Nachhaltigkeit: der Druck zu handeln steigt

Was bedeutet für uns Nachhaltigkeit? Mit dieser Frage müssen sich die Unternehmen befassen – unter anderem weil die Folgen des Klimawandels weltweit immer spürbarer werden und die Staaten zunehmend zu einem Gegenlenken zwingen.

Nachhaltig zu wirtschaften, vor dieser Herausforderung standen Unternehmensführer schon immer. Doch diese Herausforderung bedeutete ursprünglich primär für sie, ihr Unternehmen so zu führen, dass seine Existenz langfristig gesichert ist. Diese rein ökonomische Betrachtung des Themas Nachhaltigkeit änderte sich Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts allmählich.

Damals veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. In ihm prognostizierte das Expertengremium unter anderem aufgrund einer Computersimulation:

  • Bei einem Beibehalten der bestehenden Art zu wirtschaften werden spätestens in 100 Jahren die absoluten Grenzen des Wachstums auf der Erde erreicht sein. Und:
  • Wenn wir unsere Art zu wirtschaften mit ihrem hohen Ressourcenverbrauch nicht stoppen, drohen ein Kollaps der Ökosysteme und eine fortschreitende Zerstörung des menschlichen Lebensraums.

Der Begriff Nachhaltigkeit bekam also neben der ökonomischen zunehmend eine ökologische Dimension. Diese prägte fortan das immer stärker werdende Umweltschutzbewusstsein, was unter anderem zur Gründung solcher Organisationen wie Greenpeace (1971) sowie der Partei „Die Grünen“ in Deutschland führte (1980).

Das Verständnis von Nachhaltigkeit wandelt sich

Die beiden genannten Dimensionen findet man auch in der Nachhaltigkeitsdefinition der 1983 von den Vereinten Nationen eingesetzten Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Sie sollte Perspektiven für eine gesellschaftliche Entwicklungspolitik aufzeigen, die auch umweltschonend ist. In ihrem 1987 vorgestellten Abschlussdokument „Unsere gemeinsame Zukunft“ präsentierte sie ein Entwicklungskonzept, das eine dritte Nachhaltigkeitsdimension umfasst: die soziale. Dahinter steht die Überzeugung, dass dauerhaft stabile Gesellschaften nur möglich sind, wenn die ökologischen, ökonomischen und sozialen (Entwicklungs-)Ziele gleichrangig behandelt und nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Diesen Ansatz, der als das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit bezeichnet wird, findet man auch in der 2015 verabschiedeten Agenda 2030 der Vereinten Nationen. In ihr werden 17 globale Ziele für eine nachhaltige Entwicklung formuliert. Die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) richten sich an alle Regierungen weltweit, aber auch an die Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Wissenschaft (siehe Kasten). Sie sollen ihnen als Wegweiser für ihr künftiges Handeln dienen.

Beim Thema „nachhaltige Entwicklung“ divergieren die Interessen

Obige Ausführungen zeigen: Die Bedeutung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Zudem war und ist es im gesellschaftlichen Diskurs umstritten, was unter einer „nachhaltigen Entwicklung“ zu verstehen ist und wie dieses Ziel erreicht werden kann. So kritisieren zum Beispiel neo-liberale Denker seit Jahren immer wieder, in der Nachhaltigkeitsdebatte werde nicht ausreichend die ökonomische Dimension beachtet. Deshalb förderten die angedachten Lösungen keine nachhaltige Entwicklung im Sinne eines dauerhaften wirtschaftlichen Erfolgs, der den Wohlstand sichert. Zugleich kritisieren Umweltweltaktivisten durch die Gleichgewichtung der drei Säulen im Drei-Säulen-Modell werde der Status-quo festgeschrieben. Sie fordern, dass in der Nachhaltigkeitsdebatte die ökologische (und soziale) Dimension stärker als die ökonomische betont wird – denn anders sei zum Beispiel das Klima nicht mehr zu retten.

Aufgrund dieser kontroversen Sichtweisen bezeichnen nicht wenige Experten die Begriffe Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung als „Gummibegriffe“, die jede Person und Organisation abhängig von ihren individuellen Interessen füllt. Entsprechend wichtig ist es, dass Unternehmen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, sich zunächst fragen, was diese Begriffe für sie überhaupt bedeuten und hierüber firmenintern ein Commitment herbeiführen. Dabei muss den Entscheidern jedoch bewusst sein, dass ihre Organisation in ein Umfeld eingebettet ist, das konkrete Erwartungen an sie hat; außerdem, dass die Erwartungen der verschiedenen Stakeholder wie Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Kapital- und Gesetzgeber sich nicht nur verändern, sondern oft auch divergieren. Denn nur wenn ein Unternehmen die verschiedenen Erwartungen kennt, kann es entscheiden: Auf welche wollen, können und müssen wir reagieren?

Frage: Was motiviert uns, uns mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen?

Entsprechend wichtig ist es im Vorfeld zu klären: Was motiviert uns überhaupt dazu, uns mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen? Tun wir dies aus einer eigenen intrinsischen Motivation – zum Beispiel, weil wir selbst davon überzeugt sind, dass ein nachhaltiges Wirtschaften und Arbeiten überlebensnotwendig ist? Oder ist das Gegenteil der Fall? Beschäftigen wir uns mit ihm primär, weil wir hierzu genötigt werden – zum Beispiel

  • weil die für unsere Produktion benötigten Rohstoffe, immer knapper und teurer werden oder
  • weil uns der Gesetzgeber durch Vorgaben immer stärker dazu zwingt oder
  • weil für die Kaufentscheidung unserer Kunden das Kriterium „Nachhaltigkeit“ immer relevanter wird?

Die Quellen der eigenen Motivation zu kennen, ist wichtig, weil dies einen Einfluss darauf hat,

  • wie konsequent das Unternehmen sein bisheriges Denken und Handeln hinterfragt und
  • wie ganzheitlich im Sinne des 3-Säulen-Modells die angedachten bzw. praktizierten Lösungen sind.

So ließ sich zum Beispiel in der Vergangenheit bei nicht wenigen Produktionsunternehmen konstatieren, dass sie sich mit dem Thema Nachhaltigkeit primär unter dem Effizienz-Gesichtspunkt befassten – also sich zum Beispiel fragten: Wie können wir das Gleiche wie bisher mit einem geringeren Ressourcenaufwand produzieren? Dies auch deshalb, weil hier meist am schnellsten und einfachsten Veränderungen möglich sind. Zudem kann man hierbei oft auch ökonomische Einsparungen erzielen.

Eher zögerlich befassten sich die Unternehmen jedoch meist mit den beiden anderen Hebeln für eine nachhaltigere Produktion:

  • Konsistenz – zielt auf einen Wandel der Produktion ab, so dass nur noch Ressourcen und Technologien zum Einsatz kommen, die die Leistungen der Ökosysteme zwar nutzen, aber nicht belasten (z.B. Nutzung erneuerbarer statt fossiler Energie) sowie
  • Suffizienz – zielt auf ein Umdenken beim Produzieren ab. Produziert werden soll nur noch, was und so viel wie wir Menschen wirklich für ein „gutes“ Leben in Einklang mit der Natur brauchen (z.B. durch Sharing-Konzepte, Erhöhung der Lebensdauer der Produkte).

Diese Zögerlichkeit ist auch darin begründet, dass im Bereich „Konsistenz“ und „Suffizienz“ Lösungen oft schwierig zu finden und zu realisieren sind. Zudem sind hierfür meist hohe Investitionen nötig, sofern mit ihnen nicht sogar ein bewusstes Downsizing oder gar ein bewusster Verzicht auf potenzielle Umsätze und Erträge einhergeht.

 

Bei nicht wenigen Handelsunternehmen konnte man zudem konstatieren, dass sich mit dem Thema Nachhaltigkeit primär befassten, weil dieses sich bei ihren Zielkunden zu einem wichtigen Kaufargument entwickelte. Sie erhofften sich durch den Verkauf von Produkten, die umweltschonend produziert und/oder bei deren Herstellung auch Aspekte wie das Tierwohl und eine faire Bezahlung der Rohstoff-Lieferanten (Fair trade) beachtet werden, einen Wettbewerbsvorteil und sahen hierin nicht selten sogar eine Chance zum „Up-graden“ ihrer Produkte und Erzielen höherer Preise und Gewinnmargen.

Der Handlungsdruck auf die Unternehmen wird sich erhöhen

Künftig wird eine so eindimensionale Herangehensweise an das Thema Nachhaltigkeit meist nicht mehr genügen,  um die Markterfordernisse zu erfüllen und die Existenz von Unternehmen nachhaltig zu sichern. Diese These ist nicht gewagt, wenn man sieht, in wie vielen Branchen das Thema Nachhaltigkeit heute bereits alle Anbieter zu einem fundamentalen Infragestellen ihres bisherigen Selbstverständnisses und ihrer bisherigen Strategien sowie einer Neudefinition ihres Geschäftsfeld zwingt – so zum Beispiel in der Automobilindustrie und im Energiesektor. Dies auch, weil sich in der Nachhaltigkeitsdebatte ein Thema zum zentralen Treiber entwickelt hat, das noch vor wenigen Jahren im Bereich Umweltschutz eine eher marginale Rolle spielte: der Klimawandel.

Da die Folgen des Klimawandels weltweit immer spürbarer werden, muss man kein Prophet sein, um zu prognostizieren: In den kommenden Jahren wird der Klimawandel von einem wachsenden Teil der Bevölkerung, wenn nicht als Bedrohung des eigenen Lebens, so doch dem ihrer Nachkommen gesehen werden. Hierdurch wird sich das Denken und somit Kaufverhalten der Kunden weiter verändern. Zudem wird die Politik immer stärker zu einem regulierenden Eingreifen bzw. gesetzgeberischen Handeln gezwungen sein. Deshalb ist absehbar: Die Wirtschaft wird in den kommenden Jahren weltweit mit immer schärferen Vorgaben im Bereich Umwelt- und Klimaschutz konfrontiert sein. Zudem werden auch immer mehr Leistungsträger der Unternehmen – also Personen, auf deren Know-how, Können und Engagement sie bei ihrer Leistungserbringung angewiesen sind – den Klimawandel und seine Folgen als existenziell bedrohlich erfahren. Also werden sie ihre Arbeitgeber zunehmend mit der Frage konfrontieren, inwieweit dieser klima- und umweltschonend arbeitet und einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele leistet. Deshalb ist die These nicht gewagt: Künftig werden die Unternehmen sich ganzheitlicher im Sinne des Drei-Säulen-Modells mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen und die erforderlichen Transformationsprozesse durchlaufen müssen, wenn sie ihre Existenz nachhaltig sichern möchten.

In den Chef-Etagen vieler Unternehmen fand ein Umdenken statt

Dieses Bewusstsein wächst zunehmend auch in den Chef-Etagen der Unternehmen. Deshalb findet in ihnen eine wachsende Zahl entsprechender Projekte statt – auch weil ihr Management agieren und nicht nur auf Vorgaben von außen reagieren möchte. In diesen Projekten dienen die von den Vereinten Nationen formulierten Nachhaltigkeitsziele bzw. Sustainable Development Goals (SDGs) oft als Basis für eine Reflektion:

  • Was bedeutet für uns ein nachhaltiges Wirtschaften und Arbeiten?
  • Worin zeigt sich ein solches in unserer Alltagsarbeit in all unseren Geschäftsbereichen und -prozessen?
  • Welche Entwicklungsziele sind unsererseits damit verbunden – ökonomisch, ökologisch und sozial? Und:
  • Welche Veränderungen sind hierfür in unserer Organisation auf der kulturellen, strukturellen und prozessualen Ebene nötig?

Aus den Ergebnissen werden dann Nachhaltigkeitskonzepte abgeleitet und hieraus wiederum Change- und Transformationsprojekte. Zudem werden in immer mehr Unternehmen bereichs- und funktionsübergreifende Projektgruppen zum Thema Nachhaltigkeit installiert, die im Dialog mit der Unternehmensleitung das Nachhaltigkeitskonzept kontinuierlich weiterentwickeln, denn letztlich gilt: Wenn es um das Thema nachhaltige Entwicklung bzw. nachhaltig wirtschaften und arbeiten sowie die damit verbundenen organisationalen und personalen Veränderungen geht, sind wir zurzeit alle noch Lernende bzw. Suchende nach dem erfolgversprechenden Weg.

Davon unabhängig ist jedoch die Botschaft, dass ein nachhaltiges Wirtschaften und Arbeiten für das Bewahren der Voraussetzungen für ein menschliches Leben in Würde auf der Erde künftig unabdingbar ist, auf der Top-Ebene der meisten Unternehmen angekommen … und damit ist zumindest der Grundstein für die erforderlichen Veränderungen gelegt.

Dr. Georg Kraus

Zum Autor: Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

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