Dr. Marc Surminski, Chefredakteur der Zeitschrift für Versicherungswesen, hat zum Anfang des Jahres wieder einen Blick in die Zukunft der Versicherungswirtschaft gewagt. Dabei hat der Branchenkenner unerwartete, aber durchaus plausibel erscheindende Antworten auf die Frage gefunden, worauf sich die Assekuranz und die Vermittler einstellen müssen. Sein nicht ganz ernst gemeinter, gleichwohl bedenkenswerter Ausblick findet sich in voller Länge in Ausgabe 02/2020 der Zeitschrift für Versicherungswesen.
Auch in diesem Jahr haben viele Leser wieder an den Autor dieses Beitrags den Wunsch herangetragen, aus Gründen einer größeren Aktualität nicht nur den traditionellen Jahresrückblick zu veröffentlichen, sondern zusätzlich auch eine knappe Vorschau auf die wichtigsten Ereignisse des neuen Jahres zu geben. Denn nicht wenigen erscheint das für ihre tägliche Arbeit hilfreich.
Diesem Wunsch wird gern nachgekommen, vorsorglich aber darauf hingewiesen, dass die folgende Jahresvorschau möglicherweise in dem einen oder anderen Punkt nicht vollständig mit den Ereignissen des Jahres übereinstimmen wird.
März
Beim Provisionsdeckel blockieren sich CDU und SPD weiter gegenseitig. Um das leidige Thema endgültig vom Tisch zu haben, schlägt die neue SPD-Doppelspitze Norbert Walter-Borjans und Wie heißt sie nochmal? eine Deckel-Urwahl unter den Mitgliedern der SPD vor.
Als sich eine extrem geringe Wahlbeteiligung abzeichnet, wird der Kreis der Wahlberechtigten kurzerhand auf CDU-Mitglieder ausgeweitet. Die sind auch nicht wirklich begeistert. Offenbar interessiert das Thema in Deutschland außer den Vermittlern und dem Finanzministerium tatsächlich niemand. Von den 423 abgegebenen Stimmen sind 289 Enthaltungen.
Die Große Koalition beschließt daraufhin stillschweigend, die Pläne zur Einführung eines Provisionsdeckels gemeinsam mit der Reform der Riester-Rente dahin zu schieben, wo sie bis zur nächsten Bundestagswahl garantiert keiner findet.
April
Es wird 2020 immer schwieriger für die deutschen Versicherer, Auszubildende zu gewinnen. Jetzt versucht man es mit dem Konzept „Reverse Hiring”: Nicht die jungen Leute müssen sich bei den Versicherern bewerben, sondern es geht umgekehrt.
Dazu wählt man das beliebte Format der Castingshow. Jeweils sechs Versicherer treten gegeneinander an und müssen die Zuschauer von ihren Vorzügen überzeugen. In spannenden Spielrunden geht es unter anderem um den Anteil laktosefreier Eissorten in der Kantine, den Purpose-Faktor (welcher Versicherer macht richtig Sinn?) und die Stärke des Flows im Company-Spirit.
Am Schluss jeder Runde müssen Personalvorstände im Reality-Check live vorführen, wie locker sie sind. Mit dem Ablegen der Krawatte ist es da nicht getan. Auch das Wedeln mit Geldscheinen hilft nicht weiter. In der Jury sitzen Dieter Bohlen, Carsten Maschmeyer, Kevin Kühnert und der Youtuber Rezo. Überraschungssieger der ersten Staffel wird die Uelzener Tierversicherung, die mit einem Sabbatical für Auszubildende überzeugt.
Juni
Die Fridays-for-Future-Bewegung wirkt sich zunehmend auch auf die Versicherungswirtschaft aus. Anders als ursprünglich erwartet, wird aber der Kampf um den Klimawandel vor allem im Marketing geführt. Viele Versicherer wollen sich mit neuen Konzepten bei umweltbewussten Kunden profilieren, andere gehen dagegen den umgekehrten Weg.
Einige mittelgroße Autoversicherer stellen ihr Produktangebot in Kfz komplett auf GreenInsurance um und garantieren ihren Kunden, dass SUVs und Sportwagen bei ihnen nicht mehr versichert werden. Das soll für ein gutes Gefühl bei den Neukunden sorgen. Die Basler-Tochter Friday geht noch weiter und bringt einen Tarif für vegane Autofahrer auf den Markt, bei dem Fahrzeuge mit Ledersitzen keine Deckung bekommen.
Am konsequentesten greift das neugegründete Insurtech „NoCar NoInsurance“ das Thema auf. Die radikale Geschäftsidee des digitalen Kfz-Versicherers besteht darin, überhaupt keine Kraftfahrzeuge mehr zu versichern. Das reduziert den ökologischen Fußabdruck am meisten.
Aber es gibt auch eine gegenläufige Bewegung im Kfz-Markt. Einige Versicherungsvereine, die nicht von kritischen Aktionären bedrängt werden, setzen bewusst auf die Zielgruppe der Viel- und Bleifußfahrer, die sich insgesamt im Markt zunehmend diskriminiert sehen. So wird in KH ein 15-Prozent-Bonus für Klimawandel-Leugner eingeführt, egal, welches Auto sie fahren. Und ein norddeutscher Spezialversicherer bietet einen neuartigen Seniorentarif namens „Umweltsau Mobil“ an.
August
Für etliche Versicherer wird 2020 zu einem ganz besonderen Jahr, denn bei ihnen kommt das Personalkarussell weitgehend zum Stehen. Bei der Allianz ist das Teil der neuen Nachhaltigkeits-Strategie: kein unnötiger Verbrauch von Ressourcen durch sinnlose Bewegung. So gibt es im Vorstand der SE und der deutschen Unternehmen keine einzige Umbesetzung.
Leerlauf lässt sich aber trotzdem nicht ganz vermeiden. Bei Munich Re und Ergo herrscht eine geradezu gespenstische Ruhe auf den Vorstandsetagen. Insider sind uneins, ob das auf eine neue Form der Fokussierung oder auf die Überwältigung durch die gewaltigen Aufgaben zurückzuführen ist. Und bei der Zurich Deutschland fragen sich viele Marktbeobachter, ob es das Unternehmen überhaupt noch gibt, weil zuletzt keine Vorstände ausgetauscht wurden.
Oktober
Besondere Jubiläen stehen 2020 in der deutschen Versicherungswirtschaft an. Die Gothaer wird 2000 Jahre alt.
Forscher haben bei Grabungen im Gebiet der ehemaligen römischen Siedlung Colonia Claudia Ara Agrippinensium, dem heutigen Köln, im zunächst gefeierten 200-jährigen Jubiläumsjahr der Gothaer Feuerversicherungsbank römische Münzen aus der Zeit nach Christi Geburt gefunden. Sie zeigen auf der Vorderseite Kaiser Augustus und auf der Rückseite Werner Görg. Damit muss die Geschichte des Traditionsversicherers neu geschrieben werden.
Die deutschen Cyberversicherer freuen sich dagegen über ein eher kleineres Jubiläum: Zum 7,5ten Mal steht bei ihnen der Durchbruch in den Massenmarkt unmittelbar bevor. Das Jahr der Trendwende in der Entwicklung der Vollversichertenzahlen wird vom PKV-Verband zum fünften Mal begangen. Immerhin 35 Jahre „legaler Betrug“ kann der Bund der Versicherten feiern.
Dezember
Die deutschen Vermittler setzen angesichts der zunehmenden Gängelung ihres Berufsstandes durch die Politik nun auf Selbstregulierung. BVK-Präsident Heinz schlägt die Schaffung eines „Bundesweiten Netzwerkes für die Selbstjustiz der Vermittler“ (BNSV) vor. Bei Kundenbeschwerden sollen dabei kurzfristig Vermittlerkomitees zusammentreten, die über geeignete standrechtliche Maßnahmen entscheiden. Damit könnte auch die Konsolidierung des Berufsstandes weiter vorangetrieben werden.
Bundesweit werden im Dezember probeweise mehrere Schauprozesse geführt, um dem Markt ein Bild von den Möglichkeiten dieses Instruments zu geben. Neben einigen Freisprüchen aus Mangel an Beweisen gibt es auch drastische Strafen. So muss ein heftig umdeckender Makler zurück in die Ausschließlichkeit der Axa; ein Münchener Tarifwechselberater wird in eine PKV-freie Zone nach Anklam in Vorpommern verbannt.
Ein Rechtsgutachten von Professor Schwintowski hatte zuvor von der Einführung der Prügelstrafe abgeraten. Ansonsten klingt das Jahr ruhig aus.