Korruption und Orgien beim König von Ithaka


Was in der Antike die Lokalfürsten waren, sind in der heutigen Demokratie die gewählten Volksvertreter. Insofern könnte man Joannis Kassianos, den Ex-Bürgermeister der Insel Ithaka, als Nachfolger des legendären Odysseus bezeichnen. Kassianos sieht das offenbar genauso – und ehrte sein Vorbild mit einem Denkmal.

Odysseus, der antike König von Ithaka, wird in Homers Sagenwelt als strahlender Held gefeiert – und gilt bis heute als solcher. Ganz anders werden die Aktivitäten des Inselbürgermeisters Kassianos bewertet. Der absolutistisch auftretende 76-Jährige hatte am 30. März während einer Stadtratssitzung den Oppositionsführer Alexandros Taflaba mehrfach geohrfeigt. Weitere Gewalttaten des jähzornigen obersten Inselbürgers konnten nur durch beherztes Eingreifen der anderen Stadtverordneten verhindert werden.

Zweierlei Maß
Odysseus wären wohl auch solche Fehltritte verziehen worden. Nicht so Kassianos. Der griechische Innenminister rügte, dass Kassianos als eine Art Teilzeit-Bürgermeister agiere. Der Bauunternehmer hielt sich in seiner Amtszeit nachgewiesenermaßen monatelang in Bukarest auf, wo er seine Firma betreibt. Die Amtsgeschäfte versuchte er derweil über das Internet zu führen.

Schließlich gab es vor Ort genügend Personen seines Vertrauens.


So engagierte Kassianos seine Schwester Niki Kassianou-Panagiotopoulou als offizielle Beraterin. Dabei störte er sich nicht an deren Vorstrafenregister, in dem auch eine Verurteilung wegen „Unterschlagung von Sozialversicherungsgeldern“ auftaucht. Über Bedenken des Stadtrats setzte er sich einfach weg.

Seinen Wählern hatte Kassianos bereits im Vorfeld eine „unbürokratische Amtsführung“ versprochen. Mitten im Wahlkampf, im September 2010, schwadronierte er über hochtrabende Pläne zum wirtschaftlichen Aufbau der Insel Ithaka. Einwände, dass dies mitten in der Finanzkrise nicht möglich sei, ließ er nicht gelten. Sein Argument: „Ich werde eine Ausschreibung machen. Meine Firma wird als günstigste daraus hervorgehen. Wer soll denn nein sagen? Der Bürgermeister? Aber der Bürgermeister bin ja ich selbst!“ So erklärte es Kassianos einem verdutzten Reporter.

Im Frühjahr 2011 ging der Ärger um den neuen Stadtfürsten erst richtig los. In den Kaffeehäusern der Insel kursierte Kassianos Strafregisterauszug, der eine Verwicklung in einen Fall von Kokainhandel im Jahr 1995 offenbarte. Damals war Kassianos´ hübsche Begleiterin, eine Südamerikanerin, als Drogenhändlerin aufgeflogen. Die junge Brasilianerin, auf die Kassianos in einem Hotel wartete, wurde am Athener Flughafen mit am Körper versteckten Drogenkapseln erwischt. Kassianos verbrachte danach einige Zeit in Haft. Die Opposition versuchte, dies für ein Amtsenthebungsverfahren zu verwenden, scheiterte jedoch an formaljuristischen Feinheiten.

Ebenso prallte ein weiterer Skandal an Kassianos ab. Der Wirt Achilleas Kampanas hatte unter Unregelmäßigkeiten bei der Lizenzvergabe und Übervorteilung von Konkurrenten zu leiden. Er schickte seine Anwältin los. Doch statt ihr Gehör zu schenken, drohte der Bürgermeister, sie aus dem Fenster zu werfen. Die Anwältin beschwerte sich bei der Regionalverwaltung, weil sie feststellte, dass Kassianos sich systematisch über die Entscheidungen der kommunalen Behörden hinwegsetzte

Der joviale Inselfürst ging in die Offensive und zeigte seinerseits den Sekretär der Regionalverwaltung des Peloponnes und Westgriechenlands, Emmanuel Angelakas, an. Dieser habe die jahrelangen Skandale seiner Amtsvorgänger nie geahndet, meinte Kassianos – und befand, dass dies eine Begünstigung von Straftaten durch Angelakas darstelle.

Zum Verhängnis wurde dem listigen Bauunternehmer schließlich die Steuerbehörde. Mit dreißig Teilnehmerinnen des „Miss Tourismus“-Wettbewerbs war Kassianos´ Yacht den Steuerfahndern ins Netz gegangen. Das Luxusboot war auf den Namen von Kassianos´ Schwester angemeldet.

Der Bürgermeister, der nach eigenen Angaben 15 Unternehmen besitzt, verwies darauf, dass er mit seiner Aktion für Ithaka werbe und die Insulaner aus der Lethargie wecken wolle. Doch die Steuerprüfer ließen nicht locker. Sie fanden nicht nur fiskalische Verstöße und verhängten Strafgelder. Berichte über eine Steuerhinterziehung in Höhe von neun Millionen Euro machten die Runde. Zudem fiel auf, dass der Bürgermeister eine für Politiker gesetzlich vorgeschriebene Vermögenserklärung verweigerte.

Sturheit bis zum Ende
Kassianos zeigte sich weiterhin uneinsichtig. Also verhängten die Steuerbehörden einen Pfändungsbeschluss gegen den Multimillionär. Der juristisch abgesicherte Pfändungsbefehl ging auch an die Kommune Ithaka und betraf das Bürgermeistergehalt von Kassianos.

Der Inselherrscher war erzürnt. Weil die Stadtkämmerin dem behördlichen Befehl Folge geleistet hatte, degradierte er sie zur Telefonistin im Stadtbauamt. Kurzerhand schnappte er sich dann das Scheckbuch der Gemeinde und schrieb sich die entsprechenden Summen zu.

Es kam, wie es auch in Griechenland irgendwann kommen muss: Die Oppositionspartei SYRIZA brachte den Fall ins Parlament. Die Regierung reagierte mit einem Disziplinarverfahren, welches schließlich zu Kassianos Amtsenthebung führte.

Schleichender Realitätsverlust
Aufgeben möchte der Lokalfürst immer noch nicht. „Ich gehe nirgendwo hin, ich bleibe auf Ithaka, ich bin und bleibe Bürgermeister“, verkündete er im Radio und fragte: „Wer ist der Minister, der mich des Amtes entheben will? Mich hat kein Minister bestellt, die Wähler haben mich gewählt!“

So wütet der Inselfürst weiter – schlimmer, als es sein antikes Vorbild Odysseus wohl jemals getan hätte. Nur in einem Punkt ist Kassianos in der Moderne angekommen: Statt mit Gewalt will er sich mit juristischen Mitteln gegen seine Amtsenthebung wehren

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