Ein „Trusted Advisor“ oder nur ein „Geschäftsfreund“?

Für Berater kann es durchaus gefährlich sein, wenn sie eine zu enge persönliche Beziehung zu ihren Kunden entwickeln bzw. diese zu ihren „Fans“ werden.

Seit Jahren geistert immer wieder der Begriff „Trusted Advisor“ durch die Diskussion über das Thema Beratermarketing. In ihr wird suggeriert, wer als Berater langfristig Erfolg haben möchte, muss zu seinen Kunden eine Vertrauensbeziehung aufbauen.

Und diese Vertrauensbeziehung sollte so stark sein, dass die Kunden im Bedarfsfall

  • stets ihren Berater bzw. „Trusted Advisor“ und nicht einen seiner Mitbewerber kontaktieren und
  • ihm letztlich den Auftrag erteilen – selbst wenn sein Kostenvoranschlag etwas höher als der seiner Mitbewerber ist (sofern sie einen solchen überhaupt wünschen).

Trusted Advisor sein: ein Garant für viele treue Kunden?

Und ein solches Verhalten zeigen die Kunden, weil sie „ihrem Berater“ nicht nur fachlich vertrauen, sondern zu ihm auch eine von Vertrauen geprägte persönliche Beziehung haben. Deshalb befürchten sie nicht: „Der denkt nur an seinen Profit und zieht mich über den Tisch.“ Gelingt es einem Berater eine solche Beziehung zu seinen Kunden aufzubauen, so die Annahme, dann hat er nicht nur sehr viele treue Stammkunden, sondern erzielt auch eine Top-Rendite.

Diese Argumentation stimmt insoweit, dass Stammkunden meist wirklich die lukrativsten Kunden sind, weil man sie und ihr Geschäft sowie ihre Denke und ihre Präferenzen kennt. Deshalb entfällt das Einarbeiten, das bei Neukunden stets nötig ist. Zudem entfallen die vielen Überarbeitungsschleifen, die oft erforderlich sind, wenn man die Vorlieben und zentralen Bedürfnisse von Neukunden noch nicht kennt.

Doch ist hierfür nötig, sozusagen eine Art väterlicher Freund der Kunden zu werden, dem diese sich – gleich Kindern ihren Eltern (zumindest bis zur Pubertät) – mit all ihren Sorgen und Nöten anvertrauen? Oder ist dies eventuell sogar gefährlich?

Meine Erfahrung sagt mir, letzteres ist der Fall, obwohl wir ca. 90 Prozent unseres Umsatzes mit Kunden erzielen, die uns seit über 10 Jahren treu sind. Also müssen wir für sie so etwas wie Trusted Advisors sein, auf deren fachliche Kompetenz und persönliche Integrität sie vertrauen. Ansonsten wären sie nicht so lange unsere Kunden.

Doch sind diese Kunden auch meine Freunde? Nein! Sie sind Geschäftsfreunde, die ich auch als Mensch schätze. Faktisch ist (und bleibt) unsere Beziehung eine nüchterne Geschäftsbeziehung, auch wenn

  • wir in unseren Gesprächen oft lachen und zuweilen auch über Privates schwatzen und
  • man sich wechselseitig auch immer mal wieder (unentgeltlich) hilft – gerade in Corona-Zeiten.

Ein väterlicher Freund (gibt es hierzu eigentlich ein weibliches Pendant?) bin ich für unsere Kunden jedoch nicht, obwohl ich graue Haare habe.

Ein Trusted Advisor zu sein, ist gefährlich

Bei all unseren Kunden, bei denen ihre Beziehung zu uns eine solche „Fan-Attitüde“ enthielt, endete die Geschäftsbeziehung wieder nach zwei, drei Jahren – aus folgenden beiden Gründen:

  1. Diese Kunden leiteten irgendwann, überspritzt formuliert, jeden Mist, der direkt oder indirekt etwas mit Marketing und Vertrieb zu tun hatte, an uns weiter in der Regel mit einer kurzen Mail wie „Herr Kuntz, können Sie mal kurz… “ oder „Würden Sie mal eben…“ statt sich selbst zunächst mal (zumindest kurz) damit zu befassen und eigenständig nach einer Lösung zu suchen. Deshalb waren wir fortlaufend mit irgendwelchen Services für sie beschäftigt, die wir selbstverständlich nicht in Rechnung stellen sollten, bis irgendwann von uns das Signal kam: „Bei aller Servicebereitschaft, so nicht!“ … Woraufhin diese Kunden bzw. Fans von ihrem Trusted Advisor, also von mir, selbstverständlich enttäuscht waren.
  2. Diese Kunden weigerten sich faktisch, sich ernsthaft mit den Themen Marketing und Vertrieb zu befassen, obwohl zumindest der Vertrieb ein Kernprozess in jedem Betrieb ist und bleibt. Stattdessen schoben sie alles an ihren „Trusted Advisor“ weiter, der es für sie erledigen sollte. Deshalb erfolgte bei ihnen in diesem Bereich auch kein Kompetenzaufbau. Sie blieben hilflos und abhängig wie Kinder. Und letztlich war selbstverständlich auch der Trusted Advisor daran schuld, wenn ihre Erträge und Umsätze hinter ihren Erwartungen zurückblieben – weshalb sie sich nach einigen Jahren einen anderen Berater zum Müll- oder Job-abladen suchten.

Trusted Advisor oder „Mädchen für alles“ gesucht?

Entsprechend ambivalent ist meine Haltung zum Thema „Trusted Advisor“. Ich bin gerne ein „Trusted Advisor“ für Berater, die sich als Unternehmer verstehen und auch entsprechend handeln.

Innerlich unruhig werde ich aber, wenn mich ein Berater als sein „Trusted Advisor“ sieht, der nicht verinnerlicht hat, dass er auch Unternehmer ist und selbst für sein Business verantwortlich ist und bleibt. Denn dann bedeutet „Trusted Advisor sein“ nichts anders als sozusagen „Mädchen für alles“ zu sein und die Verantwortung zu tragen, die der Unternehmer selbst nicht tragen möchte.

Vorsatz für 2021: Die eigene Marketing-Kompetenz ausbauen

 

Überlegen Sie deshalb – und auch vor dem Hintergrund der Veränderungen, die sich aktuell in Ihrem Markt vollziehen – inwieweit ein Vorsatz von Ihnen für das Jahr 2021 eventuell lauten sollte: Ich baue meine Digital- und (Online-)Marketing-Kompetenz gezielt aus.

Denn selbst wenn Sie danach einen großen Teil der operativen Marketingaufgaben weiterhin an einen Berater (oder Mitarbeiter) delegieren, zumindest eine Bewertungskompetenz im (Online-)Marketing-Bereich sollten Sie als Unternehmer stets haben. Sonst glauben Sie schnell jedes Ammen-Märchen, das Ihnen die Berater erzählen und Sie sind und bleiben von ihnen abhängig.

Bernhard Kuntz

Zum Autor: Bernhard Kuntz ist der (Online-)Marketing-Agentur Die  PRofilBerater GmbH, Darmstadt. Er ist Autor u.a. des Buchs „Die Katze im Sack verkaufen: Wie Sie Bildung und Beratung mit System vermarkten – offline und online“. Internet: www.die-profilberater.de

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