Wenn sich ein Gutachter irrt

Ein Geschädigter darf sich in der Regel auf die Ausführungen eines von ihm beauftragten Sachverständigen verlassen. Daran ändert auch ein vom Versicherer des Schädigers vorgelegtes Gegengutachten nichts. Das geht aus einer Verfügung des Amtsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2019 hervor (43 C 1686/19).

Der Kläger war mit seinem Fahrzeug unverschuldet in einen Verkehrsunfall geraten. Nachdem er einen Sachverständigen beauftragt hatte, ließ er sein Auto auf Basis des von diesem erstellten Gutachtens reparieren.

Der Versicherer des Unfallverursachers war der Meinung, dass einige in dem Gutachten genannte Maßnahmen nicht erforderlich waren. Das meinte er durch ein Gegengutachten belegen zu können. Er weigerte sich daher, dem Kläger die gesamten Reparaturkosten zu erstatten.

Eine Frage der Sichtweise

Zu Unrecht, befand das mit dem Fall befasste Stuttgarter Amtsgericht in seiner Verfügung. Reparaturkosten könnten nämlich auch dann ersatzfähig sein, wenn sie zwar objektiv nicht erforderlich waren, um einen Unfallschaden zu beseitigen, aber aus Sicht des Geschädigten betrachtet erforderlich erschienen.

Denn Mehrkosten, die ohne Schuld des Unfallopfers – zum Beispiel infolge einer unsachgemäßen oder unwirtschaftlichen Reparatur – entstanden sind, gingen grundsätzlich zulasten des Schädigers. Dieser sei es, der das sogenannte Prognose- oder Werkstattrisiko trage.

„Lässt etwa der Geschädigte im berechtigten Vertrauen auf die Begutachtung des von ihm beauftragten Sachverständigen das Fahrzeug in vorgeschlagener Art und Umfang reparieren, darf er die dabei anfallenden Kosten ersetzt verlangen. Das gilt selbst dann, wenn das Gutachten falsch ist und die durchgeführte Reparatur objektiv nicht erforderlich gewesen wäre“, so das Gericht.

Keine Regel ohne Ausnahme

Eine Ausnahme von dieser Regel gelte nur dann, wenn ein Geschädigter nicht auf die Angaben des Gutachters oder seiner Werkstatt vertrauen durfte. Es könne etwa sein, dass ihn ein Auswahlverschulden treffe. Dies treffe ebenfalls zu, wenn er im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auch als Laie ohne Weiteres hätte erkennen können, dass die der Reparatur zugrunde liegende Bewertung des Sachverständigen offenkundig fehlerhaft ist.

Die Vorlage eines Gegengutachtens befreie den gegnerischen Haftpflichtversicherer indes nicht von seiner Leistungsverpflichtung. Denn hat der Geschädigte keine objektiv nicht gebotene Kostenüberschreitung verschuldet, könne sich der Versicherer lediglich bei dem vom Unfallopfer beauftragen Sachverständigen beziehungsweise der Werkstatt schadlos halten.

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