- Kohlenutzung auf Rekordniveau trotz ESG-Druck
- Rohölpreise stark gestiegen – Abbau der Lagerbestände
- ExxonMobil und Chevron verstärken Fördermengen
- Inflation macht Schieferöl wieder attraktiv
- Streit um NordStream2 führte zu leeren Gasspeichern
Rohstoffmärkte, wie Erdgas und Kohle, die für die Herstellung, Heizung und Kühlung verwendet werden, sind nach wie vor von Lieferkettenproblemen beeinträchtigt. Einige Rohstoffmärkte haben erhebliche Verwerfungen erlebt: So stiegen die europäischen Erdgaspreise im Dezember 2021 um das zehn- bis 15-fache, und die US-amerikanischen Erdgas- und Steinkohlepreise stiegen im vierten Quartal 2021 ebenfalls um ein Vielfaches. Genau hierin liegt aber auch der Widerspruch des Übergangs zu grünen Energiequellen: Trotz trotz des ESG-Drucks erlebte die Kohlenutzung 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mehrjahreshoch, da die vergleichsweise geringeren Preise für Erdgasverbraucher einen Anreiz boten, auf den kohlenstoffintensiven Brennstoff umzusteigen.
Globale Rohölmärkte um etwa 2,8 Mio Barrel pro Tag unterversorgt
Das anhaltende Nettoangebot an Rohöl im Jahr 2021 führte zwar zu einem Abbau der globalen Lagerbestände und stützte die Preise, doch dürfte sich der Markt im Jahr 2022 allmählich wieder ausgleichen. Grund dafür sind die Rücknahmen der OPEC+-Kürzungen, eine nachlassende Nachfrage und eine geringfügige, aber dennoch bedeutsame Reaktion der US-amerikanischen Produktion. Derzeit schätzen wir, dass die globalen Rohölmärkte um etwa 2,8 Millionen Barrel/Tag unterversorgt sind. Dies ist auf den starken Abbau der Lagerbestände im Jahr 2021 und den Anstieg der WTI-Preise um 55 % im letzten Jahr zurückzuführen.
EIA, IEA und OPEC rechnen mit steigender Diesel-und Benzinnachfrage von 3-4 %
„Dieses Jahr könnte die Nachfrage den Höchststand von vor der Coronakrise übersteigen. In der Vergangenheit stieg die weltweite Ölnachfrage außerhalb globaler Rezessionen zuverlässig um ein bis zwei Mio. Barrel pro Tag pro Jahr. Unser Wirtschaftsteam prognostiziert für 2022 ein starkes globales BIP-Wachstum von 4,2 %. Angesichts der Tatsache, dass verzögerte Nachfragekomponenten (z. B. Flugzeugtreibstoff) möglicherweise wieder zunehmen werden, halten wir daher ein Nachfragewachstum von zwei Millionen Barrel pro Tag für angemessen. Sowohl die Energy Information Administration (EIA), die International Energy Agency (IEA) als auch die OPEC gehen davon aus, dass die Ölnachfrage in diesem Jahr aufgrund der weltweit steigenden Diesel- und Benzinnachfrage um 3-4 % steigen wird“, sagt Guillermo Felices, Global Investment Strategist bei PGIM Fixed Income.
Überraschender Anstieg der Fördermenge in den USA
Was das Angebot anbelangt, so haben die großen unabhängigen US-Produzenten entgegen dem historischen Trend nicht mit höheren Investitionsausgaben auf die Ölpreiserholung reagiert. Ihr Fokus hat sich vom Wachstum auf die Aktionärsrendite verlagert. Die großen unabhängigen US-Förderer, die in den letzten zehn Jahren die Angebotsausweitung anführten, gehen jetzt von einem Förderungswachstum von nur 0-5 % im Jahr 2022 aus. Dies entspricht wohl kaum der notwendigen Angebotsreaktion, um einen Ausgleich des Nachfragewachstums zu schaffen. Zudem planen etwas überraschend große Ölkonzerne, wie ExxonMobil und Chevron, erhebliche Steigerungen der Fördermenge, und wir gehen davon aus, dass das Wachstumstempo der beiden großen Konzerne im Jahr 2022 höher sein wird als das der unabhängigen Produzenten. Auch die privaten US-Förderer haben 2021 die Zahl der Bohrtürme kräftig erhöht. Die in Privatbesitz befindlichen Anbauflächen sind in der Regel weniger produktiv, die erwarteten Angebotsausweitungen jedoch erheblich. Wir schätzen, dass die privaten Produzenten im Jahr 2022 zwischen 200.000-300.000 Barrel Rohöl pro Tag fördern könnten. Die größte Quelle für zusätzliche Rohölvorräte im Jahr 2022 wird jedoch die OPEC+ sein. Die derzeitig geplanten OPEC-Kürzungen enden im Mai 2022, und die OPEC+-Produktion steigt bereits jetzt. Einige Mitgliedstaaten, wie Angola und Nigeria, haben jedoch Schwierigkeiten, ihre Quoten zu erfüllen, Dies führt zu Skepsis an den Märkten , ob die OPEC+ überhaupt noch in der Lage ist, mittelfristig genug zu produzieren, um die weltweite Nachfrage zu decken.
Inflation macht Schieferöl wieder attraktiv
Über das Jahr 2022 hinaus besteht Grund zur Annahme höherer Rohölpreise. Das Rohölangebot außerhalb der USA ist im Verhältnis zum erwarteten Nachfragewachstum im Jahr 2023 weiterhin knapp. Damit die USA ihren Status als Ausgleichproduzent, als sogenannter „Swing-Produzent“, wiedererlangen können, muss es einen „Appell“ zur Förderung von Schieferöl geben. Es bleibt abzuwarten, ob die US-Produzenten diesem Aufruf folgen werden – angesichts der Nachfrage nach Aktionärsrenditen und des verstärkten ESG-Drucks, der das Kapital von traditionellen Öl- und Gasprojekten wegführt. Auch der Inflationsdruck dürfte dazu führen, dass die Break-even-Preise für US-Schieferöl von den 35-50 US-Dollar von vor der Coronakrise auf 40-55 US-Dollar ansteigen.
Die mittelfristige Rohölnachfrage ist angesichts der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen und erneuerbarer Energie weniger sicher. Wann genau sich die strukturelle Ölnachfrage ändern wird ist unklar. Man erwartet jedoch, dass sie im Laufe der Zeit einen bedeutenden Einfluss auf die Gesamtnachfrage haben wird. Wir betrachten 50 US-Dollar/Barrel als weiche Untergrenze für Rohöl für die Zeit nach 2022. Außerdem sehen wir für das Jahr 2023 eine Spanne von 60-80 US-Dollar/Barrel als realistisch an, da ein angemessener Anreiz für ein zusätzliches Angebot geschaffen werden muss, das in nächster Zeit größtenteils aus den USA kommen muss.
Ölpreiseinbruch hat Gaspreise stagnieren lassen
Die US-Preise für Erdgas zogen 2021 stark an und überstiegen im September die Marke von 6 US-Dollar/mmBtu, was auf eine Reaktion des Angebots aufgrund der Disziplin der Erzeuger sowie auf eine starke Nachfrage infolge robuster Exporte und eines stabilen Grundlaststromverbrauchs zurückzuführen ist. Die EIA erwartet, dass die Preise im Jahr 2022 durchschnittlich 3,79 US-Dollar/mmBtu betragen werden.
Was die langfristigen Nachfragetrends für Erdgas angeht, sind wir optimistisch gestimmt und betrachten es als einen Übergangskraftstoff, der die Energieversorgung mit erneuerbaren Energien überbrückt. Die Ära des billigen Erdgases dürfte daher vorbei sein, und die Preise dürften in den nächsten Jahren über 3,00 US-Dollar/ mmBtu liegen werden.
Es gibt zwei Hauptgründe, warum die Erdgasproduktion seit 2019 trotz einer Verdoppelung des Preises stagniert. Erstens haben sich die US-Erdgasproduzenten bei ihren Investitionsausgaben sehr viel disziplinierter verhalten. Die Erdöl- und Erdgasindustrie hat ein Jahrzehnt hinter dem allgemeinen Aktienmarkt zurückgebliebener Renditen hinter sich, und die Aktionäre haben verlangt, dass der freie Cashflow zur Schuldentilgung und/oder zur Rückzahlung von Barmitteln an die Aktionäre verwendet wird. Die Reinvestitionsquote der Produzenten ging von mehr als 100 % des Cashflows vor dem durch COVID-19-bedingten Einbruch der Gaspreise auf heute 50-70 % zurück. Zweitens führte der Ölpreiseinbruch auch zu einer Verlangsamung der auf Öl ausgerichteten Bohrungen. Dies wiederum führte zu einem Rückgang der Erdgasströme aus den Ölquellen (so genanntes „assoziiertes Gas“). Außerdem ist festzustellen, dass das Gasangebot aus dem ergiebigen Marcellus-Formation im Nordosten der USA aufgrund von Pipelinebeschränkungen begrenzt ist.
Zu den Triebkräften der robusten Nachfrage gehören die starken Exporte von verflüssigtem Erdgas (LNG) sowie die steigende Stromnachfrage, da weiterhin Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Die US-LNG-Exporte lagen 2021 bei durchschnittlich 9,8 Mrd. Kubikfuß/Tag, gegenüber 6,5 Mrd. Kubikfuß/Tag im Jahr 2020 und weniger als 1,0 Mrd. Kubikfuß/Tag im Jahr 2016. Die EIA rechnet mit durchschnittlich 11,5 Mrd. Kubikfuß/Tag, wenn der sechste Transportzug des Unternehmens Sabine Pass LNG und die ersten Züge der neuen LNG-Exportanlage Calcasieu Pass LNG in Betrieb gehen. Die Spanne zwischen den US-Erdgas- und den internationalen Preisen ist nach wie vor groß, so dass das Arbitrage-Exportfenster weitgehend offen bleibt.
Angesichts der Abkehr der Industrieländer von der Stromversorgung aus Kohle hat Erdgas dazu beitragen, dass im Jahr 2020 rund 1.500 Milliarden Kilowattstunden erzeugt werden. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 50 % gegenüber 2010, während der Kohleanteil an der Stromerzeugung im gleichen Zeitraum um rund 50 % gesunken ist.
Streit um NordStream2 führte zu Leerung der Gassspeicher
Die europäischen Erdgaspreise stiegen im Jahr 2021 ebenfalls sprunghaft an, da das Angebot angesichts der steigenden Nachfrage schrumpfte. Die Gründe für die Versorgungsengpässe sind vielfältig und beinhaltet unter anderem eine höhere saisonale Nachfrage und die Weigerung Russlands, zusätzliche Lieferungen über die Basisverträge hinaus bereitzustellen. Die Prognosen für die Gasversorgung sind komplizierter, da sie vor allem von geopolitischen Faktoren und der Entscheidung über die Genehmigung von NordStream2 abhängen.
Russland ist mit 18 % der Weltproduktion im Jahr 2020 nach den USA (23,6%) der zweitgrößte Erdgasproduzent. Mit einem geschätzten Marktanteil von 23 % ist Russland außerdem der größte Gasexporteur der Welt (die Gesamtausfuhren belaufen sich auf 230 Mrd. m³). Europa und China sind die wichtigsten Exportmärkte, wobei China in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Die Schätzungen der Gasreserven schwanken stark und reichen von 37,4tcm bis 47,8tcm im Jahr 2020 (EIA). Die jüngsten Auseinandersetzungen um die Genehmigung der NordStream2-Pipeline haben dazu geführt, dass Russland beschlossen hat, nur die vertraglich festgelegten Grundmengen zu liefern und nicht die üblichen zusätzlichen Lieferungen in Spitzenzeiten der Nachfrage.
Die Füllmenge der EU-Speicher, die von russischem Gas abhängigen sind, liegt derzeit unter ihrem historischen Durchschnitt. Der russische Konzern Gazprom zögert offenbar damit, die Produktion zu erhöhen, um die Speicher zu füllen. Gazprom hat Einfluss auf fast ein Drittel aller Gasspeicher in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Aus rein vertraglicher Sicht liefert das Unternehmen die festgelegte Gasmenge, jedoch nicht darüber hinaus. Länder mit einer geringeren Abhängigkeit von Gazprom- Lieferungen, wie Frankreich und Italien, verfügen über normale Gasvorräte in ihren Speichern.
Erschwerend kommt hinzu, dass man in Russland ernsthaft befürchtet, dass der starke Gaspreisanstieg die Gasfelder anderer Länder wirtschaftlich unrentabel machen und die Entwicklung und Nutzung alternativer Energiequellen fördern wird. Der eigentliche Wendepunkt für den Gasmarkt in Europa ist jedoch die Genehmigung der NordStream2-Pipeline. Solange diese Frage nicht geklärt ist, wird der Markt weiter angespannt bleiben.