Kommentar von Sandra Holdsworth, Head of Global Rates UK bei Aegon Asset Management
Wir alle haben uns in den letzten 12 Monaten daran gewöhnt, Diagramme zu betrachten – Infektionsraten, R-Werte, Ländervergleiche von Fällen – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. In der jüngsten Phase der Pandemie ist das Diagramm, das im Fokus steht, eines, das die Rate der Impfung nach Land zeigt. Tägliche Aktualisierungen verstärken das „Drama“, zu sehen, welches Land am schnellsten impft. Dank dieser Programme ist es sehr wahrscheinlich, dass nationale und lokale Lockdowns zu einer fernen Erinnerung werden und der Druck auf die Gesundheitssysteme zurückgehen werden.
Nach einem katastrophalen Jahr 2020 scheint es Großbritannien jetzt ziemlich gut zu gehen, was für uns alle eine angenehme Überraschung war. Die Impfquoten sind höher als in den USA und der EU, und die daraus resultierende Aufbruchsstimmung überträgt sich nun auf die Wirtschaft. Die jüngsten Einkaufsmanagerindizes zeigen, dass die Erwartungen für das verarbeitende Gewerbe auf einem Zwölfmonatshoch liegen und die Erwartungen für den Dienstleistungssektor sich nur knapp unter einem Zwölfmonatshoch befinden. Diese positiven Anzeichen kommen zu einer Zeit, in der sich das Land noch in einem nationalen Lockdown befindet und große Teile der Dienstleistungswirtschaft noch brach liegen. Wenn sich die Wirtschaft öffnet, erwarten wir einen weiteren Anstieg des Optimismus. Das Verbrauchervertrauen liegt jetzt nur noch knapp unter dem Niveau vor dem 19. September und ist überraschenderweise auch während des aktuellen Lockdowns gestiegen. Die Hauspreise steigen weiter und die Ersparnisse haben zugenommen. Kurz gesagt, die Nation ist zuversichtlicher geworden und hat Geld zum Ausgeben.
Dies bringt uns zur Geldpolitik. Auf der jüngsten Sitzung des geldpolitischen Ausschusses (MPC) der Bank of England wurde im Protokoll festgehalten, dass sich seit Februar (als der letzte geldpolitische Bericht veröffentlicht wurde) die wirtschaftlichen Aussichten in mehrfacher Hinsicht verbessert haben. Insbesondere die Konjunktur in Großbritannien hat sich stärker entwickelt als erwartet, die britische Fiskalpolitik ist unterstützender, die US-Fiskalpolitik ist weitaus expansiver als prognostiziert, die Weltwirtschaft war stärker und die Ölpreise waren höher. Es ist daher wahrscheinlich, dass der MPC bei der Veröffentlichung des nächsten Berichts im Mai seinen Ausblick sowohl für das britische Wirtschaftswachstum als auch für die Inflation anheben wird. Die Bank of England hat das primäre Mandat, die Inflation nicht über 2 % steigen zu lassen. Dies unterscheidet sich nun etwas von der geldpolitischen Haltung in den USA. Der Preisstabilitätsindex des US Federal Open Markets Committee ist als durchschnittliche Inflationsrate von 2 % definiert. Der Unterschied ist subtil, doch dies bedeutet, dass – wenn die Inflationsraten in beiden Ländern mit dem gleichen Profil ansteigen – das Mandat der Bank of England zur Folge hat, als erste Notenbank eine Straffung der Geldpolitik in Erwägung zu ziehen.
Zweifellos ist es eine erfreuliche Nachricht, dass es der Erfolg und die Wirksamkeit eines Impfprogramms den Volkswirtschaften und Nationen ermöglicht, sich von einem katastrophalen Jahr zu erholen. Doch als Folge dieses Aufschwungs könnten die Zentralbanken beginnen, von ihrem tiefen Notfall-Zinsniveau abzurücken. In Anbetracht der wirtschaftlichen Expansion in Großbritannien und des Mandats der Bank of England wäre es nicht ausgeschlossen, dass sie die erste Zentralbank sein wird, die dies tut.