Vertriebsmitarbeitern von Unternehmen ist oft unklar: Was sollten wir in den kommenden Monaten tun, um die Vertriebsziele zu erreichen? Denn zwischen der Vertriebsstrategie und dem Vertriebsalltag klafft häufig eine Planungslücke. Diese schließt ein Selling-Plan.
Alle Jahre wieder dasselbe Ritual. Der Vorstand oder die Geschäftsführung eines Unternehmens nennt den Vertriebsverantwortlichen die Ziele für das kommende Geschäftsjahr. Zum Beispiel: „Der Umsatz soll um 15 und die Rendite um drei Prozent steigern. Außerdem wollen wir 20 Prozent unseres Umsatzes mit Serviceleistungen und ebenso viel Geschäft mit Neukunden machen.“
Die Vertriebsverantwortlichen setzen sich daraufhin mit ihren Mitarbeitern zusammen und sagen ihnen: „Ihr müsst nächstes Jahr…. Zugegeben, das ist ein anspruchsvolles Ziel – aber ‚machbar’.“ Doch die Vertriebsmitarbeiter stöhnen: „Schon in diesem Geschäftsjahr konnten wir die Umsatzvorgaben nur schwer erreichen. Wie sollen wir da nochmals 15 Prozent draufsatteln, zumal momentan niemand weiß, wie es weitergeht?“
Die strategischen Ziele werden schnell vergessen
Gedanklich gehen die Key-Accounter währenddessen ihre Stammkunden durch: „Beim Kunden A habe ich 100.000 Euro Umsatz so gut wie sicher und beim Kunden B 60.000 Euro. Und beim Kunden C…. Das heißt: 60 Prozent des Umsatzes habe ich schon fast in der Tasche. Also muss ich noch Aufträge für 250.000 Euro an Land ziehen, dann habe ich die Umsatzvorgabe erfüllt.“
Die strategischen Vertriebsziele hingegen wie
- neue Kunden gewinnen oder
- mehr Serviceleistungen verkaufen oder
- höhere Gewinnmargen erzielen oder
- Referenzkunden für neue Produktlinien finden
haben die Verkäufer im Handumdrehen vergessen –
auch weil sie aus Erfahrung wissen: „Letztlich schauen meine Vorgesetzten gegen Quartals- oder Jahresende primär auf den Umsatz. Und wenn der stimmt, erhalte ich meine Provision.“ Also arbeiten sie gehabt weiter, ohne aufgrund der neuen Ziele ihre Arbeit neu zu planen.
Der Markt bearbeitet den Vertrieb – statt umgekehrt.
Ein solches Verhalten registriert man oft in Unternehmen aufgrund folgender strategischer Planungslücke im Vertrieb: Neben den Bereichszielen werden in der Regel zwar individuelle Ziele für die Mitarbeiter formuliert, es fehlt aber eine aus den strategischen Zielen abgeleitete Planung der Vertriebsmaßnahmen bezogen auf die einzelnen Kunden(-gruppen), die sich
- am Potenzial der Zielkunden und
- an den Chancen, den gewünschten Abschluss zu erzielen,
orientiert.
Und wenn Führungskräfte im Vertrieb von ihren Mitarbeitern eine solche Maßnahmenplanung wünschen? Dann hören sie oft Ausflüchte wie „Ich kann so weit im Voraus nicht planen; ich muss flexibel bleiben“. Die Vertriebsmitarbeiter sehen in ihrer „Planlosigkeit“ also einen Beleg für ihre Agilität. Faktisch sind solche Aussagen jedoch meist ein Indiz dafür, dass der Markt den Vertrieb bearbeitet und nicht der Vertrieb den Markt.
In vielen Unternehmen fehlen aber auch die Voraussetzungen für eine qualifizierte Maßnahmenplanung der Mitarbeiter. Sie werden zum Beispiel oft unzureichend über die Prämissen, von denen sich ihre Vorgesetzten beim Definieren der (strategischen) Ziele leiten ließen, informiert. Sie erhalten zudem keinen Zugang zu den Vertriebsdaten, die sie für eine Maßnahmenplanung brauchen – wie zum Beispiel die mit Kunden erzielten Deckungsbeiträge. Und: In fast allen Unternehmen fehlt ein Tool, das die Vertriebsmitarbeiter dabei unterstützt,
- aus den ihnen vorgegebenen Zielen, Ziele für ihre Alltagsarbeit abzuleiten und
- die erforderlichen Maßnahmen zu planen, um diese zu erreichen.
Denn in den meisten Unternehmen existieren zwar Sales-Pläne, also Umsatzpläne, in denen die mit den einzelnen Kunden(-gruppen) geplanten Umsätze aufgelistet sind. Es fehlen aber Selling-Pläne – also Maßnahmenpläne, in denen steht, durch welche Aktivitäten die Vertriebsmitarbeiter die Ziele erreichen möchten.
Vertriebserfolge im B2B-Vertrieb erfordern Planung
Das Erstellen solcher Selling-Pläne ist für das Planen und Steuern des Vertriebserfolgs im B2B-Vertrieb unabdingbar, denn:
- Wie sollen Verkäufer adäquat auf Marktchancen und -risiken reagieren, wenn sie die Markt- und Wettbewerbssituation nicht analysiert haben?
- Wie sollen sie unausgeschöpfte Marktpotenziale entdecken, wenn sie den Bedarf der (Noch-nicht-)Kunden in ihrem Vertriebsgebiet nicht kennen?
- Wie sollen sie effektiv arbeiten, wenn sie nicht wissen, bei welchen (Noch-nicht-)Kunden große Chancen bestehen, zusätzliche Aufträge an Land zu ziehen, weil ihnen ihr Unternehmen einen Mehrwert bieten kann?
Damit die Vertriebsmitarbeiter sich auf eine solche Marktanalyse und Maßnahmenplanung einlassen, muss das Analyse- und Planungsverfahren selbst gewisse Voraussetzungen erfüllen. Zum Beispiel:
- Die Abfolge der Planungsschritte muss in sich logisch sein und ihr Nutzen für die Mitarbeiter nachvollziehbar sein.
- Die benötigten Daten müssen leicht zu beschaffen sein oder bereitgestellt werden. Und:
- Der Planungs- und somit Zeitaufwand muss überschaubar sein.
Außerdem sollte die erstellte Planung dynamisch sein. Die Mitarbeiter müssen sie jederzeit verändern und aktualisieren können.
Praxisbeispiel: Einen Selling-Plan erstellen
Wie das Erstellen von Selling-Plänen funktioniert, sei am Beispiel eines Produktionsunternehmens illustriert, das mit Unterstützung von Peter Schreiber & Partner ein solches Planungs- und Steuerungsinstrument einführte und hierfür ein entsprechendes PC-Programm für seine Vertriebsmitarbeiter konzipierte.
In dem Unternehmen schreibt die Geschäftsleitung jedes Jahr, nachdem die (Vertriebs-)Ziele fürs kommende Jahr formuliert sind, einen „Planungsbrief“ an die knapp 100 Vertriebsmitarbeiter. In ihm wird ausgehend von den Unternehmenszielen und der Vertriebsstrategie zunächst erläutert, was die künftigen Vertriebsziele sind und auf welchen Planungsdaten sowie Markteinschätzungen sie beruhen. Außerdem werden die Mitarbeiter darüber informiert, welche abgeleiteten operativen Ziele sich für sie hieraus ergeben. So vorinformiert beginnen die Mitarbeiter damit, für sich und ihr Vertriebsgebiet individuelle Selling-Pläne zu entwerfen. Dieser Prozess gliedert sich in vier Phasen:
- Analyse des Umfeldes, des Marktes und der eigenen Situation,
- Formulieren von Prognosen und Prämissen,
- Reflektion der vorgegebenen Ziele und Ableitung eigener Ziele,
- Entwicklung und Planung strategie- und zielkonformer Maßnahmen.
Analyse des Marktes
In der Analysephase identifizieren die Vertriebsmitarbeiter externe Faktoren, die ihre Arbeit aktuell oder künftig (voraussichtlich) beeinflussen. Hierbei kann es sich um gesamtwirtschaftliche, politische, rechtliche, technologische und branchebezogene Aspekte handeln; außerdem um solche, die nur ihr Vertriebsgebiet betreffen. Anschließend schätzen sie ein, ob sich hieraus Chancen oder Risiken für ihre Arbeit ergeben.
Danach werden die Vertriebsmitarbeiter gebeten, die fünf stärksten Mitbewerber in ihrem Gebiet nebst deren geschätztem Marktanteil zu benennen; außerdem sollen sie in das PC-Programm mögliche neue Wettbewerber eintragen. Sie sollen zudem einschätzen, ob sich der Wettbewerb verschärfen wird und zwar differenziert nach solchen Faktoren wie Preis, Qualität und Service.
Nachdem die Vertriebsmitarbeiter sich so einen Überblick über ihren Markt verschafft haben, befassen sie sich gezielt mit den beiden aus ihrer Sicht „härtesten“ Wettbewerbern. Von ihnen sollen sie die Stärken und Schwächen im technischen, ablauf-organisatorischen, sozial-kommunikativen sowie kaufmännisch-wirtschaftlichen Bereich benennen. Das Ziel hierbei: Den Vertriebsmitarbeitern soll bewusst werden, auf welchen Faktoren die aktuelle Marktposition der Wettbewerber beruht. Denn hieraus können sie ableiten, wo sie den Hebel ansetzen könnten, um diesen Kunden oder Marktanteile abzujagen. Die von den Verkäufern so identifizierten Chancen und Risiken fließen in eine automatisch generierte Grafik und schließlich in eine SWOT-Analyse ein.
Analyse der eigenen Situation
Zuvor analysieren die Vertriebsmitarbeiter jedoch noch die eigene Situation. Hierfür tragen sie in das PC-Programm zunächst die in der Vergangenheit in den einzelnen Markt- und Produktsegmenten erzielten Umsätze und Deckungsbeiträge ein, so dass deren Entwicklung sichtbar wird. Die erforderlichen Daten stellt das Controlling zur Verfügung. Wenn die Mitarbeiter die Entwicklung des Umsatzes und der Deckungsbeiträge vor Augen haben, sollen sie die Erfolgsfaktoren in der Branche benennen; außerdem einschätzen, wie stark diese in ihrem Unternehmen beziehungsweise Vertrieb verglichen mit den Wettbewerbern ausgeprägt sind.
Nach diesem Analyseschritt listen die Vertriebsmitarbeiter ihre aktuell zehn umsatzstärksten Kunden mit Namen sowie dem erzielten Umsatz auf und ordnen diese vorgegebenen Kundengruppen zu – zum Beispiel OEM, Anlagenbauer, Betreiber. Wie stark der Umsatzanteil der einzelnen Kunden oder Kundengruppen am Gesamtumsatz ist, wird erneut automatisch grafisch dargestellt, so dass Einseitigkeiten in der Kundenstruktur und Abhängigkeiten von Großkunden sichtbar werden, die es bei der Ziel- und Maßnahmenplanung zu beachten gilt.
Prognosen formulieren und Ziele definieren
Nach der Analysephase folgt das Formulieren von Prognosen und Prämissen. Nun sollen die Vertriebsmitarbeiter kunden- und gebietsbezogen Annahmen formulieren – zum Beispiel darüber, wie sich das Verhalten ihrer Kunden aufgrund geänderter Vergabevorschriften verändern wird. Oder wie sich Produktneueinführungen oder anstehende Großprojekte auf die Kundenbeziehungen auswirken. Nun sollen sich die Vertriebsmitarbeiter also vor Augen führen, welche Besonderheiten und Entwicklungen sie in ihrem Gebiet und bei ihren Kunden bei der Ziel- und Maßnahmenplanung berücksichtigen sollten.
So präpariert formulieren sie in Phase 3 die Ziele für ihre eigene Arbeit – differenziert nach Finanz-, Markt- und Prozesszielen sowie persönlichen Zielen. Im ersten Schritt sollen die Mitarbeiter in ihrem Vertriebsgebiet zehn Zielkunden identifizieren, die
- ein hohes Zuwachspotenzial haben und
- bei denen aufgrund des Mehrwerts, den ihnen das Unternehmen bieten kann, eine hohe Chance zur Realisierung des Umsatzwachses besteht.
Bei diesen zehn Zielkunden sollen sie genau aufschlüsseln,
- welches Umsatzpotenzial in den einzelnen Produktsegmenten besteht,
- wie viel Umsatz sie dort im vergangenen Jahr bereits realisieren konnten und
- welchen Umsatz sie dort im kommenden Jahr erzielen möchten.
Die Vertriebsmitarbeiter definieren nun also selbst, wo und womit sie den angestrebten Umsatz erzielen möchten. Die geplanten Umsätze werden erneut aufsummiert und grafisch so aufbereitet, dass die Vertriebsmitarbeiter sofort sehen, welchen Umsatz sie in den einzelnen Produktgruppen sowie insgesamt erzielen, wenn alles wie geplant läuft.
Kunden- und gebietsbezogene Maßnahmen definieren
Danach folgt die strategie- und kundenkonforme Maßnahmenplanung in drei Schritten. Zunächst formulieren die Mitarbeiter bezogen auf die zehn Zielkunden die Einzelmaßnahmen, um den angestrebten Umsatz zu erzielen, und terminieren diese. Im zweiten Teil der Maßnahmenplanung stehen nicht die einzelnen Kunden zentral. Im zweiten Schritt überlegen sie, wie sie das gesamte Vertriebsgebiet weiter erschließen können. In der hierfür vorgesehenen Computermaske sind die den Vertriebsmitarbeitern vorgegebenen operativen Ziele ähnlich wie in einer Balance-Scorecard aufgelistet. Bezogen auf jedes Ziel sollen die Verkäufer bis zu fünf Maßnahmen formulieren, die sie ergreifen, um dieses zu erreichen. Auch diese werden terminiert. Danach werden die Maßnahmen definiert, die sich aus speziellen Vertriebsschwerpunkten ergeben – zum Beispiel aufgrund der geplanten Attacke eines Wettbewerbers.
Im Jahresverlauf können die Vertriebsmitarbeiter in das PC-Programm auch stets eintragen, inwieweit sie bestimmte Aufgaben bereits erfüllt und die damit verbunden Ziele erreicht haben, so dass sie stets sehen:
- Bin ich auf dem richtigen Weg meine Jahresziele zu erreichen? Und:
- Wo sollte ich noch etwas tun, um diese Ziele zu erreichen?
Erleichtert wird diese Übersicht durch eine hinterlegte Ampelfunktion. Ist ein Ziel erreicht, leuchtet ein grünes Licht auf. Treten Zielabweichungen auf und gilt es folglich etwas zu tun, ist die Ampel gelb. Und rot leuchtet auf, wenn die Gefahr besteht, dass ein Vertriebsmitarbeiter das Ziel aus den Augen verliert.
Weniger Bauch, mehr Hirn
Das Unternehmen verzichtete bewusst darauf, die von den Vertriebsmitarbeitern im Programm „Selling-Plan“ eingegebenen Daten und fixierten Maßnahmen zentral zu erfassen – unter anderen, damit das Programm nicht als Kontroll-, sondern als Planungs- und Steuerungsinstrument erfahren wird. Gängige Praxis ist es jedoch, dass die Mitarbeiter und ihre Vorgesetzten bei Mitarbeitergesprächen das PC-Programm starten und sich darüber unterhalten,
- inwieweit mit den geplanten Maßnahmen die Ziele erreicht werden können und
- welche (operative) Unterstützung die Mitarbeiter hierfür brauchen.
Unter anderem deshalb genießt das Instrument „Selling-Plan“ bei den Vertriebsmitarbeitern eine hohe Akzeptanz. Das Unternehmen sammelt zudem die Erfahrung: Die Mitarbeiter-Gespräche sind effektiver, weil eine systematisierte Gesprächsgrundlage existiert. Die Vertriebsmitarbeiter bearbeiten zudem strukturierter als früher ihren Markt. Zudem können sie aufgrund ihrer Marktübersicht und strukturierten Planung agiler auf Marktveränderungen reagieren. Denn sie lassen sich bei ihrer Arbeit weniger von einem diffusen Bauchgefühl und mehr von strategischen Überlegungen leiten. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder.
Peter Schreiber
Zum Autor: Peter Schreiber ist Inhaber der B2B-Vertriebs- und Managementberatung PETER SCHREIBER & PARTNER, Ilsfeld bei Heilbronn (www.schreiber-training.de). Er ist u.a. Dozent an der IHK-Akademie München in Westerham und Referent bei WEKA Industriemedien in Wien sowie Lehrbeauftragter an der Hochschule Mannheim.