Demografischer Wandel: Wie bewältigen wir die Produktivitätslücke?

Der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung wird in Deutschland deutlich abnehmen. Deshalb muss die Arbeitsproduktivität ansteigen, um zumindest das (reale) Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung zu stabilisieren. Doch was hemmt die Produktivitätssteigerung und was ist zu tun?
Demografischer Wandel: Wie bewältigen wir die Produktivitätslücke?

Produktivitätslücke: Arbeitsproduktivität muss steigen, um das Wohlstandsniveau zu halten

Blicken wir auf die kommenden Jahre, wird Deutschland deutlich älter werden, und damit wird auch der Anteil der Erwerbstätigen an der gesamten Bevölkerung in Deutschland abnehmen. Daran wird auch die Zuwanderung nichts Grundlegendes ändern. Nach einer Projektion des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) wird die Gesamtbevölkerung bis 2040 auf 85 Millionen Einwohner anwachsen. Im gleichen Zeitraum sinkt das Erwerbspersonenpotenzial, also das Potenzial aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen, um etwa 3 Millionen. Laut der IW-Projektion nehmen dann weniger als 61 Prozent der Bevölkerung am Erwerbsleben teil.

Wenn Deutschland wie in den vergangenen drei Jahrzehnten ein reales Pro-Kopf-Wachstum von 1,2 Prozent erreichen will, muss die Arbeitsproduktivität jährlich um rund 1,8 Prozent steigen. Diese demografisch bedingte Lücke lässt sich nur durch fortschreitende Kapitalintensivierung sowie technischen und organisatorischen Fortschritt schließen. Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre wirkten technisch-organisatorische Veränderungen dämpfend auf das Produktivitätswachstum; Beiträge der Kapitalintensivierung fallen seit rund 20 Jahren schwächer aus.

Vom IW befragte Unternehmen sind auch für die Zukunft in diesem Bereich nicht optimistisch. So erwartet die Hälfte der Befragten auch in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein schwaches Produktivitätswachstum, immerhin 36 Prozent glauben allerdings, dass es sich auf einem normalen Niveau bewegen wird. Als Gründe für die eher pessimistische Einschätzung nennen sie in erster Linie hohe bürokratische Hürden, ausufernde Reportingpflichten, die starke Regulierungsdichte und auch den Fachkräftemangel. Die Anforderungen zur Etablierung sicherer Lieferketten und kundenspezifische Produktion führen für sie eher zu negativen Produktivitätsentwicklungen. Auch fehlende Forschungsförderung und Unsicherheiten bei der Transformation im Rahmen der Dekarbonisierung und den dabei entstehenden Kosten, sind für der Unternehmen ein Thema.

Einschätzungen verschiedener Branchen sehr unterschiedlich

Betrachtet man die Einschätzungen der verschiedenen Branchen, so zeigt sich hier ein uneinheitliches Bild. Der Pessimismus in Bezug auf die Produktivitätsentwicklung in Deutschland überwiegt zwar bis auf wenige Ausnahmen, doch er fällt unterschiedlich stark aus. Stark negativ sind die Aussichten in der Metallindustrie, bei Chemie und Pharma sowie der Kunststoffbranche und der Bauwirtschaft. Auch die Schlüsselbranchen Automobilbau, Maschinenbau und Elektroindustrie haben hier tendenziell negative Erwartungen, die allerdings schwächer ausfallen.

Im Bereich Energie, Wasserversorgung und Entsorgung ist die Einschätzung eher neutral, eine überdurchschnittliche Produktivitätsentwicklung wird aber auch hier nicht erwartet. Lediglich im Bereich unternehmensnaher Dienstleistungen macht sich ein bischen Optimismus breit. Hier erwarten immerhin 11 Prozent der befragten Unternehmen eine durchaus beschleunigte Produktivitätsentwicklung, die eventuell von den neuen technologischen Möglichkeiten von KI-Anwendungen herrührt, die im Dienstleistungssektor zu signifikanten Effizienzsteigerungen führen könnte.

Unternehmen und Politik sind gleichermaßen gefordert bei der Produktivitätssteigerung

Nicht alle Probleme der Produktivitätssteigerung lassen sich von den Unternehmen alleine lösen. Auch die Politik muss hierzu ihren Beitrag leisten.

Um leistungsfähiger zu sein, müssen viele Unternehmen eine größere Produktvielfalt entwickeln und kundenspezifischere Produkte anbieten. Auch werden höhere Serviceleistungen notwendig werden. Die Investitionen in diese notwendigen Entwicklungen liegen jedoch in Deutschland brach und der dafür notwendige Personalaufbau bleibt aus. Grund sind hier nicht nur die hohen Lohnkosten in Deutschland, auch brauchen viele Unternehmen eine standardisierte Massenproduktion, um in wettbewerbsintensiven und margenschwachen Märkten bestehen zu können. Wer als Unternehmen hingegen auf werschöpfungs- und damit auch investitionsintensive Segmente setzt, braucht hierfür einen hohen Personaleinsatz – Deutschland ist durch seine hohen Lohnkosten dabei eher uninteressant als Standort.

Der erforderliche höhere Aufwand für die Sicherung und Organisation von Lieferketten ist durch geopolitische Bedingungen ebenfalls unvermeidbar. Allerdings kann hier die Politik durch vernünftige Rahmenbedingungen durchaus für Erleichterungen sorgen und Überregulierungen vermeiden.

Auch die zusätzlichen Kosten für die zunehmende Digitalisierung und die notwendigen Transformationen, fordern die deutschen Unternehmen. Hier kann auch die Politik durch Bürokratieabbau und Reduzierung der Regulierungsdichte beitragen. Bei der Bewältigung der demografisch bedingten Fachkräfteknappheit braucht es ein Zusammenspiel zwischen Unternehmen und Politik. Gezielte Qualifizierung in den Unternehmen, geeignete Förderprogramme und auch eine aktive Gewinnung ausländischer Fachkräfte müssen hier zusammenspielen. Im Bereich der Dekarbonisierung kann die Politik stark an ihren gesetzten Rahmenbedingungen arbeiten. Denn die Anforderungen an die Unternehmen und die damit verbundenen Kosten werden hierbei maßgeblich von der Politik gesteuert. Durch die aktuellen Bedingungen hat die Regierung den Unternehmen hohe bürokratische und regulatorische Hürden auferlegt durch die bestehenden europäischen und nationalen Regelungen. Unter diesen Rahmenbedingungen ist den Unternehmen eine positive Produktivitätsentwicklung ebenfalls nicht möglich.

Auch die Innovationstätigkeit der Unternehmen kann durch die Politik angekurbelt werden, beispielsweise durch eine fruchtbare Forschungsförderung. Dadurch könnten zumindest diejenigen Unternehmen gestärkt werden, die Innovationspotenzial haben und zur Produktivitätssteigerung beitragen können. Genau diese Gruppe von Unternehmen sieht in der Befragung auch die mangelnde Forschungsförderung auch ein größeres Hemmnis für die Produktivitätssteigerung als andere Unternehmen. Die Fachkräftelücke wirkt sich im Bereich Innovation auch in den Problemen der Unternehmen bei Forschung & Entwicklung aus. Allerdings zeigen sich zusätzlich auch schon Defizite in den vorgelagerten Bereichen der Bildung, insbesondere bei Schülern und Studenten der mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächer. Gleiches gilt für den bestehenden Mangel an Mitarbeitern in Forschung und Entwicklung.

Wirtschaftsexperten sehen viele hausgemachte Probleme

Viele Wirtschaftsexperten prangern an, dass viele der aktuellen Probleme in Deutschland hausgemacht sind. Insbesondere bei Digitalisierung, Bildung und qualifizierter Fachkräftezuwanderung wurde nach Meinung von Peter Tillmann, Professor für Makroökonomie an der Universität Gießen, zu wenig getan in der Vergangenheit. Auch Guido Bünstorf, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Kassel meint, dass Deutschland zu lange auf ein altes Wohlstandsmodell gesetzt habe. Der Standort Deutschland sei nicht zuletzt auch wegen zu hoher Steuern und zu viel Bürokratie für die Unternehmen als Investitionsstandort nicht mehr interessant.

Das demografische Problem ist schon da – und verschärft die Situation

Es zeigt sich in der Studie des IW, dass die Produktivitätshemmnisse in Deutschland auf einer Reihe von Umständen und Rahmenbedingungen beruhen. Um Wohlstand und Ertragskraft in Deutschland auf einem guten Niveau zu halten, ist es allerdings zwingend notwendig, diese Hemmnisse abzubauen. Das demografische Problem der Erwerbstätigkeit kann nur dadurch gelöst werden, dass weniger Erwerbstätige produktiver arbeiten und damit den Mangel kompensieren können.

Um dieses Ziel erreichen zu können, müsste also an vielen Schrauben gedreht werden, die sowohl in der Volkswirtschaft als auch in der Gesellschaft dann wirken können. Die anscheinend ausgeprägte Risikoscheu der Unternehmen, mutig in die Zukunft zu investieren, muss von der Politik adressiert werden. Wirtschaftlich optimierte Rahmenbedingungen werden unerlässlich sein, um den zukünftig notwendigen technischen und organisatorischen Fortschritt zur Produktivitätssteigerung realisieren zu können.

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