Den HR-Bereich transformieren?

 

Wenn Unternehmen fit für die von einem raschen Wandel geprägte VUKA-Welt sein möchten, müssen sich auch ihre HR-Bereiche wandeln bzw. neu definieren. 12 Thesen, wohin die Reise geht.  

In den zurückliegenden zwei, drei Jahren haben viele Unternehmen – im Gefolge der Corona-Pandemie, des Ukraine-Krieges und des sich vollziehenden Klimawandels – existenziell erfahren „Wir leben in einer VUKA-Welt“, Deshalb fragen sie sich zurzeit: Wie können wir unsere Organisation fit machen für eine Welt, in der sich die Rahmenbedingungen unseres Handels immer schneller wandeln und eine langfristige Planung zunehmend schwierig wird. Im Rahmen dieses Changeprozesses müssen sich auch die Personal- bzw. HR-Bereiche der Unternehmen neu definieren; 12 Thesen, vor welchen Herausforderungen sie stehen.

These 1: Die HR-Bereiche müssen sich (zum Teil) neu erfinden.

Aufgrund ihrer zum Teil existenzbedrohenden Erfahrung „Wir leben in einer VUKA-Welt“ stehen zurzeit in vielen Unternehmen außer den bisherigen Handlungsstrategien und Organisationskonzepten auch die Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand. Das heißt, sie werden in naher Zukunft ganz andere als heute sein. Im Rahmen dieses Transformationsprozesses müssen auch die HR-Bereiche ihre Funktion in der Organisation neu definieren und sich zum Teil neu erfinden, damit sie noch ihren Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leisten.

 

 

These 2: Die HR-Bereiche müssen flexibler werden.

„Das sind wir doch“, denkt vermutlich manch Personaler. Das stimmt leider oft nicht! Das fängt bei der Personalrekrutierung an. Wenn gute Fach- und Führungskräfte wirklich rar sind, dann sollte sich der Rekruter, wenn er einen heißen Kandidaten an der Angel hat, der schon einen anspruchsvollen Job und vollen Terminkalender hat, beispielsweise am Wochenende auch mal ins Auto setzen und sich mit ihm an dessen Wohnort oder auf halber Strecke treffen. Das geschieht in der Praxis nicht. Dann darf die Personalauswahl bei Hochschulabsolventen nicht mehrere Monate dauern, weil dann die meisten schon einen Job haben. Und wenn sich die Dauer nicht verkürzen lässt? Dann sollten die Personaler zwischenzeitlich ab und zu zum Telefonhörer greifen, um mit den heißen Kandidaten einen Small Talk zu führen und ihnen so zu signalisieren „Sie sind wirklich ein heißer Kandidat und uns auch als Mensch wichtig“. Ähnlich verhält es sich im Bereich Personalentwicklung. Auch hier müssen die Personaler verstärkt ihren „Elfenbeinturm“ verlassen und auf ihre „Kunden“ zugehen.

 

These 3: Die HR-Bereiche müssen echte Dienstleister sein.

Woran macht ein Kunde fest, ob ein Anbieter ein Dienstleister ist? An seinen Aussagen auf der Webseite oder in seinen Broschüren? Nein! An seinem Verhalten im Kontakt. Meldet er sich zum Beispiel eigeninitiativ oder reagiert er nur auf Anfragen? Besucht er ab und zu seine Kunden oder ist ihm dies zu zeitaufwändig? Macht er sich die Bedürfnisse des Kunden zu eigen und sucht auch eigenständig nach Lösungen? Erweist er sich bei akuten Problemen als echter Helfer in der Not? Auch diesbezüglich besteht in vielen HR-Bereichen noch Optimierungspotenzial; das heißt, sie haben das Dienstleister-sein noch nicht verinnerlicht.

These 4: Die HR-Bereiche brauchen mehr IT-Know-how.

Aktuell werden die HR-Bereiche in nicht wenigen Unternehmen von deren IT-Bereichen und (technik-affinen) Fachabteilungen nicht ernst genommen, denn: Aufgrund ihres geringen IT-Know-hows fehlt ihnen oft sogar die erforderliche Bewertungskompetenz, was im Digitalisierungsbereich möglich, realisierbar und sinnvoll ist. Wenn in den Unternehmen jedoch fast alle Prozesse computer- und netzgestützt ablaufen und die Digitalisierung ein zentraler Veränderungstreiber ist, dann ist ein fundiertes IT-Know-how im HR-Bereich unverzichtbar. Diese Kompetenz gilt es aufzubauen. Zum Beispiel, indem im Personalbereich auch Personen mit einem großen, auch technischen IT-Know-how arbeiten. Oder indem die IT- und HR-Bereiche stärker kooperieren oder sogar teilweise verschmelzen.

 

 

These 5: Die HR-Bereiche müssen „Befähiger“ werden.

In vielen Großunternehmen ist das Weiterbildungs- und Personalentwicklungsangebot heute schon gigantisch. Für jedes mögliche Wehwehchen gibt es sozusagen ein Medikament – ähnlich wie in vielen, über die Jahre gewachsenen Hausapotheken. Dieses Angebot durch Online-Angebote noch weiter aufzublähen, kann nicht das Ziel sein. Vielmehr sollten die zentralen Fragen bei der Produktentwicklung lauten:

  • Was braucht das Unternehmen, um seine Ziele zu erreichen, und was brauchen die Bereiche und ihre Mitarbeiter, um ihren Beitrag hierzu zu leisten?
  • Wie können diese Bedarfe am effektivsten befriedigt werden? Und:
  • Wie finden die Mitarbeiter schnell die für sie relevanten Inhalte und erkennen deren Relevanz?

Und das vorhandene Angebot? Dieses kann auch mal ausgemistet werden – wie die Hausapotheke.

 

 

These 6: Die HR muss sich verstärkt an den Ort des Geschehens begeben.

Von Ferdinand Piech existiert die Erzählung, er habe, nachdem er Vorstandsvorsitzender der Volkwagen AG geworden war, einen Blaumann angezogen und einige Tag in der Produktion mitgearbeitet, um live zu erfahren: Wo drückt der Schuh? Ähnlich müssen die HR-Bereiche agieren, wenn sie erfahren möchten,

  • wo klemmt es im Unternehmen,
  • welche Change-/Entwicklungsbedarfe existieren und
  • wie können diese am effektivsten befriedigt werden.

Dann genügt es nicht, den Bedarf per Fragebogen zu erkunden. Die HR-ler müssen vielmehr aktiv den Dialog mit den Betroffenen suchen und teilweise in deren Erfahrungswelt eintauchen. Denn zum Beispiel die Bereiche Forschung & Entwicklung, Produktion und Vertrieb haben nicht nur unterschiedliche Aufgaben, die in ihnen tätigen Menschen „ticken“ teilweise auch verschieden. Also müssen auch die für sie entwickelten Problemlösungen teils andere sein, selbst wenn sie unter demselben Label wie zum Beispiel „Führung“ oder „Selbstmanagement“ laufen.

These 7: Die HR-Bereiche müssen sich als Transformer und Kulturentwickler begreifen.

Die Kernaufgabe der HR-Bereiche ist es nicht, den Mitarbeitern fehlende Skills zu vermitteln. Sie müssen vielmehr ihren Beitrag dazu leisten, dass sich das System Unternehmen in die von den Unternehmenszielen vorgegebene Richtung entwickelt. Deshalb müssen die HR-Bereiche auch strategisch denken und sich als Transformer und Kulturentwickler verstehen. Das beinhaltet auch, dass sie

  • für die nötigen Veränderungen mit Nachdruck werben und
  • in dem Veränderungsprozess als Vorbilder fungieren.

Entsprechend groß muss auch die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der HR-Bereiche sein.

 

 

These 8: Die HR-Bereiche müssen die Individuen fördern und für das nötige Alignment sorgen.

Bei ihrer Arbeit agieren die HR-Bereiche stets im Spannungsfeld Person und Organisation. Es gilt die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter sowie die Erfordernisse der Organisation unter einen Hut zu bringen – auch bei der Personalentwicklung. Zwar sollte jeder Einzelne so gefördert werden, dass er seine Potenziale entfalten kann, zugleich müssen die Personalbereiche aber dafür sorgen, dass im Unternehmen kein Wildwuchs zum Beispiel im Bereich Führung oder Kommunikation entsteht. Das Handeln aller Beteiligten muss sich vielmehr weiterhin an definierten Handlungsmaximen orientieren, so dass sich die Unternehmenskultur, wozu auch die Führungs- und Lernkultur zählt, in die angestrebte Richtung entwickelt.

These 9: Die HR-Bereiche müssen passende hybride Lernwelten entwerfen.

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet heute bereits viele Möglichkeiten, Lernarchitekturen zu schmieden, die zum Beispiel

  • das Lernen in Präsenzveranstaltungen und das Online-Lernen verknüpfen und
  • das eigenverantwortliche und -ständige Lernen in der Organisation puschen.

Diese Möglichkeiten werden weiter steigern. Deshalb wird es künftig eine zentrale Aufgabe der HR-Bereiche sein, in ihrem Unternehmen eine (hybride) Lernlandschaft und -kultur zu etablieren, die dessen Bedarf aufgrund des Geschäftsfelds, der Entwicklungsziele, der Mitarbeiterstruktur usw. entspricht. Das beinhaltet auch, zu gewissen technischen Möglichkeiten „Nein“ zu sagen.

These 10: Den HR-Bereichen muss bewusst sein „Personalausgaben sind betriebliche Investitionen“.

Das heißt auch: Sie müssen sich unter dem Strich für das Unternehmen rechnen. Eine entsprechend große Rolle sollten bei der Arbeit der HR-Bereiche die Fragen spielen:

  • Wie können wir diese möglichst effektiv gestalten? Und:
  • Wie können wir zum Beispiel bei der Personalentwicklung die Risiken minimieren, dass die Entwicklungsziele nicht erreicht werden?

Hierzu zählt auch, regelmäßig zu checken: Sind wir bzw. die Lerner noch auf dem richtigen Weg oder sollten wir intervenieren? Hierzu bieten sich gerade beim Online-Lernen bzw. computergestützten Lernen sehr viele Möglichkeiten, die heute noch kaum genutzt werden – auch zum Optimieren der Programme.

These 11: Die HR-Bereiche müssen nicht alles selbst entwickeln.

Speziell in den HR-Bereichen von Großunternehmen lautet noch oft ein Credo „Wir müssen alles selbst entwickeln, damit es unserer Unternehmensphilosophie und Corporate Identity entspricht“. Dies gilt nicht nur für die angebotenen Seminare, sondern auch digitalen Lernangebote. Da der Entwicklungsbedarf der Mitarbeiter aber aufgrund ihrer Biografie und Funktion in der Organisation immer individueller und spezieller wird, kann dieser Selbstanspruch, wenn überhaupt, nur noch mit einem unangemessenen Ressourceneinsatz eingelöst werden.

Deshalb sollten sich die HR-Bereiche zum Beispiel fragen:

  • Müssen wir jedes (Online-)Seminar – auch im Bereich Selbst- und Stressmanagement – selbst konzipieren oder können wir es einkaufen?
  • Können wir beim Aufbau und Ausbau unserer Lernplattform mit anderen Unternehmen kooperieren?
  • Ist es betriebswirtschaftlich vertretbar, dass wir die Learning Nuggets für unsere Selbstlernprogramme alle selbst entwickeln oder können wir als solche teilweise sogar Gratis-Videos usw. im Netz nutzen?

These 12: Die HR-Bereiche müssen sich als Unterstützer der Entscheider bei der Zielerreichung profilieren.

Dies ist auch nötig, damit ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Deshalb sollten sich die HR-Bereiche intensiver mit der Frage befassen: Wie vermitteln wir den Top-Entscheidern im Unternehmen, die meist betriebswirtschaftlich denken, dass sich gewisse Investitionen im Personalbereich lohnen? Außerdem mit der Frage: Wie erfassen wir deren Return-on-invest und vermitteln ihn unseren „Geldgebern“? Das tun viele HR-Bereiche noch zu wenig.

Viola Ploski

Zur Autorin: Viola Ploski arbeitet als Senior Consulter für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Sie ist auf die Themenfelder Learning Transformation, Future Work Skills und Transformations-Management spezialisiert.

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