Der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar
Der Krieg in der Ukraine hält neben der Politik die Finanzmärkte weiter in Atem. Insbesondere die steigenden Energiepreise erhöhen den ohnehin schon vorherrschenden Inflationsdruck. Die amerikanische Notenbank (Fed) reagierte inzwischen und erhöhte ihren Zinskorridor um 25 Basispunkte. Zudem stehen weitere Zinserhöhungen für die nächsten Monate im Raum. Die derzeitige Preisentwicklung könnte die Fed zu einer aggressiven Straffung der Geldpolitik verleiten. Doch das birgt Gefahren. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars, warum der Versuch die Inflation einzudämmen in einer Rezession enden könnte.
Die Entscheidung der Fed die Zinsen anzuheben fiel am 16. März und damit etwa drei Wochen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Es ist die erste Zinserhöhung seit Dezember 2018 und folgt auf eine noch nie dagewesene Geldschwemme, pandemiebedingte Angebotsengpässe und einen Krieg. Die Kombination dieser Faktoren ließ die Inflation in den USA auf zuletzt über 7,9 Prozent steigen. Dies veranlasste die Fed unter der Führung von Jerome Powell den Zinskorridor um 25 Basispunkte anzuheben. Damit liegt der Zinskorridor nun zwischen 0,25 bis 0,5 Prozent. Die Zinserhöhung wird voraussichtlich nicht die letzte in diesem Jahr sein, da die Fed bereits andeutete in den nächsten Sitzungen Zinsschritte in ähnlichem Umfang vorzunehmen. Darüber hinaus wird wahrscheinlich schon auf der nächsten Sitzung am 4. Mai das Abstoßen von Staatsanleihen verkündet. Die Bilanz der Fed hat sich im Zuge der Pandemie mehr als verdoppelt und lag zuletzt bei fast 9 Billionen US-Dollar.
Ein wesentlicher Treiber der Inflation bleiben die Energiepreise, weshalb es für den weiteren Verlauf zwei wesentliche Fragen zu beantworten gilt. Die erste Frage dreht sich um die mittel- bis langfristige Entwicklung der Rohstoffpreise, insbesondere der Öl- und Gaspreise. Die zweite Frage setzt mit der mittel- bis kurzfristigen Entwicklung aller andere Kategorien, wie etwa Autos, elektrische Geräte o.ä., auseinander. Beide Entwicklungen sind entscheidend in der geldpolitischen Ausrichtung der Notenbanken.
Zunächst zur Erörterung der ersten Frage. Nachdem die Töne eines Embargos russischer Rohstoffe lauter wurden, stieg der Ölpreis (WTI) zwischenzeitlich um mehr als 30 Prozent. Etliche Marktteilnehmer deckten sich vorsorglich mit dem für die Wirtschaft essentiellen Rohstoff ein. Dieser Effekt verblasste jedoch in kürzester Zeit wieder und der Ölpreis fiel von dem zwischenzeitlichen Höchststand von 139,13 US-Dollar auf jetzt aktuell 114,00 US-Dollar. Die Entscheidung unabhängiger von russischen Rohstoffen zu werden ist gefallen und wird sehr wahrscheinlich nicht mehr rückgängig gemacht. Die Frage ist jedoch, wie schnell wird dies geschehen und zu welchem Preis. Eine mögliche Option wäre natürlich einfach die Produktion von Öl zu steigern, um den Verlust aus Russland zu kompensieren. Dies ist jedoch für ölproduzierende Unternehmen und Länder mit Risiken verbunden, da wir zwar kurzfristig auf mehr Öl angewiesen sind, uns aber mittel- bis langfristig von den fossilen Brennstoffen verabschiedet haben. Damit gehen Ölproduzenten bei der Investition in den Ausbau der Ölförderung das Risiko ein, den Markt mittel- bis langfristig zu übersättigen. Das würde einem Preisverfall gleichkommen und damit ein Gewinnverlust für die Ölproduzenten. Zudem dauert es ein paar Monate bis neue Produktionskapazitäten geschaffen werden können und die Öl- und Gasspeicher können nicht annähernd den Verlust russischer Importe zu substituieren.
Noch fließen die Rohstoffe, was noch extremere Preissprünge verhindert. Sollte der Westen den Öl- und Gashahn erst abdrehen, wenn für Ersatz gesorgt worden ist, könnten zwar die Energiepreise etwas höher ausfallen, jedoch nicht so stark wie in einem Szenario ohne Ersatz aus anderen Quellen. Derzeit bemühen sich viele westliche Staaten um Ersatz und bereisen Länder wie Saudi-Arabien oder Katar. Die Dauer des Preisdrucks auf Rohstoffpreise ist entscheidend für die Beantwortung der zweiten Frage.
Rohstoffe sind wesentlicher Bestandteil zahlreicher Konsumgüter und ein Kostenfaktor, den Unternehmen berücksichtigen müssen. Kurzfristige und durchaus übliche Schwankungen der Rohstoffpreise werden in der Regel nicht sofort eingepreist und an den Verbraucher weitergegeben. Produkte, wie etwa Zahnpasta, Autos oder Brot sind wesentlich „starrer“ in ihrer Preisentwicklung. Zieht sich jedoch ein sichtbarer Preisanstieg eines Rohstoffes, wie etwa Öl, über einen längeren Zeitraum, sehen sich Unternehmen gezwungen die gestiegenen Produktionskosten an die Verbraucher weiterzugeben. Das bedeutet also, dass die Inflation in der Breite sichtbar wird und nicht mehr nur noch für Öl. Fällt aber der Ölpreis ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder, werden die niedrigeren Produktionskosten nicht zwangsläufig an den Verbraucher weitergereicht, da die Unternehmen Profit maximieren wollen. Die durch den Ölpreis gestiegene Inflation ist demnach nicht mehr so leicht umzukehren, was die Arbeit der Notenbanken erschwert.
Diese könnten natürlich die Zinsen anheben, womit sie dennoch Gefahr laufen würde die Wirtschaft unnötig zu schwächen, denn die Inflation ist nicht von einer erhöhten Nachfrage getrieben, sondern von einem Angebotsschock auf der Rohstoffseite. Dass die Fed zum Auslöser einer Rezession verkommt, ist kein neues Phänomen. Schon in den 70er-Jahren erhöhte die Fed die Zinsen im Zuge der Ölkrise, was zwar zu einem Rückgang der Inflation geführt hatte, aber auch eine schwere Rezession auslöste. Die Fed muss also die Gefahr einer Inflationsspirale mit den Risiken einer Rezession abwägen. Es ist ein äußerst schmaler Grat, den die Fed gehen muss, um keine der beiden Szenarien unnötig zu füttern. Was für die Fed gilt, gilt im Übrigen auch für die Europäische Zentralbank (EZB).