Der DAX schwingt sich in ungeahnte Höhen – ein Vorschuss auf die Politik der neuen Bundesregierung

Es ist ein Bild wie aus dem Frühling der Finanzmärkte: Der DAX erklimmt Allzeithoch um Allzeithoch, als habe es nie eine Krise gegeben. Doch was steckt dahinter? Ist es nur ein kurzes Aufbäumen – oder der Beginn eines nachhaltigen Aufschwungs, getragen von der Hoffnung auf eine wirtschaftsfreundliche Wende in Berlin?

Euphorie oder Realitätsflucht?
Zugegeben: Die Märkte neigen zur Vorfreude. Sie bewerten nicht, was ist – sondern was sein könnte. Und so sind die aktuellen DAX-Höhen weniger ein Abbild der wirtschaftlichen Lage als ein Vorschussvertrauen: in Reformfähigkeit, Investitionsoffensiven, vielleicht sogar in eine gewisse Entfesselung der wirtschaftlichen Potenziale, die in Deutschland lange brachlagen.

Doch die Frage bleibt: Wo ist der Bär? Warum zieht sich der Pessimismus so auffällig zurück, obwohl geopolitische Spannungen, Haushaltsnöte und Strukturprobleme ungelöst sind?

Drei Säulen der Hausse
Die gegenwärtige Marktbewegung ruht auf drei tragenden Säulen:

Politische Hoffnung: Die neue Bundesregierung sendet – zumindest rhetorisch – Signale für Bürokratieabbau, Infrastrukturinvestitionen und steuerliche Entlastung. Noch sind es Ankündigungen, doch die Märkte honorieren bereits den Tonfall.

Latente globale Verunsicherung – aber Fokus auf Binnenfantasie: Internationale Impulse sind derzeit kaum als Treiber zu werten. Die Aussicht auf eine mögliche Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus, zunehmender Protektionismus und eine fragile Weltwirtschaft dämpfen eigentlich die außenwirtschaftlichen Perspektiven. Doch genau in dieser Unsicherheit liegt paradoxerweise auch eine Chance: Der Markt richtet den Blick stärker nach innen – auf heimische Strukturreformen, Investitionsprogramme und steuerpolitische Impulse. Der DAX profitiert daher nicht von außen, sondern trotz des Auslands.

Kapitalflucht aus der Defensive: Nach Jahren der Vorsicht fließt Kapital verstärkt zurück in Aktien. Die Negativzins-Ära hat Spuren hinterlassen – und die hartnäckige Inflation zwingt institutionelle Investoren zum Handeln. Sachwerte, insbesondere große Indizes, erleben eine Renaissance als vermeintlich berechenbare Anker.

Der Ukrainekrieg – wirtschaftlicher Impuls, aber ohne Bewertungsmacht
Auffällig ist: Der Ukrainekrieg spielt für die aktuelle Bewertung der Märkte kaum noch eine Rolle. Nicht etwa, weil er vorbei wäre – sondern weil er von Investoren inzwischen eher als wirtschaftlicher Impuls denn als Risiko eingestuft wird. Die massiven Verteidigungsbudgets, beschleunigte Energiewende-Projekte und die Rückverlagerung industrieller Schlüsseltechnologien kurbeln in vielen Branchen die Auftragslage an. Der Krieg hat zwar geopolitisches Gewicht – doch für die Börsen zählt, dass er Nachfrage schafft.

Die Märkte werten ihn längst nicht mehr als unmittelbare Bedrohung für das globale Finanzsystem. Im Gegenteil: Wäre er ausschlaggebend, hätte die Rallye nicht erst jetzt begonnen – sondern deutlich früher. Dass sie nun kommt, deutet darauf hin, dass ganz andere Faktoren den Ton angeben.

Sommerlaune mit Risikoprämie
Doch jede Hausse trägt den Keim der Korrektur in sich. Gerade in Phasen vorauseilender Hoffnung besteht die Gefahr einer Überhitzung – vor allem dann, wenn politische Prozesse langsamer laufen als erwartet. Sollte die neue Regierung scheitern, ihre wirtschaftlichen Versprechen zügig umzusetzen, dürfte auch der Bär nicht mehr lange zögern, seine Höhle zu verlassen.

Denn die Märkte sind gnadenlos: Sie verzeihen keine gebrochenen Reformversprechen – und sie lieben keine Stagnation.

Fazit: Zwischen Vorschuss und Verstand
Die derzeitige DAX-Rallye ist kein Irrsinn, sondern Ausdruck eines hochsensiblen Erwartungsmanagements. Noch herrscht Optimismus. Doch wer investiert, sollte nicht nur auf Hoffnung setzen – sondern auf handfeste Umsetzung.

Denn der Bär mag schlafen. Doch wer seine Höhle kennt, weiß: Er kommt immer zurück.

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