir in unseren Köpfen erschaffen und uns selbst und anderen erzählen. Gestalter glauben an eine positive Zukunft. Deshalb können sie bei Bedarf auch den Verlockungen im „Hier und Jetzt“ widerstehen und mutige Entscheidungen treffen.

? Sie haben also eine Art Zukunftsblick?

Simon: Ja. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und der Wille zu gestalten, sind psychologisch betrachtet unauflösbar mit einer positiven Zukunftsperspektive verknüpft. Doch hier gilt es die rechte Balance zu wahren und bei aller Zukunftsorientierung die Gegenwart nicht aus dem Blick zu verlieren, auch weil hierunter oft die Achtsamkeit und Empathie leidet.

? Was zuweilen bei Top-Managern der Fall sein soll.

Simon: Ich widerspreche nicht.

? Wie können Führungskräfte, die Gestalter sind oder sein möchten, nun andere Menschen für ihre Zukunftsvision gewinnen?

Simon: Zunächst sollten sie sich klar machen, dass sie zwar ihre eigene Kontrollüberzeugung und Zeitorientierung zum Beispiel mit Hilfe eines Coaches ändern können, die ihrer Mitarbeiter aber nicht.

? Warum?

Simon: Weil diese ihre Wurzeln in deren Persönlichkeit und Biografie haben. Sie können ihre Mitarbeiter aber ihrer persönlichen Disposition entsprechend einsetzen und bei ihnen vorhandene positive Tendenzen zumindest situativ verstärken.

 

Durch Storytelling die (Selbst-)Verantwortung stärken

? Wie?

Simon: Ein wirksames Tool, um die Selbstverantwortung zu fördern, ist zum Beispiel das Storytelling. Hierbei geht es darum, spannende Geschichten zu erzählen und zukunftsweisende Fragen zu stellen und so dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter ein Bild von Zukunft entwickeln, das sie motiviert, weil sie ein Teil hiervon sein möchten. Gerade in Marktumbruchzeiten sollten Führungskräfte in einem kontinuierlichen motivierenden Dialog mit ihren Mitarbeitern stehen, denn: Wenn ihnen ihr Storytelling gelingt, erwächst hieraus eine große Handlungsenergie.

? Und wenn diese existiert, können die Führungskräfte ihre Mitarbeiter loslassen, weil sie dann ihr Potenzial entfalten?

Simon: Wenn Führen so einfach wäre, würden sich viele Führungskräfte freuen. Die Mitarbeiter sind aber in der Regel sowohl bezüglich ihrer Kompetenz, als auch Persönlichkeit sehr verschieden. Deshalb sollte das Vertrauen bzw. Los-lassen nie so weit gehen, dass der Mitarbeiter denkt: Meine Führungskraft interessiert sich nicht für mich und meine Arbeit.

? Es sollte also stets auch eine gewisse Kontrolle geben?

Simon: Ja, denn ganz ohne Kontrolle kann bei Mitarbeitern schnell der Eindruck entstehen, ihre Arbeit sei dem Chef egal. Kontrollieren Führungskräfte hingegen zu viel, kann dies als Misstrauen erlebt werden und demotivierend wirken. Und nie vergessen sollte man: Ohne Kontrolle ist auch kein fundiertes Feedback möglich.

Ohne Kontrolle ist kein fundiertes Feedback möglich

? Wieso?

Simon: Um ein solches Feedback, auch positives zu geben, muss die Führungskraft sich die Arbeit ansehen und diese wertschätzend kontrollieren. Ohne Kontrolle ist nur ein oberflächliches „gut gemacht“ möglich, das weniger Wirkung entfaltet als eine detaillierte Rückmeldung. Hinzu kommt: Ohne eine der Person, Situation und Aufgabe angemessene Kontrolle keimt mit der Zeit in Teams oft ein unsoziales Verhalten auf. Diese Gefahr ist gerade bei virtuellen Teams groß, da bei ihnen auch die wechselseitige soziale Kontrolle weitgehend entfällt.

? Was heißt das?

Simon: Einige Mitarbeiter versuchen, die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen und auszuloten, wie weit sie gehen können. Ein solches Verhalten infiziert wiederum oft Kollegen und irgendwann haben die Mitarbeiter, die ihren Job verantwortungsbewusst machen, das Gefühl: „Wir sind die Dummen bzw. Exoten.“

? Was auch bei ihnen zu einem Nachlassen der Motivation und Selbstverantwortung führt.

Simon: Ja. Deshalb sollten Führungskräfte zwar mit Vertrauen führen, aber zugleich eine adäquate Kontrolle ausüben. Diese Kontrolle darf aber nicht auf der inneren Haltung basieren „Ich will die Fehler finden“. Die Handlungsmaxime muss vielmehr sein: „Ich will sehen, wie gut der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin bzw. das Team das macht.“ Die Kontrolle der Arbeitsweise bzw. des Vorgehens und der Arbeitsergebnisse sollte also auf der Basis eines wechselseitigen Vertrauens erfolgen.

? Herr Simon, danke für das Gespräch.

Joachim Simon

Zum Interviewten: Joachim Simon, Braunschweig, ist Führungskräftetrainer und -coach. Im September 2020 erschien im Haufe-Verlag sein Buch „Selbstverantwortung im Unternehmen: Was Sie als Führungskraft dafür tun können“. Zu diesem Thema hält er auch Seminare und Vorträge in Unternehmen (www

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