Alpha Collaboration: Führung und Kooperation im Umbruch

 

In den Unternehmen werden die Themen virtuelle und laterale Führung immer bedeutsamer. Entsprechend groß ist der Entwicklungsbedarf ihrer Führungskräfte  bei allen Kompetenzen, die für eine zukunftsweisende Gestaltung der Kommunikation und Kooperation nötig sind. Das zeigt eine Studie des IFIDZ.

„Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft“ – so lautet der Titel einer Studie, die das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) erstellt hat. Für sie wurden 482 Führungskräfte in der DACH-Region online und 51 in vertiefenden Interviews persönlich befragt. (Davon kamen 98 aus der Schweiz und 69 aus Österreich.)

Die Studie zeigt: In den Unternehmen gewinnt außer dem Führen auf Distanz das Thema laterale Führung, also Führung ohne Weisungsbefugnis, stark an Bedeutung. So gehen 95,1 Prozent der befragten Führungskräfte davon aus, dass ihr Team auch mittel- und langfristig einen hybriden oder gar rein virtuellen Charakter haben wird. Zudem sind 79,9 Prozent überzeugt, das Thema laterale Führung gewinnt an Bedeutung.

Als Ursache hierfür erachten die Führungskräfte unter anderem, dass die Kernleistungen der Unternehmen zunehmend in bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifender Team- und Projektarbeit erbracht werden. Dadurch steigt außer der Bedeutung der Online-Kommunikation auch ihre Abhängigkeit bei der Zielerreichung von anderen Personen als den eigenen Mitarbeitern. So zum Beispiel von den Mitarbeitern anderer Bereiche sowie externen Zulieferern und Dienstleistern.

Führungskräfte sind zunehmend als Beziehungsmanager gefragt

Gegenüber diesen Partnern haben die Führungskräfte keine Weisungsbefugnis. Deshalb stehen sie zunehmend vor der Herausforderung, auch Personen zu inspirieren und zu „führen“, deren Vorgesetzte sie nicht sind. Entsprechend stark gewinnen aus ihrer Sicht die Führungsrollen „Influencer/Beziehungsmanager“ (64,8 Prozent) und „Leader/Sinnstifter“ (79,9 Prozent) an Bedeutung.

Zum Bedeutungszuwachs dieser Rollen trägt auch bei, dass sich die Mitarbeiter der Unternehmen gewandelt haben. Hierin sehen die Führungskräfte außer in der Digitalisierung und dem gesellschaftlichen Wertewandel den größten Treiber der Veränderung.

Die Anforderungen an Führung steigen weiter

Deshalb werden künftig nach Auffassung der Führungskräfte die Anforderungen an Führung weiter steigen – und zwar insbesondere in den Bereichen „Selbstführung/-management“ (70,4 Prozent), „Mitarbeiterführung“ (67,8 Prozent) und „Teamführung“ (80,4 Prozent).

Eine weitere Ursache hierfür ist: Die Teams der Führungskräfte werden nicht nur immer virtueller bzw. hybrider, sondern auch heterogener. Deshalb stehen die Führungskräfte zunehmend vor der Herausforderung, mit Personen zu kommunizieren und kooperieren, die einen völlig unterschiedlichen Background haben sowie deren Wertvorstellungen und Erwartungen an Führung stark divergieren. Deshalb überrascht es nicht, dass drei Viertel der Führungskräfte ihren persönlichen Entwicklungsbedarf als „hoch“ oder sogar „sehr hoch“ einstufen.

So verspürt zum Beispiel mehr als die Hälfte der Führungskräfte einen großen Entwicklungsbedarf im Bereich „Digitalkompetenz“ (52,6 Prozent). Zudem signalisieren 37,0 Prozent einen hohen Bedarf im Bereich „Selbstführung/-management“. Auffallend ist zudem, dass die Führungskräfte gleich in drei Bereichen große Entwicklungsbedarfe bei sich sehen, die eng mit ihren kommunikativen Fähigkeiten und ihrer Fähigkeit, zu ihren Mitarbeitern tragfähige Beziehungen aufzubauen, verbunden sind – nämlich

  • Beziehungsmanagement (43,9 Prozent)
  • Kommunikation/Motivation (41,0 Prozent) und
  • Teamführung (27,2 Prozent).

In diesem Themenfeld, bei dem es auch um die Fragen geht

  • „Wie verstehe ich mich als Führungskraft und
  • wie definiere ich meine Rolle im Team und
  • wie verhalte ich mich deshalb im Kontakt mit meinen Mitarbeitern bzw. meinem Team?“

scheinen aktuell die meisten Führungskräfte einen persönlichen Entwicklungsbedarf zu verspüren, sieht man von der Digitalkompetenz ab.

 

Führungskräfte sind keine „Fans“ des Führens auf Distanz

Als zentralen Punkt, warum sie künftig teils andere Kompetenzen brauchen, verweisen die Führungskräfte immer wieder auf das virtuelle Führen und das verstärkte Arbeiten im Homeoffice. Dabei fällt auf: Die meisten Führungskräfte erachten das Führen auf Distanz eher als ein aufgrund der Rahmenbedingungen „notwendiges Übel“. Nur 29,5 Prozent von ihnen betonen, diese Form der Führung habe mehr Vor- als Nachteile. Ansonsten halten sich für sie die Vor- und Nachteile dieser Führungsform entweder weitgehend in der Waage (52,1 Prozent) oder die Nachteile überwiegen (18,4 Prozent).

Die Vorbehalte vieler Führungskräfte gegen das virtuelle Führen bzw. Führen auf Distanz resultieren auch daraus, dass laut ihrer Einschätzung etwa ein Drittel ihrer Mitarbeiter nicht den erforderlichen Reifegrad und Entwicklungsstand haben, um weitgehend eigenständig und -verantwortlich z.B. im Homeoffice zu arbeiten. Zudem sehen beim virtuellen Führen drei Viertel der Führungskräfte (78,0 Prozent) die Gefahr einer sinkenden Beziehungsqualität zwischen den Mitarbeitern und ihnen. Als weitere Gefahren erachten viele eine sinkende Identifikation mit dem Unternehmen (51,8 Prozent), eine Überforderung der Mitarbeiter (42,7 Prozent) und ein Absinken ihrer Motivation (29,3 Prozent).

Dabei fällt auf: 42,7 Prozent der Führungskräfte sehen beim Führen auf Distanz zwar die Gefahr einer Überforderung ihrer Mitarbeiter, doch nur 22,6 Prozent konstatieren eine entsprechende Gefahr bei sich selbst. Dabei liegt der Verdacht nahe, eine mögliche Verschlechterung der Beziehung Mitarbeiter-Führungskraft sowie sinkende Identifikation mit dem Unternehmen ist auch auf eine Überforderung der Führungskräfte beim Führen auf Distanz zurückzuführen. Schließlich beklagen viele, dass ihnen oft die Zeit für persönliche Gespräche mit ihren Mitarbeitern, aber auch anderen Netzwerkpartnern fehle.

Selbstbild der Führungskräfte entspricht zuweilen nicht dem Fremdbild

An diesem Punkt klaffen zuweilen, so scheint es, das Selbst- und Fremdbild der Führungskräfte auseinander. So sehen zum Beispiel nur 7,9 Prozent der Führungskräfte beim Führen auf Distanz die Gefahr eines Kontrollverlusts. Spricht man hingegen mit ihren Mitarbeitern, stellt man fest: Diese verspüren bei ihren Führungskräften durchaus oft, die Angst vor einem Kontrollverlust.

Eine solche Angst ist nachvollziehbar,

  • da die Führungskräfte für die Leistung ihres Bereichs verantwortlich sind und
  • ihre Leistung letztlich an der Leistung ihrer Mitarbeiter gemessen wird.

Diese zumindest latent vorhandene Angst gestehen sich viele Führungskräfte aber nicht ein, denn dies wäre vermutlich nicht mit ihrem Selbstbild „Ich kann vertrauen und loslassen“ vereinbar.

Bezogen auf das Thema Führen auf Distanz sehen die Führungskräfte bei sich vor allem einen Entwicklungsbedarf in den Bereichen

  • Kommunikation (43,3 Prozent),
  • Digitalkompetenz (37,8 Prozent) und
  • Selbstführung/-management (30,4 Prozent).

Zudem in den drei, eng miteinander verwobenen Kompetenzbereichen:

  • Teamführung/-entwicklung (33,4 Prozent),
  • Motivation (32,3 Prozent) und
  • Mitarbeiterführung/-entwicklung (28 Prozent).

Der signalisierte Entwicklungsbedarf korrespondiert stark mit den Ergebnissen der Studie „Alpha Intelligence: Was Führungskräfte von morgen brauchen“, die das IFIDZ bereits 2014 durchführte. Sie kam zum Ergebnis, dass sich in der modernen, digitalen Arbeitswelt das Anforderungsprofil an Führungskräfte wandelt; des Weiteren, dass sie sich zu Beziehungsmanagern bzw. „alpha-intelligenten Persönlichkeiten“ entwickeln müssen, die sich unter anderem durch eine hohe „Persönlichkeitsintelligenz“, „Beziehungsintelligenz“ und „Digitalintelligenz“ auszeichnen. Offensichtlich benötigen die Führungskräfte heute nicht nur aufgrund der durch Corona ausgelösten bzw. forcierten Veränderungen im Bereich Führung und Zusammenarbeit die unter dem Begriff Alpha Intelligence subsummierten Kompetenzen mehr denn je.

Der „Alpha Collaboration“ gehört die Zukunft

Dies sehen auch viele Führungskräfte so, unter anderem, weil sich bei ihnen in den zurückliegenden Jahren offensichtlich ein Bewusstseinswandel vollzogen hat. So fiel in den persönlichen Interviews zum Beispiel auf: Wenn die Führungskräfte von Teamführung sprechen, beziehen sie sich meist nicht nur auf die ihnen disziplinarisch unterstellten Mitarbeiter. Vielmehr rekurrieren sie in ihren Erzählungen über ihren Arbeitsalltag und die Herausforderungen, vor denen sie in ihm stehen, auch immer wieder auf solche Netzwerkpartner wie Mitarbeiter und Führungskräfte anderer Bereiche sowie externe Partner wie Dienstleister, Kunden und Lieferanten.

Die Führungskräfte haben also, wenn sie über das Thema Teamführung sprechen, häufig bereits die bereichs- oder gar unternehmensübergreifenden Arbeitsteams vor Augen, deren Zusammenarbeit sie in im Arbeitsalltag koordinieren müssen, damit ihr Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmen leistet.

Das heißt, die Führungskräfte haben das klassische Bereichs- bzw. Säulendenken überwunden; sie denken stattdessen in netzwerkartigen Zusammenhängen. Sie versuchen zudem, statt der Zusammenarbeit in ihrem Bereich die Zusammenarbeit in dem Beziehungsnetzwerk zu optimieren, das am Leistungserbringungsprozess beteiligt ist. Dieser bereichs-, funktions- und nicht selten auch unternehmensübergreifenden Form der Zusammenarbeit, die das IFIDZ – in Anlehnung an den Begriff Alpha Intelligence – Alpha Collaboration nennt, gehört die Zukunft.

Ein Teil der Führungskräfte hat zudem schon verinnerlicht, dass eine auf eine Verbesserung der Alpha-Collaboration abzielende Führung, auch ein teils verändertes Selbstverständnis als Führungskraft und Führungsverhalten erfordert. Hierfür spricht, dass das Gros von ihnen erwartet, dass die Führungsrollen „Leader/Sinnstifter“ und „Influencer/Beziehungsmanager“ weiter an Bedeutung gewinnen.

„Alpha Collaboration“ setzt Vertrauenskultur voraus

Dies ist insofern relevant, als bei einer bereichs-, funktions- und zuweilen sogar unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit die Führungskräfte vielen am Leistungserbringungsprozess beteiligten Personen nicht qua disziplinarscher Gewalt vorgeben können, tue dies und das. Sie müssen diese vielmehr aufgrund ihres Auftretens und Verhaltens als Person sowie der Kraft ihrer Argumente als Mitstreiter gewinnen.

Ähnliches gilt für das Führen der eigenen Mitarbeiter auf Distanz. Ihnen können die Führungskräfte zwar vorgeben, was sie zu tun haben, inwieweit ihre Mitarbeiter dies aber real tun, können sie aufgrund der räumlichen Distanz aber nur bedingt kontrollieren. Also bleibt ihnen letztlich meist keine andere Wahl, als die Mitarbeiter durch ihr Verhalten und argumentativ zu überzeugen. Ansonsten müssen sie ihnen vertrauen. Das heißt wiederum: Wechselseitiges Vertrauen ist gerade beim Führen auf Distanz ein zentraler Erfolgsfaktor.

Ansätze einer solchen Kultur der Zusammenarbeit und Führung, die in der VUCA-Welt zunehmend erfolgsrelevant ist, scheint es in den Unternehmen bereits zu geben. Diese gilt es auszubauen, unter anderem indem die Unternehmen die Entwicklung ihrer Führungskräfte zu alpha-intelligenten Persönlichkeiten fördern.

Barbara Liebermeister

Zur Autorin: Barbara Liebermeister ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Auf der Webseite des Instituts (www.ifidz.de) finden Interessierte nähere Infos über Studie „„Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft“. Dort können sie diese bzw. ein Management Summary auch bestellen.

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