Den Gefühlen nicht blind vertrauen

Ich treffe meine Entscheidungen rational. Davon sind viele Menschen überzeugt. Das ist ein Irrtum! Meist reagieren wir nur auf Reize von außen. Wer diese Reiz-Reaktionsmuster kennt, handelt zielbewusster und kann das Verhalten seiner Mitmenschen besser einschätzen – beruflich und privat.

Kennen Sie folgende Situation? Sie sind in einem Kaufhaus. Eigentlich suchen Sie Geschenke für Ihre Liebsten. Doch ehe Sie sich versehen, stehen sie vorm Sockenregal und denken „Socken braucht man immer“. Und schon laufen Sie mit drei Paar zur Kasse. Zuhause ärgert Sie der Spontankauf. Denn eigentlich haben Sie genug Socken.

Wir verhalten uns im Alltag oft weniger rational als gedacht. Wir tun Dinge „einfach so“ – scheinbar ohne Grund. Faktisch reagieren wir aber auf Reize von außen, denn: Wenn wir Dinge wahrnehmen, also zum Beispiel etwas hören, sehen oder fühlen, löst dies in unserem Unterbewusstsein Emotionen aus. Und diese Emotionen setzen gewisse Effekte, also Reiz-Reaktionsmuster, bei uns in Gang – fast automatisch.

Wenn wir diese Effekte bzw. Reiz-Reaktionsmuster kennen, können wir unser Verhalten steuern. Davon profitieren wir beruflich und privat. Außerdem erleichtert uns diese Selbstkenntnis, das Verhalten anderer Menschen zu verstehen. Deshalb seien hier einige wichtige Effekte beschrieben.

Der Herden-Effekt

Wann werden bei Ihnen die Mülltonnen geleert? Wissen Sie das stets? Oder stellen Sie Ihre Tonnen einfach vor die Tür, wenn dies auch Ihre Nachbarn tun?

Das Verhalten anderer Menschen ist eine wichtige Orientierungshilfe für uns. Der Herden-Effekt hat aber zwei Gesichter: Mal rettet er Leben – etwa, wenn es darum geht, vor Gefahren zu flüchten; mal lässt er uns ins Verderben „laufen“. Zum Beispiel, wenn wir in faule Wertpapiere investieren, weil dies gerade „alle tun“.

So vermieden Sie ihn: Der Herdeneffekt gleicht einem Navigationssystem. Wer von ihm schon einmal in die Irre geführt wurde, prüft seine Aufforderungen – und negiert im Zweifelsfall den Handlungsimpuls.

Der Relativitäts-Effekt

Sind 15 Euro zu viel Geld für eine Flasche Wein? Eigentlich schon, finden Sie, während Sie im Supermarkt eine Weinflasche im Regal anschauen. Doch dann sehen Sie daneben zwei weitere Flaschen aus demselben  Anbaugebiet, die 12 und 18 Euro kosten. Plötzlich erscheint Ihnen das Preis-Leistungsverhältnis angemessen. Also legen Sie die Weinflasche doch in Ihren Einkaufskorb, denn: Wenn kein nennenswerter Qualitätsunterschied erkennbar ist, tendieren die meisten Menschen zur „goldenen Mitte“.

Der Relativitäts-Effekt lässt uns zuweilen das rechte Maß verlieren. So erscheint vielen Menschen eine Schuhcreme für 9,50 Euro günstig, wenn sie gerade ein Paar Schuhe für 220 oder 230 Euro gekauft haben.

So vermeiden Sie ihn: Betrachten Sie jede (Kauf-)Entscheidung isoliert. Setzen Sie den Preis in Bezug zu anderen Dingen. Zum Beispiel: Wie lange muss ich dafür arbeiten? Was bekäme ich noch für das Geld?

Der „Wie du mir, so ich dir“-Effekt

Wie reagieren Sie in einem Restaurant auf den „Gruß aus der Küche“ oder ein kostenloses Gläschen Schnaps als Digestif? In der Regel revanchieren wir uns hierfür mit einem höheren Trinkgeld. Denn wenn uns eine Person etwas Gutes tut, haben wir oft das Gefühl: Ich stehe in ihrer Schuld.

Manchmal nutzen Menschen den „Wie Du mir, so ich Dir“-Effekt aus. Zuweilen fordern sie die „Schuld“ sogar unverblümt ein. „Ich habe Dir auch geholfen, deshalb …“

So vermeiden Sie ihn: Betrachten Sie Aufmerksamkeiten als das, was sie sind – freiwillige „Geschenke“. Revanchieren Sie sich ruhig dafür – aber freiwillig, nicht aus Verpflichtung.

Der Autoritäts-Effekt

Wir ändern unsere Fahrweise meist, wenn wir im Rückspiegel unseres Fahrzeugs ein Polizeiauto erspähen. Ähnlich „unterwürfig“ reagieren wir, wenn eine (Amts-)Person in Uniform uns Anweisungen gibt. Auch akademische Titel, ein selbstbewusstes Auftreten und Statussymbole verleiten uns oft dazu, in anderen Menschen Autoritätspersonen zu sehen. Entsprechend leicht können sie uns (ver-)führen.

So vermeiden Sie ihn: Fragen Sie sich: Ist die Person wirklich eine Autorität – zum Beispiel, weil sie Fachwissen hat? Vertrauen Sie Ihrem Verstand und fragen Sie auch andere Menschen um Rat.

Der Commitment-Effekt

Fast alle Menschen wollen konsequent sein und wirken. Deshalb halten wir oft lange an Entscheidungen fest, selbst wenn diese fehlerhaft sind. Der Commitment-Effekt gibt unserem Leben eine Richtung. Er macht uns aber auch anfällig für Täuschungen und (Selbst-)Betrug.

So vermeiden Sie ihn: Prüfen Sie regelmäßig, ob Entscheidungen von Ihnen noch richtig sind. Korrigieren Sie Ihren Kurs, sofern nötig.

Der Knappheits-Effekt

Warum sind Diamanten so wertvoll? Worin liegt der Mehrwert limitierter Produktserien und -auflagen? Je rarer eine Sache ist (oder erscheint), desto teurer wird sie gehandelt.

Auch Hinweise wie „Nur für kurze Zeit“ oder „Nur noch fünf Plätze frei“ bewirken oft, dass uns ein Angebot wertvoller erscheint. Und die Angst, eine Chance zu verpassen, lässt uns dann häufig vorschnell zugreifen, ohne zu prüfen: Brauche oder will ich das wirklich bzw. ist der Preis angemessen?

So vermeiden Sie ihn: Fragen Sie sich: Ist das Angebot wirklich attraktiv? Oder wurde es zum Beispiel künstlich verknappt?

Der Halo-Effekt

Warum erachten wir Brillenträger als klug? Und warum trauen wir, Studien zufolge, attraktiven Menschen mehr zu als anderen? Die Ursache ist der Halo-Effekt. Er lässt uns von bekannten Eigenschaften auf unbekannte schließen.

Oft denken wir auch, wenn wir mit einem Produkt eines Unternehmens zufrieden sind: Auch dessen andere Produkte sind gut. Also kaufen wir sie weitgehend ungeprüft.

So vermeiden Sie ihn: Verlassen Sie sich nicht auf den Erst- oder Gesamteindruck. Prüfen Sie alle für Sie relevanten Punkte – einzeln.

Der Sympathie-Effekt

Wir verzeihen Menschen schneller, die uns sympathisch sind. Wir vertrauen ihnen auch eher. Deshalb versuchen Spitzen-Verkäufer mit Sympathie zu punkten. Denn sie wissen: Dann kann ich leichter verkaufen.

So vermeiden Sie ihn: Prüfen Sie die Vorzüge eines Angebots, Vorschlags oder Produkts gründlich. Bestehen Sie auf eine gewisse Bedenkzeit.

Joachim Simon

 

Zum Autor: Joachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert (www.joachimsimon.info). Er ist Autor des im Haufe-Verlag erschienen Buchs „Selbstverantwortung im Unternehmen“ und Co-Founder der (Self-)Leadership-Coaching-App Mindshine (www.mindshine.app).

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