Hybrider Vertrieb: Mit Web-Aided-Selling die Vertriebseffizienz erhöhen

 

Das Online-Kommunizieren mit unseren Zielkunden hat auch Vorteile. Das haben viele Unternehmen in den zurückliegenden 1,5 Jahren erkannt. Deshalb arbeiten sie daran, die ursprüngliche „Not-Lösung“ im B2B-Vertrieb in ein neues Normal zu überführen und hierfür Standards zu etablieren.

Speziell in den Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie waren persönliche Treffen mit den Kunden im B2B-Vertrieb kaum möglich. Also nutzten viele Unternehmen verstärkt die moderne digitale Kommunikations- und Informationstechnik für die Kommunikation mit ihren Kunden. Damit wurde ein Trend forciert, den es aufgrund des Generationenwechsels – von der Babyboomer-Generation hin zur Generation X und Y – auf der Entscheiderebene sowie der Ebene der Einkäufer und Verkäufer ohnehin schon gab: Die aktivere Nutzung der Digitaltechnik auch im Prozess der Anbahnung und Pflege von Kundenkontakten und -beziehungen.

Ein neues, hybrides Normal im Vertrieb entwickeln

Weil dieser Change corona-bedingt sozusagen über Nacht geschah, blieb dabei vieles Stückwerk. Das heißt, hinter der intensiveren Nutzung der digitalen Medien standen kaum strategische und konzeptionelle Überlegungen wie der Verkaufsprozess im digitalen Zeitalter effizient und effektiv gestaltet werden kann – von der Lead-Generierung über die Kundengewinnung bis hin zur Kundenpflege. Konzeptionell gestaltete Vertriebsprozesse sind aber nötig, wenn die „Notlösung“ aus Pandemie-Zeiten sich zu einem neuen Normal bzw. Standard im Vertrieb entwickeln soll. Ausgehend von den Vertriebszielen sind dann systematische Überlegungen nötig, wie außer den bekannten Social-Media-Plattformen Xing, LinkedIn, YouTube, Facebook und Twitter weitere oft kostenfreie Tools im Internet wie etwa

  • Google Alerts, Earth und Analytics,
  • Kollaborationstools wie Teams und Zoom sowie
  • Tools zum Monitoring der eigenen Homepage wie Leadscope und SalesViewer

im Verkaufsprozess und Vertriebsalltag effektiv genutzt werden können – unter anderem

  • zum Generieren von Zielkunden-Leads,
  • zum Anbahnen von Kontakten und Beziehungsaufbau,
  • zum Generieren von Erstaufträgen,
  • zur Kundenbindung und für das Cross-Selling,
  • zum Kundenausbau und Generieren von Folgeaufträgen sowie
  • zum Erlangen von Weiterempfehlungen.

In „sowohl-als-auch“-Kategorien denken

Die im B2B-Vertrieb praktizierten Lösungen werden – anders als im B2C-Bereich – aufgrund der Komplexität und strategischen Relevanz der vermarkteten Güter und Dienstleistungen in der Regel hybride sein: Die klassischen Offline-Maßnahmen und -Tools werden also situations- und gesprächspartnerorientiert mit neuen webbasierten Online-Maßnahmen und -Tools verknüpft, so wie dies beispielsweise beim Web-Aided-Selling (W.A.S.) geschieht.

Bei diesem Vertriebskonzept handelt es sich um eine Weiterentwicklung der bisherigen Vorgehensweisen im B2B-Vertrieb durch eine gezielte Nutzung der Möglichkeiten, die die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet. Dies steigert die Effizienz und Effektivität im B2B-Vertrieb. Beim W.A.S lautet die Maxime also nicht „klassische Vertriebsarbeit oder digital?“, sondern „sowohl, als auch“. Das Social Selling, bei dem es primär darum geht, in den sozialen Medien Interessenten anzusprechen und Beziehungen zu einem Netzwerk potenzieller Kunden auszubauen, stellt dabei lediglich einen, wenn auch wichtigen Teilprozess des W.A.S. dar.

 

Ein Web-Aided-Selling im Vertrieb praktizieren

Das Web-Aided-Selling-Konzept kann man als ein Orchester sehen, das eine Symphonie spielen möchte. Hierfür benötigte man vier Dinge:

  1. Instrumente
  • Hardware wie leistungsfähige PCs, Laptops, Tablets und Smartphones,
  • Suchmaschinen wie Bing und Google sowie
  • Tools für das Monitoring der Besucher der eigenen Internetseiten wie Leadscope und SalesViewer,
  • Netzwerk-Plattformen wie LinkedIn und Xing und
  • Kommunikations-und Kooperationstools wie Teams und Zoom
  1. einen Komponisten,

der die Strategie und das Konzept für das Web-Aided-Selling verantwortet – z.B. einen Vertriebsleiter, Geschäftsführer oder Vorstand – und dafür sorgt, dass die Menschen, Prozesse und Tools aufeinander abgestimmt wirkungsvoll eingesetzt werden

  1. einen Dirigenten,

der assistiert von einem internen oder externen Web-Aided-Selling-Experten das Umsetzen und Weiterentwickeln der Maßnahmen des Konzepts sicherstellt – z.B. einen Vertriebsleiter, Marketingleiter – sowie

  1. die Musiker,

also alle Mitarbeiter und Vertriebspartner des Unternehmens, die einen direkten Kundenkontakt haben und im Tagesgeschäft das Konzept systematisch mit Leben füllen und die erforderlichen Maßnahmen umsetzen.

 

Prozesshaft denken, zielorientiert handeln

Der erste Schritt zum Verkaufserfolg ist das Generieren von Leads. Hierfür muss man im Markt Flagge zeigen – und zwar dort, wo es attraktive Umsatzpotenziale und berechtigte Auftragschancen gibt. Das setzt vor dem Aktiv-werden das Definieren der Zielkunden bzw. eines „Beuterasters“ voraus:

  • Welche Unternehmen wollen wir z.B. aufgrund unserer Expertise, Struktur als Kunden gewinnen? (z.B. Unternehmen, die wie die Autoindustriezulieferer in einem Markt mit oligarchischen Strukturen agieren. Oder: Unternehmen, die ihren Kunden mehr digitale Service bieten müssen. Oder: Unternehmen, die Probleme haben, die für ihre Leitungserbringung erforderlichen Spezialisten als Mitarbeiter zu gewinnen).
  • Bei welchen Unternehmen lohnt sich ein Engagement und hätten wir eine realistische Auftragschance? (z.B.: Technikproduzenten mit mehr als 20 Millionen Umsatz/Jahr. Oder: Maschinenbauer, weil wir in ihrer Branche respektable Referenzprojekte haben. Oder: Multinational tätige Unternehmen aufgrund unserer dezentralen, internationalen Struktur).
  • Zu welchen Funktionen/Personen in den Buyingcenter der Zielkunden sollten wir eine Beziehung aufbauen, weil sie einen wesentlichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben? (außer zu den Inhabern, Geschäftsführern und Vorständen z.B. zu den Produktions-/Personal-/IT-Leitern, den kaufmännischen Leitern, den Einkäufern).

Die Ergebnisse dieser Beuteraster-Definition können dann als Grundlage für das Ermitteln interessanter Personen und Organisationen im Internet sowie auf solchen Business-Plattformen wie LinkedIn und Xing dienen, um erste persönliche Kontakte virtuell zu knüpfen und Beziehungen aufzubauen. Für diesen Weg der Lead-Generierung braucht man Ansprache-Konzepte und-Tools.

Die so geknüpften Kontakte werden vernetzt und in eine „Customer Journey“ eingebettet, für die die Marketing-Abteilung dem Vertrieb individuelle Text-Vorschläge und „Content“ in Form von Fachinfos und -artikeln, speziellen Unterseiten auf der Homepage mit Referenzprojekten, Kosten-Nutzen-Rechnungen usw. zur Verfügung stellt.

Die Online-Aktivitäten sind kein Selbstzweck.

Diese virtuell geknüpften persönliche Kontakte werden, sofern eine Recherche zum Beispiel im Internet ergab, dass sie ein attraktives Umsatzpotenzial haben und bei ihnen voraussichtlich eine realistische Auftragschance besteht, gepflegt und weiterentwickelt, um einen ersten Termin zu bekommen. Wichtige Ziele dieses Erstgesprächs sind außer einem Beziehungsauf- und -ausbau

  • die Analyse des Bedarfs und der Bedürfnisse des Zielkunden,
  • ein Ermitteln der Umsatz-Potenziale und der grundsätzlichen Auftrags-Chancen sowie der Entscheidungsprozesse beim Kunden und
  • das Wecken eines möglichen Kaufinteresses bzw. Verstärken des wahrgenommenen Bedarfs.

Je nach Neigung der Kontaktpersonen in der Zielorganisation – und abhängig davon, ob diese Babyboomer oder Angehörige der Generation X oder Y sind – können diese persönlichen Gespräche als traditionelle Besuchstermine beim Kunden oder in der Form von Video-Calls erfolgen. Auch hier gilt also nicht ein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“.

Neue (Verhaltens-)Standards im Vertrieb etablieren

Die für ein Web-Aided-Selling erforderliche Einstellung, und Haltung sowie das Konzept allen Vertriebsmitarbeitern zu vermitteln, ist nicht leicht. So sollten sich Vertriebsleiter oder Geschäftsführer zum Beispiel nicht darauf verlassen, dass sich jeder Vertriebsmitarbeiter – freiwillig – einen persönlichen Account bei LinkedIn und Xing einrichtet und sich dort gezielt mit Zielkunden vernetzt. Abhängig vom Reifegrad und von der Affinität zu den neuen digitalen Medien kann dies zwar geschehen, doch: „Luck is not a strategy!“.

Deshalb empfehlen sich folgende drei Projektschritte:

  1. Ein zu gründendes Steering-Board informiert sich unter der Schirmherrschaft des Vertriebsleiters, Geschäftsführers oder Vorstands über die Möglichkeiten und definiert die grundsätzliche Strategie für das Web-Aided-Selling im Unternehmen. Danach wird ein Projektteam vom Steering-Board in die Ziele des Projekts eingewiesen und mit dessen Konzeption beauftragt.
  2. Das Projektteam arbeitet unter dem Leitgedanken „Menschen–Prozesse–Tools“ das Web-Aided-Selling-Konzept aus und konsultiert in diesem Prozess auch interne und externe Wissensträger.
  3. Der Schlüssel zum Erfolg ist jedoch das Motivieren und Qualifizieren der Vertriebsmitarbeiter, denn: Die schönste Strategie und das beste Konzept nützen nichts, wenn die Vertriebsmannschaft sie nicht umsetzen will oder kann. „Wollen–Wissen–Können–Tun“ ist der Leitgedanke in dieser Phase!

Eine professionelle Einführung des Web-Aided-Selling im B2B-Vertrieb, die die Vertriebsmannschaft motiviert, inspiriert und befähigt, eröffnet die Chance, für eine professionelle hybride Marktbearbeitung in der zunehmend digitalen Unternehmenswelt – und zwar effizient und effektiv!

Peter Schreiber

 

Zum Autor: Peter Schreiber ist Inhaber der auf den B2B-Vertrieb spezialisierten Vertriebs- und Managementberatung Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld bei Heilbronn (www.schreiber-training.de; E-Mail: sekretariat@schreiber-managementpartner.de. Er ist u.a. Dozent an der IHK-Akademie München in Westerham sowie Lehrbeauftragter an der Hochschule Mannheim.

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