„Sie sind verhaftet“

Steuerberater und Unternehmer Ralph Böttcher im Interview

„Ich will nicht, dass anderen Unternehmern das Gleiche passiert.“ Steuerberater Ralph Böttcher saß wegen Subventionsbetrug unschuldig im Gefängnis. Was tust du, wenn vier Zivilbeamte und eine Staatsanwältin mit einem Haftbefehl vor deiner Tür stehen? Ein Interview über den blinden Fleck der deutschen Justiz, die Gefährlichkeit der Corona-Hilfen und das kostbare Gut mentaler Stärke.

Hallo Ralph, schön, dass du Zeit für uns gefunden hast. Du bist Steuerberater, Unternehmer und auch als Autor tätig. Wo genau liegt dein beruflicher Schwerpunkt?

In erster Linie bin ich zu 100 Prozent Unternehmer. Ich bin beteiligt an einer zweistelligen Zahl an Steuerberatungsgesellschaften. Gemeinsam mit Michael Sievers habe ich die M§ Protection gegründet mit dem Ziel anderen zu helfen. Ich will nicht, dass das, was mir passiert ist auch anderen passiert. Deshalb auch die Spezialisierung ausschließlich auf Strafrecht.

Darüber hinaus halte ich Beteiligungen an anderen gewerblichen Gesellschaften. Die größte Sache ist aktuell meine Beteiligung an der SolyPlus GmbH. SolyPlus Technologie ermöglicht es, in der Kosmetik, im Pharmabereich und der Medizintechnik zahlreiche Produkte zu verbessern bzw. neue zu entwickeln.

SolyPlus hat aus Biopolymeren (z.B. Hyaluronsäure, Chitosan) Werkstoffe entwickelt, die in Kosmetik, Medizintechnik und Pharma einzigartige Anwendungen ermöglichen: Mikropartikel zur Vermeidung von Mikroplastik, Wundauflagen, Mikronadeln und anti-mikrobielle Chitosan-haltige Produkte für den aktuellen, gesundheitsbedrohten Alltag.

Du stehst stellvertretend für einen juristischen Fall, der im deutschsprachigen Raum einzigartig ist. Am 21. August 2007 standen plötzlich 4 Zivilbeamte und eine Staatsanwältin vor dir und du wurdest verhaftet? Was genau war passiert?

Das ist richtig. Zur Vorgeschichte muss man sagen, dass ich einen Monat vorher von der Staatsanwaltschaft angerufen wurde, wo man mich informiert hat, dass ein Ermittlungsverfahren gegen mich und meinen damaligen Partner eingeleitet worden war. Das Verfahren lief vorher gegen einen Mandanten, wo wir auch beteiligt waren. Dabei handelte es sich um eine Unternehmensberatung, die nur betriebswirtschaftliche Beratung gemacht hat und der Vorwurf lautete auf Subventionsbetrug.

Was genau passierte dann? Du wurdest tatsächlich inhaftiert?

Man muss wissen, eine Inhaftierung ist immer möglich bei einem dringenden Tatverdacht. Verdächtigt in diesem Verfahren waren 144 Unternehmen, die jeweils 12.500 Euro Förderbetrag pro Fall zu Unrecht erhalten haben sollten und der Vorwurf lautete nun: Da wurde gar nicht gearbeitet.

Der zweite Punkt, der erfüllt sein muss, ist das Vorliegen eines Inhaftierungsgrunds. In meinem Haftbefehl stand Verdunklungsgefahr. Man hat also den Verdacht geäussert, ich könnte auf Zeugen einwirken oder Beweise verschwinden lassen. Daneben gibt es als weitere Haftgründe die Fluchtgefahr und die Wiederholungsgefahr, die aber bei mir kein Thema waren.

Und dann ist das tatsächlich so gekommen, dass vier Zivilbeamte und die Staatsanwältin vor mir standen und man mir sagte: „Herr Böttcher, Sie sind verhaftet?“

Wie hast du dich in diesem Moment gefühlt?

Das mir das passieren könnte, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich war völlig vor den Kopf gestoßen. Mit Verlaub: Ich bin Steuerberater. Wir sind die 3. Säule des Rechts. Ich mache meine Sachen ordentlich und richtig.

Wie ging es dann weiter?

Mein Glück war, ich hatte viel früher schon und eher zufällig eine Strafrechtsschutzversicherung abgeschlossen.

Ich war sehr dankbar, dass ich dort anfragen konnte und auch eine Deckungszusage erhalten habe. Spätestens bei Haftantritt hätte ich sonst 20.000 Euro aus eigener Tasche und sofort überweisen müssen. Das hätte ich gar nicht gekonnt. Dann wäre ich da eben inhaftiert geblieben. Das waren 16.500 EUR Strafverteidiger Kosten plus USt., in Summe 20.000 Euro.

Das sind ausdrücklich Privatausgaben einschließlich der Umsatzsteuer. Da wäre auch keiner böse gewesen, hätte ich die nicht zahlen können. Ich wäre einfach inhaftiert geblieben und hätte mich nicht verteidigen können.

Was soll ich denn meinen Kindern sagen. Papa hat betrogen, Strafe gezahlt und damit ist die Sache erledigt?

Du bist nach wie vor als Steuerberater tätig. Wie ist das Verfahren genau ausgegangen?

In Deutschland darf ich sagen: Ich bin nicht bestraft. Die Sachlage ist jedoch etwas komplizierter. Im Zuge des Verfahrens hat man allen Beschuldigten angeboten: “Geld und die Sache ist vorbei!”

Die 143 anderen Beschuldigten haben das als Abschluss des Verfahrens akzeptiert. Für mich kam das nicht in Frage und ich habe abgelehnt. Was soll ich denn meinen Kindern sagen. Papa hat betrogen, Strafe gezahlt und damit ist die Sache erledigt?

Mein angebotener Kompromiss lautete dann: Ich verzichte auf mein Recht auf Verteidigung, ihr könnt mich verurteilen wie ihr wollt, aber ich bleibe Steuerberater. Und so ist es auch gekommen, so steht das auch in meinem Buch: Ich bin verurteilt wegen Betrug, versuchtem Betrug und Subventionsbetrug und bin jederzeit Steuerberater geblieben. Das geht rechtlich gar nicht!

Das System hat eine Lücke. Wenn du dich nicht verteidigen kannst, hast du verloren. Dann bleibst du inhaftiert.

Wie kann denn ein verurteilter Straftäter als Steuerberater tätig sein?

Ja, genau, das geht auch nicht. Aber ich bin ja da. Ich hatte geglaubt, dass sich im Zuge der Aufarbeitung des Verfahrens, das immerhin 13 Jahre gedauert hat, alles aufklären würde. Da war ich naiv. Das interessiert auch keinen.

Wenn du wie ich vor der großen Strafkammer stehst, lautet die Mindeststrafmaßerwartung 4 Jahre. Andere Sachverhalte verhandelt eine große Strafkammer nach meinem Kenntnisstand nicht. In der Hauptverhandlung wurde festgestellt, dass kein Geld an Subventionen fehlte. Doch das System hat eine Lücke. Wenn du dich nicht verteidigen kannst, hast du verloren. Dann bleibst du inhaftiert.

Welche Auswirkungen hatte diese Erfahrung auf dich persönlich und auf deine berufliche Praxis?

Meine Motivation, mein “Warum” als Unternehmer haben sich geschärft. Ich will verhindern, dass jemand das erlebt, was ich erlebt habe. Es muss Waffengleichheit herrschen. Wer weiß schon, was ein dolus eventualis ist?

Es muss sichergestellt sein, dass sich jeder professionellen Rat einholen kann, wenn man ihn „aus Versehen“ inhaftiert. Das kannst du nur mit einer soliden Strafrechtsschutzversicherung. Eine rückwirkende Deckung ist wichtig, die alle strafrechtlichen Belange absichert, sofern du noch keine Kenntnis vom Ermittlungsverfahren hast und – ganz wichtig – die eine Verurteilung nach dem dolus eventualis bei nur einer Geldstrafe abdeckt.

Da gibt es in Deutschland aktuell nur eine Strafrechtsschutzversicherung, die das so anbietet. Wenn du die hast, bist du für alle Kosten des Strafverfahrens bis auf die Strafe an sich versichert.

Wie hat sich das Verfahren und die Verurteilung auf deine Reputation ausgewirkt? Hattest du Nachteile in deiner Berufspraxis?

Ja, da gibt es sicher Leute, die sagen: Guck mal, das ist ein verurteilter Straftäter. Das muss ich aushalten. Ich hätte mich ja wehren können. Hab ich aber nicht, ich habe meinen Deal gemacht, habe mich nicht verteidigt, wurde verurteilt, bin aber weiterhin Steuerberater. Jeder der sich auskennt, weiß das geht an sich nicht.

Stichwort Subventionsbetrug und Überbrückungshilfen. Steuerberater haften für die Richtigkeit gemachter Angaben nur im allgemeinen Rahmen ihrer Berufspflichten, darüber hinaus jedoch nicht? Damit sind sie doch eigentlich safe, oder?

Nein, ausdrücklich nicht. Da geht es um zivilrechtliche Haftung. Im Strafrecht ist das anders. Wenn ich Überbrückungshilfe beantrage, unterzeichne ich die Richtigkeit der Angaben.

Weiß ich das denn, wenn ich mit jemandem in der Gastronomie zusammen arbeite, was da alles hinter dem Tresen abgerechnet wird. Ich rate Steuerberatern davon ab als „prüfende Dritte“ Überbrückungshilfen zu beantragen bzw. nur in Verbindung mit einer Strafrechtsschutzversicherung. Denn Betrugsverurteilung heißt immer: Du kannst nicht mehr Steuerberater sein.

Was empfiehlst du anderen Unternehmern, die in eine ähnliche Situation wie du selbst geraten?

Die sollen mich anrufen. Der Hashtag #fragRalph ist ganz ernst gemeint. Mail schreiben, und mich anrufen. Das erste, was ich immer sage: Mund halten. Du bist in einer hoch gefährlichen Situation. Stell dir vor, die Polizei kommt zu dir und sagt: “ Du hast gestern Peter Hansen ( Name frei gewählt) in Hamburg erschlagen. Jetzt ist er tot. Kathleen, was hast du dazu zu sagen?”

Gar nichts sagen. Im Strafrecht geht es nicht um richtig oder falsch. Da geht es darum, gehst du ins Gefängnis oder nicht.

Neben all dem Ärger, hatte diese Erfahrung auch positive Folgen für dich?

Fangen wir vielleicht erstmal mit den negativen Folgen an. Ein Kollege hat mal zu mir gesagt: „Du siehst hinter jedem Busch einen Gegner.“ Ich bin durch diese Sache extrem misstrauisch geworden. Das Positive sind die Dinge, die sich daraus ergeben, neue Kontakte und die Zusammenarbeit mit interessanten Partnern. Dass ich anderen Unternehmern in ähnlichen Schwierigkeiten helfen kann. Das kommt über mein Thema.

Kommen wir noch zu einem anderen Bereich, in dem du dich engagierst: Du bist nicht nur Steuerberater, sondern auch Mental Coach. Wie ist es dazu gekommen?

Meine Ausbildung zum Mental Coach habe ich 2013 angefangen. Ein Partner von mir hat mal gesagt: Mensch, Du musst unbedingt an dir arbeiten. Das und das klappt noch nicht mit dir. Da dachte ich mir, ok, da musst du wohl was machen.

In der Ausbildung habe ich gelernt, dass es keine Grenzen gibt. Geht nicht, gibt es einfach nicht. Und das meine ich ganz konkret. Es gab Dinge, da dachte ich. Wenn du das machst, da stirbst du. Tja, und dann merkst du: Nein, das geht, du hast es getan und bist nicht umgekommen.

Ich will jetzt nicht in esoterische Gefilde eintreten. Nur so viel: Alle meine Unternehmen werden auch energetisch betreut.

Was ich gelernt habe ist, dass ich Dinge richten kann, auch wenn es mal nicht so läuft. Mich interessieren Leute, die echte Probleme haben. Mein Credo: Wenn nichts mehr geht, frag Ralph.

Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Eigenschaft, über die Unternehmer verfügen sollten?

Du musst schnell entscheiden können. Das kannst du, wenn du dir wertemäßig klar bist. Dann ist jede Entscheidung vielleicht nicht immer schön, aber super einfach.

Stichwort Zukunftsvision: Was treibt dich heute als Unternehmer an und was bewegt dich noch in Zukunft?

Es gibt sehr viele gute Steuerberater. Ich komme ins Spiel, wo andere verzweifeln. Es gibt nichts, was ich mir nicht vorstellen kann, es gibt nur Dinge, die ich nicht will. Was ich gelernt habe ist, dass ich Dinge richten kann, auch wenn es mal nicht so läuft. Mich interessieren Leute, die echte Probleme haben. Mein Credo: Wenn nichts mehr geht, frag Ralph.

Ein Unternehmen in Berlin ist beispielsweise auf mich zugekommen. Die meinten: Wir sind am Ende. Wir müssen zumachen. Da hab ich gesagt: Stopp. Lasst uns schauen, wie wir da raus kommen. Und jetzt haben wir gemeinsam die Finanzierung gestemmt.

Aber Geld ist doch nicht ganz unwichtig, oder?

Geld ist da eher ein sekundäres Motiv. Man hat mir einmal 1,6 Millionen Euro geboten, damit ich ein Unternehmen verlasse. Da hab ich mich bedankt. Was will ich mit dem bedruckten Papier? Ich dachte mir, schauen wir doch mal, wer von den Mitarbeitern mit mir kommt und das waren dann erstaunlich viele.

Und was genau willst du nicht mehr?

Was ich nicht mehr mache sind betriebswirtschaftliche Beratung und Förderprogramme. Das ist mir einfach zu gefährlich.

Jeden Tag jemand anderen ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Anderen Menschen dabei zu helfen, ihre Werte Wirklichkeit werden zu lassen, das gibt mir ein gutes Gefühl.

Ein sehr schönes Schlusswort, Ralph. Ich danke dir für deine Offenheit und authentischen Einblicke für unsere Mitglieder der Unternehmenswelt!

Ich danke dir, Kathleen!

#fragRalph: So kannst du Ralph Böttcher erreichen

Ralph Böttcher lebt mit seiner Frau und seinen Töchtern in Husum. Als Steuerberater, Unternehmer und Autor ist Ralph seit mehr als 20 Jahren remote und unabhängig tätig, u.a. für DanRevision.

Wenn nichts mehr geht, frag Ralph: Unternehmer, die in der Corona-Krise Schwierigkeiten mit Behörden zu bewältigen haben oder sich dem Vorwurf des Subventionsbetrugs ausgesetzt sehen, können sich an den Strafrechtsschutzexperten wenden. Auf seiner Facebook-Domain Strafrechtsschutz findest du Kontakt und alle relevanten Infos.

164.000 Euro, 10 Tage Untersuchungshaft, 13 Jahre Strafverfahren: Seine persönlichen Erfahrungen mit der deutschen Justiz hat der Steuerberater und Unternehmer in einem Buch veröffentlicht. Das Hörbuch „Sie sind verhaftet!“ steht dir auf Audible zur Verfügung. Im BNI Podcast mit Michael Mayer erklärt Ralph Böttcher, warum Aufgeben niemals eine Option war.

Übernommen von unternehmenswelt.de

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