Künstliche Intelligenz ändert bereits die Assekuranz

Noch kann künstliche Intelligenz (KI) menschliches Wissen und Handeln nicht generell übertreffen. Aber als „schwache KI“ gibt es immer mehr Projekte in den Unternehmen. Sie dienen zur automatischen Text-, Bild- oder Spracherkennung oder als Expertensysteme, die Handlungsempfehlungen aufgrund einer Wissensdatenbank ableiten. Auf einer Fachkonferenz wurden unter anderem einige Projekte und deren Auswirkungen auf die Arbeitsweise vorgestellt.

Am 15. November veranstaltete Hartmut Löw in Köln die MCC-Fachkonferenz „Künstliche Intelligenz für Versicherungen“. Dabei ging es unter anderem auch um Anwendungen im Schadenbereich.

„Viele sind nicht so schlau unterwegs“, weiß Bo Soevsoe Nielsen, Head of Global Offerings der IT zur Betrugserkennung spezialisierten Firma Shift Technology. Was der Sachbearbeiter in der Flut von Informationen nicht erkennen kann, macht die „Maschine“: KI verknüpft Datenpunkte, auch wenn sie an sich nicht verdächtig sind, und zeigt auf, wo der Mitarbeiter Betrüger vermuten kann.

Am Ende steht der Mensch

Bo Soevsoe Nielsen (Bild: Lier)
Bo Soevsoe Nielsen (Bild: Lier)

Der Zweck sei es, den treuen redlichen Kunden zu einer schnellen Schadenabwicklung zu verhelfen, so Nielsen. Damit die KI-gestützte Betrugserkennung funktioniere, müssten die Angestellten wissen, was die Software mache und warum sie entsprechend entschiede habe. Dies teile sie zu jedem Fall mit.

Zudem sollte der Bearbeiter jederzeit die Kontrolle übernehmen können, und wenn nötig anders als die Maschine entscheiden, so Nielsen. Weltweit setzten inzwischen 75 Versicherer auf die Betrugserkennung seines Hauses. Innerhalb von zwölf Monaten spiele die Anwendung ihre Kosten herein.

Bei einer Schadenmeldung stützt sich die Anwendung sowohl auf interne Daten wie die Antrags-, Vertrags- und Schadenmeldungen als auch auf externe wie etwa das Informa HIS GmbH, Social Media, Satellitenbilder, Geo- oder Fahrzeugdaten.

Was verdächtig ist

Dem „Force Betriebsmodell“ fällt es nach den Ausführungen von Nielsen schnell auf, wenn Sachverhalte unstimmig sind: Beispielsweise wenn Unfallparteien zwar aus dem gleichen Wohnumfeld stammen, der Schadenort aber sehr weit weg ist. Oder wenn es kaum Blech-, aber hohe Personenschäden gibt, oder Unfallopfer in ähnlichen Schadenfällen mit einer vielleicht leicht abweichenden Schreibweise verwickelt sind.

Die KI untersucht die Metadaten und Pixelierungen von Fotos. Durchkämmt die Datenbanken darauf, ob gleiche Schadenfotos oder die darauf abgebildeten Rechnungen schon in anderen Schadenfällen verwendet wurden. Mittels Satellitenbildern und Google View wird überprüft, ob Hausschäden durch den aktuellen Sturm entstanden sind oder bereits Vorschäden waren.

Bei Schadenfällen mit längerer wiederkehrender Zahlung überprüfe die KI jeden dritten Monat öffentliche Daten wie Social Media, wie aktiv beispielsweise ein Unfallopfer sei.

Einfache Gebäudewertermittlung

Roman Kolbe (Bild: Lier)
Roman Kolbe (Bild: Lier)

Roman Kolbe, der bei der Westfälischen Provinzial Versicherung AG das Aktuariat Komposit leitet, berichtete von einigen Projekten, darunter die neue Gebäudewertermittlung auf Basis von KI. „Bislang war dies sehr fehleranfällig und aufwändig“, so Kolbe.

Das neue Tool „Progis“ erstellte ein 3-D-Gebäudemodell, zeige die Größe und Funktionen der Gebäudefunktion, Hauskoordinaten und Flurstückgrenzen durch die Daten der Landesvermessungsämter.

Kombiniert werde dies mit Informationen über Gewerbe auf Adressebene.

Die Bilderkennung mit KI liefere Hinweise auf den möglichen Dachausbau sowie zusätzliche Risiken durch Photovoltaik oder Solaranlagen. Das neue Tool gebe es als webbasierte Standalone Anwendung und im Tarifrechner VGV-Easy.

Mitmacher gesucht

Die Westfälische Provinzial habe bisher nur die (kostenlosen) Daten der Landesvermessungsämter in Nordrhein-Westfalen und Hamburg verwendet, plane, ihr System aber „grundsätzlich für ganz Deutschland aufzubauen und auch anderen öffentlichen Versicherern anzubieten“, sagte Kolbe.

Auch der Münchener Rückversicherungs-Konzern bietet Erstversicherern die Möglichkeit bei KI zusammenzuarbeiten. Dr. Matthias Kaper, Senior Data Scientist des Rückversicherers, berichtete von einer unternehmenseigenen Plattform, auf der sich dank einer entsprechenden IT-Architektur IT-Funktionalitäten leichter einsetzen lassen.

Selbst setzt die Münchener Rück KI an vielen Stellen ein, beispielsweise bei der Schadenabschätzung von Naturkatastrophen mit entsprechendem Bildmaterial oder beim Text Mining. So werden unter anderem Geschäftsunterlagen auf bestimmte risikorelevante Schlagworte untersucht und kategorisiert.

Andere Arbeitsweisen und Mitarbeiter

Alexander Bernert (Bild: Lier)
Alexander Bernert (Bild: Lier)

Klassische Steuerungsmodelle sind mit KI nach Aussage von Dr. Alexander Bernert nicht mehr sinnvoll. Der Einsatz von KI verlange von den Unternehmen schnellere Entscheidungen, sagte der Leiter Innovation & Market Management der Zurich Gruppe Deutschland.

Statt linearer Prozesse bedürfe es Feedbackschleifen und anstelle von Spezialisierung müsse das siloübergreifende Arbeiten rücken. Die Angestellten müssten sich selbst steuern, der alles entscheidende Chef funktioniere in dieser neuen Logik nicht mehr.

Die Führungskräfte müssten daher mehr strategisch und deutlich weniger operativ kontrollieren. Der Erfolg sei in einer solchen Umgebung schwieriger auf kurze Sicht zu messen. Für die Beschäftigten stelle sich damit die Frage, nach welchen Kriterien sie befördert werden könnten. Die gesamte Organisation müsse so aufgestellt werden, dass sie sich bei Fehlern selbst korrigieren könne. Das bedeute weniger Effizienz, aber eine höhere Effektivität, sagte Bernert.

Versetzungen von Mitarbeiter

Die deutsche Zurich habe vor dem Hintergrund dieser Anforderungen vor zwei Jahren neue Führungsleitlinien ausgerollt, die im ersten Jahr auf Probe liefen. Im zweiten Jahr hätten die Führungskräfte eine Rückmeldung – und je nach Performance und Umsetzung der neuen Werte auch Konsequenzen – gegeben.

„Wir haben Mitarbeiter dahin versetzt, wo es mit ihrem klassischen Verhalten noch funktioniert. Es ist die Aufgabe der Top-Führungsebene, das konsequent zu vertreten.“ Irgendwann werde es auch andere Personalentscheidungen geben müssen, weil die klassische Arbeitsweise angesichts der schnellen Veränderungen der Rahmenbedingungen nicht mehr funktionierten. Es handele sich dabei um einen länger dauernden Prozess.

Begonnen habe die Zurich mit Leuchtturmprojekten wie etwa dem Innovation Lab in Berlin, zu dem zehn Prozent der Angestellten eine „Erfahrungsreise“ gemacht haben, um innerhalb von drei Tagen Dinge wie die agile Arbeitsweise zu erlernen. Damit habe nun jede Abteilung mindestens einen so erfahrenen Mitarbeiter. Unternehmensweit wollten etwa zehn bis 30 Prozent der Beschäftigten nach der neuen Weise arbeiten.

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