von Rechtsanwalt und Hochschullehrer Prof. Dr. Bröker und Rechtsanwalt Markolf Schmidt, Göttingen
Immer wieder wird heftig um die Frage gestritten, ob Inkassodienstleister in Verfahren aktiv legitimiert sind. Der Begriff der Aktivlegitimation ist ein juristischer terminus technicus und bedeutet, dass der Anspruchsteller auch Forderungsinhaber sein muss. Das kann aus originärem Recht der Fall sein, aber auch zum Beispiel aus Abtretung. In der Konsequenz bedeutet also die Aktivlegitimation, dass der Inkassodienstleister auf Grund seiner Zulassung als Rechtsdienstleister für Inkassodienstleistungen auch von Kunden an ihn abgetretene Ansprüche gerichtlich geltend machen kann. Erst vor kurzem hat der Bundesgerichtshof (BGH) dazu eine (erneute) wegweisende Entscheidung mit dem Urteil vom 13.06.2022, VIa ZR 418/21 getroffen.
Doch der Reihe nach:
Das Problem:
Das Problem, welches der ganzen Frage zu Grunde liegt, besteht darin, dass Rechtsdienstleistungen wie z. B. die Vertretung vor Gericht grundsätzlich nur von bestimmten, dazu besonders qualifizierten Personen oder Unternehmen erbracht werden dürfen wie z. B. Rechtsanwälten oder Rechtsanwaltsgesellschaften. Allerdings ist mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) seit etlichen Jahren die Möglichkeit geschaffen, dass natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde in einem speziellen Rechtsdienstleistungsregister registriert sind (man nennt diese „registrierte Personen“), auf Grund ihrer besonderen Sachkunde Rechtsdienstleistungen in bestimmten Bereichen wie eben z. B. im Bereich der Inkassodienstleistungen erbringen dürfen, so ausdrücklich § 10 Abs.1 Nr. 1 RDG.
Als Rechtsdienstleistung wird dabei jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten erfasst, die eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert, so § 2 Abs. 1 RDG.
Ausdrücklich wird dabei in § 2 Abs. 2 RDG festgelegt, dass dazu die Einziehung fremder Forderungen gehört, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Gleiches gilt für solche Forderungen, die dem Inkassodienstleister von seinem Auftraggeber abgetreten werden zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung, also auf Rechnung des Auftraggebers. Zu den in diesem Zusammenhang erlaubten Tätigkeiten gehören auch die rechtliche Prüfung und Beratung als Inkassodienstleistung (Forderungseinziehung).
Überschreitet jedoch ein solcher Inkassodienstleister seine entsprechende Befugnis nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG so hat dies zur Folge, dass dann ein Verstoß gegen § 3 RDG vorliegen kann. In der Konsequenz daraus wäre dann die Inkassovereinbarung nichtig nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein Gesetz ebenso die Abtretungsvereinbarung.
Streitig war daher zunächst, ob der im Gesetz festgeschriebene Begriff der Inkassodienstleistung als Rechtsdienstleistung auch die gerichtliche Geltendmachung solcher Forderungen umfasst, die vom jeweiligen Forderungsinhaber an ein Inkassounternehmen abgetreten worden sind. Hintergrund ist, dass in solchen Fällen, also bei wirksamer Abtretung und entsprechender Aktivlegitimation (Klagebefugnis) des Inkassodienstleisters umfassende Sammelklagen möglich sind. Auch wenn der Ausdruck „Sammelklage“ im deutschen Prozeßrecht nicht als eigenständiger Begriff oder gar als eigenständige Klageart enthalten ist, wird er jedenfalls für die Umschreibung einer Vielzahl von zusammengefassten Ansprüchen genutzt, die durch ein Unternehmen gesammelt, geltend gemacht werden Dabei ist selbstverständlich jeder einzelne abgetretene Anspruch in einem solchen Verfahren explizit bezeichnet und individuell erfasst.
Die BGH-Entscheidung aus 2019
Der BGH stellte sich mit seiner sehr umfangreichen und ausführlich begründeten Entscheidung in Sachen Mietpreisbremse (Urteil vom 27.11.2019, VIII ZR 285/18) auf den Standpunkt, dass die Rechtsdienstleistung in Gestalt der Inkassodienstleistung eine großzügige Beurteilung erfordert. Registrierte Inkassodienstleister können also von ihren Kunden beauftragt werden, nach der treuhänderischen Abtretung der Ansprüche diese gerichtlich geltend zu machen. Solche treuhänderischen Abtretungen sollen – so der BGH – in aller Regel (es kommt auf die genaue Ausgestaltung der Abtretung an) nicht gegen das in § 3 RDG festgelegte gesetzliche Verbot verstoßen. Damit sind diese Abtretungen entsprechend der Ansicht des BGH auch nicht nach § 134 BGB nichtig.
Die praktische Konsequenz aus dieser Entscheidung war, dass der BGH den Begriff der Inkassodienstleistung sehr weit ausgelegt hat und damit Inkassodienstleister sich in zulässiger Form und in großem Stil Ansprüche von Kunden treuhänderisch zur Einziehung und zur gerichtlichen Geltendmachung wirksam abtreten lassen können und in Prozessen nunmehr aktiv legitimiert sind. Das war die Sternstunde der Sammelklageninkassounternehmen.
Die BGH-Entscheidung aus 2021
Der BGH hatte im Anschluss daran in der Air Berlin-Entscheidung (Urteil vom 13.07.2021, II ZR 84/20) entschieden, dass ein Sammelklageninkasso durch Rechtsdienstleister von einer Inkassoerlaubnis umfasst sei und solche Inkassodienstleistungen, also die gerichtliche Durchsetzung treuhänderisch abgetretener Schadenersatzforderungen, vom gesetzlichen Begriff der Inkassodienstleistung, so wie er in § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG enthalten ist, umfasst ist. In der Konsequenz waren die Abtretungen der Forderungen wirksam.
Die BGH-Entscheidung aus 2022
Die jüngste BGH-Entscheidung (Urteil vom 13.06.2022, VIa ZR 418/21) liegt zwar in der ausführlichen Urteilsbegründung noch nicht vor. Aus den vorab veröffentlichten Informationen des BGH ergibt sich jedoch klar, dass auch im Falle des sogenannten Dieselskandals ein deutsches Sammelklageninkasso von ausländischen Forderungen zulässig ist.
Hier hatten Schweizer Erwerber von Fahrzeugen, die vom Dieselskandal (Motorbaureihe EA 189) betroffen waren, ihre Ansprüche auf Schadenersatz gegen die Herstellerfirma, in diesem Fall VW, an einen registrierten Inkassodienstleister zwecks gerichtlicher Geltendmachung treuhänderisch ab. Die beiden Vorinstanzen hatte die Klage jeweils noch wegen fehlender Aktivlegitimation (keine Prozeßführungsbefugnis des Inkassounternehmens) – wie auch im Falle Air-Berlin – abgewiesen.
Der BGH entschied nun – in Fortführung der Entscheidungen aus 2019 und 2021 – dass ein nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG registrierter Inkassodienstleister keiner weiteren Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedarf, wenn er eine ihm treuhänderisch übertragene und einem ausländischen Recht unterliegende Forderung geltend macht. Zwar hat der BGH dabei darauf hingewiesen, dass dies jedenfalls für die außergerichtliche Geltendmachung solcher Forderungen gelte. Allerdings betont er auch, dass es der Schutzzweck des RDG nicht erforderlich mache, hier eine zusätzliche Erlaubnis nach § 10 Abs. 1Satz1 Nr. 3 RDG (Erbringung von Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht) zu verlangen. Gleichzeitig hat der BGH die Sache zur weiteren Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses muss sich nunmehr mit der inhaltlichen Berechtigung der Forderung des Zedenten (das ist derjenige, der die Forderung abgetreten hat) befassen.
Fazit
Im Klartext bedeutet dies nichts anderes als eine Bestätigung der Entscheidungen aus 2019 und 2021 und damit die Zulässigkeit des Sammelklageninkassos von treuhänderisch abgetretenen Schadenersatzforderungen Dritter, völlig unabhängig davon, ob diese Forderungen – sofern sie denn tatsächlich bestehen – in- oder ausländischem Recht unterliegen.
Damit dürfte das äußerst lukrative Geschäftsmodell des Sammelklageninkassos als neue Verbraucherschutzhilfe endgültig etabliert sein und solchen Rechtsdienstleistern weiterhin enormen Zulauf bescheren.