Sandwich-Manager in der Klemme

Je länger die Corona-Krise andauert, umso mehr Konfliktlinien und Gräben tun sich in vielen Unternehmen auf. Zudem bröckelt die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber – weil die Führungskräfte top-down zu wenig mit ihnen kommunizieren und die „Sandwich-Manager“ oft überfordert sind.

 

„Bei uns geht es seit Monaten zu wie in einem Bienenschwarm, und das Ganze ist nur noch ein Sauhaufen“, bricht es aus dem Abteilungsleiter in einem weltweit agierenden Konzern hervor. Dann ergießt sich ein scheinbar endloser Wortschwall über seinen Gesprächspartner. Dieser lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Abteilungsleiter ist abgrundtief enttäuscht von der oberen Führung in seinem Unternehmen. Er fühlt sich seit Monaten nicht nur extrem gefordert, sondern oft auch überfordert – vor allem, weil er selbst nicht weiß, wie es weiter geht. Und er ist emotional verletzt, weil er sich von seinen unmittelbaren Vorgesetzten im Stich gelassen fühlt, die sich, so seine Worte, „alle als kleine Diktatoren“ entpuppt haben.

Ähnliche Erfahrungen sammelt man zurzeit oft, wenn man mit sogenannten „Sandwich-Managern“ in Unternehmen spricht, zu denen eine von Vertrauen geprägte Beziehung besteht. Dann bedarf es meist nur eines geringen Anstoßes, und schon bricht sich der über Monate angestaute Frust weitgehend ungefiltert seine Bahn.

Seine Wurzeln hat dieser Frust laut Aussagen des Managementberaters und -coaches Joachim Simon, Braunschweig, meist primär in der „Sandwichposition“, in der sich besagte Führungskräfte befinden. Sie müssen als Führungskräfte auf der operativen oder mittleren Ebene alle Beschlüsse der Unternehmensleitung und ihrer unmittelbaren Vorgesetzten nicht nur an ihre Mitarbeiter weitergeben, sondern auch vertreten. Das gebietet ihnen ihre Loyalitätspflicht. Zugleich wissen sie aber oft selbst nicht, warum diese getroffen wurden, und sie bezweifeln nicht selten selbst deren Richtigkeit.

„Sandwich-Manager“ stehen an der emotionalen Front

Entsprechend hilflos sind sie, wenn ihre Mitarbeiter sie mit ihren Warum-weshalb-wieso-Fragen bestürmen. Dann können sie oft nur antworten „Wir müssen zurzeit corona-bedingt sparen“ oder „…andere Prioritäten setzen“. Eine Antwort, mit der ihre Mitarbeiter meist unzufrieden sind – speziell dann, wenn ihre Fragen mit existenziellen Sorgen und Nöten verknüpft sind, wie:

  • Wie lange muss ich noch kurzarbeiten und beziehe deshalb ein geringeres Gehalt?
  • Wird mittelfristig unser Bereich dichtgemacht und muss ich mit einer Kündigung rechnen?
  • Wird mein Projekt auf Eis gelegt, von dem ich mir auch einen Karrieresprung versprach?

Dann müssen die „Sandwich-Manager“ oft Zuversicht auszustrahlen und von der Krise als Chance schwadronieren, obwohl sie sich selbst dieselben oder ähnliche Fragen stellen. Und nicht wenige fühlen sich dann als Heuchler oder gar als Verräter an ihren Mitarbeitern, mit denen sie aufgrund der jahrelangen Zusammenarbeit auch emotional verbunden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie ahnen: Auf unserer Vorstands- oder Geschäftsführerebene werden schon viel weitreichendere Kursänderungen diskutiert als bisher verkündet – zum Beispiel

  • der Rückzug aus gewissen Geschäftsfeldern,
  • die Schließung von Niederlassungen,
  • die Fusion mit einem Mitbewerber,
  • ein massiver Personalabbau.

Die Top-Manager müssen das „Schiff“ auf Kurs halten

Solche Themen werden in den Chefetagen vieler Unternehmen hinter verschlossenen Türen bereits diskutiert, weiß Prof. Dr. Georg Kraus, der geschäftsführende Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, der nahezu täglich Strategiemeetings auf der Vorstandsebene moderiert. Denn selbstverständlich müssen die Top-Entscheider in den Unternehmen solche Szenarien durchspielen wie: Welche Konsequenzen hätte es für unser Unternehmen,

  • wenn das Thema Corona, zum Beispiel weil das Virus mutiert, uns noch jahrelang begleitet,
  • wenn sich im Gefolge der Pandemie das Kaufverhalten unserer Kunden dauerhaft radikal ändert,
  • wenn ein Mitbewerber aufgrund unseres gesunkenen Börsenkurses und unserer geringen Liquidität eine feindliche Übernahme probiert?

Und selbstverständlich müssen sie auch prüfen, welche Handlungsoptionen hätten wir, wenn das Szenario A, B oder C eintritt. Und hierzu zählt auch, sich zu fragen: Was tun wir, wenn der Worst Case eintritt? „Das gehört schlicht zum Job der Unternehmensführer“, sagt Dr. Kraus lakonisch. Offen im Mitarbeiterkreis über ihre strategischen Überlegungen sprechen, das können, ja dürfen die Top-Manager aber nicht, zumindest wenn ihr Unternehmen börsennotiert ist. Denn dann würden ihre Gedankenspiele offiziell, und sie müssten hierüber auch die Kapitalmärkte informieren, weil solche Infos „kursrelevant“ sind.

Top-Manager befinden sich oft in einem Dilemma

Doch auch die Top-Entscheider in nicht-börsennotierten Unternehmen können nicht alles gleich lauthals verkünden, was sie mittel- oder langfristig in Betracht ziehen, betont Cornelia Mast, Inhaberin der Unternehmensberatung Mascon Experts in Niederkirchen (Pfalz), die unter anderem fünf Jahre CEO bei der Pfaff Industriesysteme und Maschinen AG war. „Denn sie müssen stets auch bedenken: Welche Auswirkungen hat es auf die Beziehung zu unseren Kunden, Lieferanten und Kapitalgebern wie Banken, wenn sie erfahren, dass wir erwägen zum Beispiel eine bestimmte Produktlinie einzustellen oder unseren Service auszulagern?“

„Na ja“, sagt denn auch der Berater Joachim Simon, darauf angesprochen, dass der eingangs erwähnte Abteilungsleiter in seinem Frust die Top-Entscheider in seinem Unternehmen alle pauschal als Lügner und Heuchler bezeichnet: „Ich kann diese Reaktion aus seiner Position heraus verstehen, ich würde sie jedoch eher als Personen bezeichnen, die sich aufgrund ihrer Funktion in der Organisation auch taktisch verhalten müssen, um nicht in Teufels Küche zu geraten.“ Nach einigen Sekunden Schweigen fügt er dann noch hinzu: „Mein Eindruck ist aber durchaus, dass die Top-Entscheider in den Unternehmen oft nicht ausreichend die Stimmung in ihrer Organisation wahrnehmen, weil das sogenannte ‚Employee-Voice‘ nur sehr gefiltert zu ihnen empor dringt.“

Die gefassten Beschlüsse auch kommunizieren

Tatsache ist auf alle Fälle: Schon in normalen Zeiten sprechen viele Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern zu wenig über ihre Arbeit, die damit verbundenen Erwartungen und Ziele sowie über ihr Befinden. In Krisenzeiten, in denen sie selbst unter einer erhöhten Anspannung stehen, ist dies gehäuft der Fall. Dann sagen zum Beispiel die Top-Entscheider im Unternehmen nicht selten, nachdem sie weitreichende Beschlüsse trafen, zu den ihnen nachgeordneten Führungskräften: „Kümmert ihr euch darum, dass ….“ Und diese sagen wiederum zu den ihnen nachgeordneten Führungskräften, weil sie selbst unter Stress stehen: „Kümmert ihr euch darum,….“ Und so weiter. Und den Letzten, also die Führungskräfte auf der Shopfloor-Ebene? Die beißen sprichwörtlich die Hunde.

Nicht selten wird die Aufgabe Kommunikation der Beschlüsse und Vorhaben auch an die Stabsabteilungen Personal und Unternehmenskommunikation delegiert. Das geht nach Auffassung des Organisationsberaters Klaus Doll, Neustadt an der Weinstraße, „gar nicht“, denn: Zwischen den Mitarbeitern der Stabsabteilungen und denen der Fachabteilungen besteht oft keine gewachsene persönliche Vertrauensbeziehung“. Entsprechend wenig Bedeutung messen sie deren Worten bei. Dies gilt insbesondere für die Verlautbarungen der Kommunikationsabteilungen, die laut Doll in manchen Unternehmen von den Mitarbeitern ohnehin nur als „Papiertiger“ oder „obrigkeitshörige Eunuchen ohne Eier“ wahrgenommen werden. Entsprechend wenig Bedeutung messen sie zum Beispiel deren offiziellen Verlautbarungen in weichgespülten internen Mails bei.

Ein Bröckeln der Identifikation der Mitarbeiter verhindern

Viele Unternehmen kämpfen denn auch zurzeit damit, dass die Identifikation der Mitarbeiter mit ihnen umso mehr bröckelt, je länger die Corona-Pandemie andauert. Das gilt in erster Linie für die Kurzarbeiter, die zum Teil seit Monaten zuhause sitzen und von ihrem Arbeitgeber nichts mehr gehört haben. Das gilt zudem in verstärktem Maße für die Mitarbeiter im Homeoffice. Denn sie geraten im Führungsalltag schnell in Vergessenheit, weil sie sozusagen nicht präsent sind. Und weil auch das sonst übliche „Gespräch en passant“, sei es zwischen Tür und Angel oder in der Kantine, entfällt, findet bei ihnen laut Simon oft „zwar noch eine allgemeine Information zum Beispiel im wöchentlich offiziell anberaumten Telefon- oder Video-Call statt, doch letztlich keine Führung“. Auch dies lässt mit der Zeit die Identifikation mit der Arbeit und dem Arbeitgeber sinken.

Solche schleichenden Prozesse, die in vielen Unternehmen abzusehen sind, können auf die Dauer fatale Konsequenzen haben, denn: Wenn die Unternehmen kurz-, mittel- oder langfristig einen Kurswechsel vollziehen oder gar einen Sanierungsprozess durchlaufen müssen, sind sie laut Prof. Dr. Kraus auf die aktive Unterstützung zumindest durch ihre Kernmannschaft angewiesen, „denn alleine schafft das Management den Turnaround nicht“.

Zeit und Energie in Mitarbeiterführung investieren

„Führungskräfte sind nur solange Führungs-Kräfte, wie ihnen Mitarbeiter folgen“, betont denn auch der Leadership-Experte Joachim Simon, von dem im Oktober das Buch „Selbstverantwortung im Unternehmen“ erschien. „Folgen ihnen keine Mitarbeiter mehr, sind sie schlicht wirkungslos und somit verzichtbar.“ Deshalb fordert er gerade in Krisen- und Marktumbruchzeiten wie in den aktuellen von allen Führungskräften top-down, mehr Zeit in das Führen ihrer Mitarbeiter zu investieren, „selbst wenn sie aufgrund ihrer Aufgabenflut das Gefühl haben: Ich habe Wichtigeres und Dringlicheres zu tun“. Dann sollten sie – gegebenenfalls mit einem Coach – ihre Prioritätensetzung überdenken.

Führung bedeutet dabei nicht nur, den Mitarbeitern eine Perspektive zu vermitteln und ihnen zu sagen, was es zu tun gilt. Wichtig ist es laut Cornelia Mast auch, den Mitarbeitern darzulegen, warum man in der aktuellen Situation als Führungskraft zum Teil selbst nervöser, gereizter, scheinbar aktionistischer usw. als gewohnt reagiert, „denn aus dem Verstehen erwächst Verständnis und hieraus wiederum Vertrauen“. Ebenfalls zur Führungsaufgabe zählt der Versuch, nicht nur sich selbst, sondern auch den Mitarbeitern immer wieder bewusst zu machen, in welchen Dilemmata oder Zwickmühlen die oberste Unternehmensführung steckt – also der Versuch, „den Horizont der Mitarbeiter zu weiten“, ergänzt die Unternehmensberaterin, die als Ex-CEO und -CFO besagte Dilemmata aus eigener Erfahrung kennt.

Durch symbolische Handlungen Vertrauen schaffen

Der Versuch, Verständnis zu bewirken, gelingt jedoch nur, wenn das Top-Management zumindest durch symbolische Handlungen den Mitarbeitern signalisiert „Ihr seid uns wichtig“ und „Wir versuchen eine Balance zwischen den Interessen der verschiedenen Stakeholder zu wahren“, betont Organisationsberater Doll. Solche symbolischen Handlungen können sein:

  • Der Vorstand oder die Geschäftsführung stellt sich einmal pro Woche in einem Video-Call den Fragen aller Mitarbeiter – auch derjenigen in Kurzarbeit.“ Oder:
  • Er verzichtet auf einen Teil seines Gehalts für Mitarbeiter, die corona-bedingt in eine finanzielle Schieflage geraten.

„Oder der Vorstand schaltet zur Minderung der Infektionsgefahr seinen Aufzug, solange die Pandemie andauert, für alle Mitarbeiter frei“, fügt Doll lachend hinzu. „Mit etwas Phantasie und gutem Willen lassen sich viele solcher symbolischer Handlungen finden.“

Solche symbolischen Handlungen und das Investieren von viel Zeit in das Führen der Mitarbeiter, ist auch wichtig, weil sich im Zuge der Corona-Pandemie noch viele neue Konfliktlinien in den Unternehmen auftun werden, an die heute noch niemand denkt. Solche Konfliktlinien sind aktuell in vielen Unternehmen:

  • Warum dürfen gewisse Mitarbeitergruppen bereits wieder normal arbeiten, während andere noch mit den entsprechenden Gehaltseinbußen in Kurzarbeit sind?
  • Warum müssen zum Beispiel die Produktionsmitarbeiter täglich zur Schicht erscheinen, während ihrer Vorgesetzten aus Infektionsschutzgründen im Homeoffice arbeiten?

Solche Dinge gilt es, den Mitarbeitern zu erklären.

Die Führungskräfte beim Führen unterstützen

Eine weitere Konfliktlinie wird in naher Zukunft, wenn sich Unternehmen, deren Büromitarbeiter dauerhaft einen großer Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, fragen: Braucht unter diesen Voraussetzungen noch jeder Mitarbeiter ein eigenes Büro bzw. seinen persönlichen Schreibtisch? „Rational betrachtet nicht“, antwortet Prof. Dr. Kraus, fügt dann aber sogleich hinzu: „Spätestens wenn der eventuelle Verzicht auf solche ‚Besitztümer‘ bzw. ‚Privilegien‘ und ‚Statussymbole‘ in den Unternehmen auf der Tagesordnung steht, gewinnt das Thema ‚New Work‘, über das aktuell oft noch völlig naiv debattiert wird, eine ganz neue Dynamik.“ Dann tun sich nicht nur neue Konflikte auf, sondern stellen sich auch Fragen wie:

  • „Wie wirkt es sich auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen aus, wenn sie in ihm keinen persönlichen Ort bzw. Platz mehr haben?“ Und:
  • „Schwächt es das ‚Wir-Gefühl‘ in unserer Organisation weiter, wenn das Führen auf Distanz vom Ausnahme- zum Regelzustand wird?“

Mit solchen Fragen und den hieraus entstehenden Konflikten werden sich die Führungskräfte top-down künftig vermehrt herumschlagen müssen. Davon sind alle befragten Berater felsenfest überzeugt, da Corona die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Deshalb sollten die Unternehmen erwägen, ihnen bei Bedarf einen Coach zur Seite zu stellen, der mit ihnen Strategien für ihr Reagieren auf bestimmte Herausforderungen im Bereich Mitarbeiterführung und -kommunikation entwirft und ihr Verhalten reflektiert.

Zudem sollten sie laut Joachim Simon firmenintern mehr Foren schaffen, auf denen sich ihre Führungskräfte über die Ist-Situation und die aktuellen Herausforderungen im Führungsbereich austauschen können. „Dies ist auch nötig, um ein gewisses Alignment zu gewährleisten“ – also dafür zu sorgen, dass die Führungskräfte sich im Betriebs- und Führungsalltag bei der Mitarbeiterführung und -kommunikation von weitgehend denselben Zielsetzungen und (Verhaltens-)Maximen leiten lassen. Denn sonst praktiziert in dem Unternehmen irgendwann jede Führungskraft ihren eigenen Führungsstil, eine gemeinsame Führungskultur ist jedoch nicht mehr erkennbar.

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