Nach dem Lockdown: Change oder Transformation?

Der Begriff Transformation ist aktuell in fast aller Munde – auch in Zusammenhang mit der Corona-Krise. Doch was bedeutet er im Unternehmenskontext überhaupt? Das ist oft unklar! Ebenso, welche Kompetenzen Transformation-Manager brauchen.

Noch vor wenigen Jahren wurde der Begriff Transformation in den Verlautbarungen der Unternehmen eher selten verwendet. Heute hingegen findet man ihn im Zuge der digitalen Transformation der Wirtschaft und im Kontext der aktuellen Corona-Krise in fast allen Statements der Unternehmen, die deren Zukunft nach dem Lockdown betreffen.

Nicht jeder Change ist eine Transformation

Im Gespräch mit den firmeninternen Transformation- Experten und ihren Beratern, zeigt sich jedoch oft: Den meisten fällt es schwer, genau zu sagen,

  • was einen Transformations- von einem Change-Prozess und
  • einen Transformation-Manager von einem Change-Manager

unterscheidet. Häufig werden die beiden Begriffe Transformation und Change synonym verwendet. Dabei gibt es zwischen ihnen durchaus Unterschiede.

Das Wort Change bezeichnet schlicht eine Veränderung und kann sich auf sehr viele Objekte und Prozesse beziehen. So ist es zum Beispiel auch ein Change- oder Veränderungsprozess, wenn in einem Unternehmen die die Wände neu gestrichen werden. Ein Change ist es auch, wenn Abläufe optimiert, Teams neu formiert oder Mitarbeiter eingestellt werden. Ein Change kann sich also, er muss sich aber nicht auf die drei Ebenen Unternehmensstrategie, -kultur und -struktur (u.a. Prozesse, Abläufe) beziehen.

Change-Management: das Beratungsdreieck

Quelle: Dr. Kraus & Partner

Ein Change muss zudem nicht, er kann jedoch auch eine Einstellungs- und Verhaltensänderung der Mitarbeiter erfordern, denn bei ihm wird nicht notwendigerweise ein „Musterwechsel“ vollzogen. So ist es zum Beispiel auch ein Change, jedoch kein Musterwechsel, wenn die Mitarbeiter eines Bekleidungsherstellers plötzlich – krisenbedingt – statt T-Shirt Schutzmasken nähen. Denn hierfür müssen sie zwar eventuell einige Handgriffe neu lernen, sie müssen aber nicht ihre Einstellung und ihr Verhalten grundsätzlich ändern. Ähnlich verhält es sich, wenn plötzlich, sozusagen über Nacht viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Auch dann kann damit ein (partieller) Musterwechsel verknüpft sein. Dies muss jedoch nicht der Fall sein, wenn die Mitarbeiter zuhause genauso weiterarbeiten wie zuvor im Büro.

Sich transformieren heißt sich neu erfinden

Anders ist dies bei einer Transformation. Hierunter versteht man den Prozess der gezielten Umgestaltung der „genetischen“ Grundstruktur eines Unternehmens, in dessen Verlauf dieses

  • sich selbst und einen großen Teil seiner Beziehungen zu seiner Umwelt neu definiert und
  • neben seiner Strategie und seinem Geschäftsmodell auch seine Geschäftsprozesse hinterfragt und diese bei Bedarf umgestaltet.

Das Unternehmen erfindet sich sozusagen neu, um mittel- und langfristig seinen Erfolg zu sichern; eine Herausforderung, vor der aktuell corona-bedingt zahlreiche Unternehmen stehen, denn: Durch die Krise haben sich viele Parameter des unternehmerischen Handels in den Unternehmen sowie in deren Umfeld geändert.

Von einem solch fundamentalen Wandel sind alle drei der vorgenannten drei Ebenen Strategie, Kultur und Struktur tangiert. Und die Mitarbeiter? Sie müssen sich und ihr Verhalten neu definieren. Die Transformation eines Unternehmens lässt sich am ehesten mit der Metamorphose vergleichen, die viele Insekten im Laufe ihres Lebenszyklus durchlaufen. So gibt es zum Beispiel bei einem Schmetterling die Entwicklungsphasen Ei, Raupe, Puppe und Falter. Und beim Übergang von einem Entwicklungsstadium ins nächste wandelt sich das genetische Material fast vollständig um. Doch nicht nur dies! Eine Schmetterlingsraupe hat auch andere Fähigkeiten als der Falter am Ende des Entwicklungszyklus: Eine Raupe kann zum Beispiel nicht fliegen.

Das Unternehmen entwickelt eine neue Identität

Ähnlich verhält es sich bei der Transformation eines Unternehmens. Auch in diesem Prozess wird unter Rückgriff auf die vorhandenen Ressourcen wie Erfahrungen und Kompetenzen das System Unternehmen so radikal umgestaltet, dass die transformierte Organisation für Außenstehende danach kaum wiederzuerkennen ist, weil sich ihre Strategie, Kultur und Struktur gewandelt haben. Das heißt, nach dem Transformationsprozess verfügt die Organisation nicht nur über ein neues Selbstverständnis und eine neue Identität, sondern auch neue Kompetenzen, Deshalb benötigen auch ihre Mitarbeiter teils neue Fähigkeiten.

Soweit so gut! Doch es gibt auch Unterschiede zwischen der Metamorphose eines Schmetterlings und der Transformation eines Unternehmens. Bei einem Schmetterling ist der Transformationsprozess genetisch festgelegt: Erst Ei, dann Raupe, dann Puppe, dann Schmetterling. Er läuft sozusagen automatisch ab. Dies ist bei der Transformation eines Unternehmens nicht der Fall. Hier gilt es vielmehr ausgehend von einer Vision durch sorgsam geplante Interventionen das System Unternehmen gezielt zu entwickeln bzw. zu verändern.

Transformationsprozesse sind komplexe Changeprozesse

Letztlich ist jeder Transformationsprozess ein komplexer, multidimensionaler Changeprozess, der seinerseits wieder aus einer Vielzahl von Changeprojekten besteht, die sich beeinflussen. Entsprechend groß muss die Change-Management-Kompetenz der Personen sein, die die Verantwortung für den Transformationsprozess tragen. Sie müssen, um zwei Termini aus dem agilen Projektmanagement zu gebrauchen, inkrementell und iterativ vorgehen. Sie müssen also im Prozessverlauf immer wieder checken,

  • erzielen wir mit unseren Veränderungsinitiativen die gewünschten Wirkungen und
  • bewegen wir uns als Organisation in Richtung des angestrebten Ziels;

außerdem bei Bedarf eine Kurskorrektur oder Änderung am Design des Gesamtprojekts vornehmen. Entsprechend groß sollte neben ihrer analytischen, auch ihre kommunikative Kompetenz sein, um den Betroffenen die Notwendigkeit von Kurskorrekturen zu vermitteln.

Bei Transformationsprozessen ist das Ziel oft unklar

Komplex ist die Aufgabe, Transformationsprojekte zu planen und zu steuern, nicht nur aufgrund der vielen Einflussfaktoren und Wechselwirkungen, die hierbei zu berücksichtigen sind.

Hinzu kommt, bei der Metamorphose eines Schmetterlings steht neben dem Ablauf auch das Endergebnis des Transformationsprozesses zu dessen Beginn bereits fest: Aus der verpuppten Raupe wird ein Schmetterling.

Anders ist dies bei der Transformation von Unternehmen. Hierbei steht in der Regel auch die Vision, also das angestrebte Endziel unter Vorbehalt – unter anderem, weil dieser Prozess sich in einem sehr dynamischen Umfeld vollzieht. So kann heute zum Beispiel noch kein Top-Manager in der Automobil-Industrie mit Gewissheit sagen:

  • Wie werden in 15 oder 20 Jahren die Autos bzw. menschlichen Fortbewegungsmittel konstruiert sein?
  • Wer sind dann, sofern wir noch existieren, unsere schärfsten Mitbewerber? Und:
  • Wird es in 20 Jahren überhaupt noch Autos geben oder ist der motorisierte Individualverkehr aufgrund des fortschreitenden Klimawandels zumindest in den Ballungsräumen dann verboten?

Die Manager in der Automobil-Industrie können sich beim Entwickeln der Vision für ihr Unternehmen bestenfalls von Vermutungen, die auf gewissen Entwicklungslinien und begründeten Annahmen basieren, leiten lassen. Wie sich der Markt ihres Unternehmens und dessen Umfeld in 10, 15 oder gar 20 Jahren real gestalten, wissen sie jedoch nicht – heute noch weniger als vor der Corona-Krise. Trotzdem müssen die Top-Manager jetzt bereits damit beginnen, ihr Unternehmen zukunftsfit zu machen. Entsprechendes gilt für das Management vieler Unternehmen, deren Markt sich corona-bedingt schon stark gewandelt hat und noch weiter verändern wird. Auch sie können sich bei ihrer Entwicklungsplanung weitgehend nur auf Annahmen stützen.

Transformationsprozesse erfordern eine hohe Agilität

Deshalb haben die Transformationsverantwortlichen gar keine andere Möglichkeit, als bei der Projektplanung und -steuerung sehr agil zu agieren, selbst wenn dann die im Rahmen des Gesamtprojekts stattfindenden Teilprojekte klassisch oder hybrid gemanagt werden. Entsprechend groß sollte neben ihrer Change-Management- ihre Projekt-Management-Kompetenz sein. Zudem müssen sie reife Führungspersönlichkeiten sein, denen die Betroffenen bzw. Beteiligten wenn nicht gerne, so doch bereitwillig folgen – weil sie ihnen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und Persönlichkeit vertrauen.

Dr. Georg Kraus

Zum Autor: Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de), die unter anderem eine Ausbildung zum „Agile Coach und Transformation Consultant“ anbietet . Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

Schreibe einen Kommentar