Aktuell sind die Führungskräfte vieler Unternehmen mit zahlreichen neuen Herausforderungen konfrontiert, mit denen sie noch keine Erfahrung haben – branchenübergreifend. Entsprechend verunsichert sind sie oft.
Die Stimmung in der Wirtschaft hellt sich nach dem Tiefpunkt im April und Mai weiter auf. Trotzdem denkt zurzeit so manche Führungskraft insgeheim: „Wäre ich doch in einer anderen Branche tätig. Zum Beispiel in der Pharma- oder Lebensmittelindustrie. Dann wäre mein Job leichter.“ Denn während in manchen Branchen viele Unternehmen aufgrund der Covid-19-Pandemie noch darben, brummt in anderen das Business.
Die Rahmenbedingungen sind sehr verschieden
Entsprechend unterschiedlich sind zurzeit die Rahmenbedingungen für Führung. Während in manchen Branchen das Gros der Mitarbeiter noch in Kurzarbeit ist, fragen sich in anderen die Unternehmen: Wie können wir unsere Mitarbeiter, die seit Monaten am Anschlag arbeiten, weiter motivieren, die gewünschte Mehrarbeit zu leisten?
Doch ungeachtet dessen, ob ihr Arbeitgeber eher zu den Gewinnern oder Verlierern der Pandemie zählt, sehen sich die Führungskräfte in den Unternehmen meist mit einer Reihe neuer Herausforderungen konfrontiert – Herausforderungen, die
- teils neu für sie sind, weil sie in ihrem Berufsleben erstmals vor ihnen stehen, und
- teils neu, weil sich die Rahmenbedingungen des Handels in ihren Unternehmen fundamental gewandelt haben.
Entsprechend verunsichert sind zurzeit die Führungskräfte vieler Unternehmen – branchenübergreifend.
Die Unsicherheit ist weiterhin groß
Zu den Herausforderungen, die speziell für jüngere Führungskräfte neu sind, weil sie diese noch nie erlebt haben, zählt insbesondere bei den tendenziellen Verlierern der Pandemie: Die Führungskräfte sind, nachdem die Wirtschaft über ein Jahrzehnt boomte, erstmals mit einer Situation konfrontiert, in der sie selbst nicht wissen, wie es weitergeht. Ihnen stellen sich Fragen wie:
- Wird unser Unternehmen die Krise überleben?
- Wird es seine Strategie ändern und umstrukturieren müssen?
- Wird es eventuell sogar Mitarbeiter entlassen müssen und wenn ja, wie viele?
Fragen, die nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Mitarbeiter sich stellen und auf die sie oft keine Antwort haben. Trotzdem werden sie täglich mit entsprechenden Rück- und Nachfragen seitens ihrer Mitarbeiter konfrontiert, und müssen sie ihnen als Führungskräfte den gewünschten Halt und die nötige Orientierung geben und dabei Zuversicht ausstrahlen – auch damit deren Arbeitsmotivation und Identifikation mit dem Unternehmen gewahrt bleibt.
Die Führungskräfte stehen im Brennpunkt
Dies ist eine herausfordernde Aufgabe, speziell dann, wenn aus Sicht der Mitarbeiter im Personalbereich mit zweierlei Maß gemessen wird. Dieses Gefühl haben zurzeit die Mitarbeiter mancher Unternehmen. So existiert in nicht wenigen Betrieben aktuell eine Spaltung in der Belegschaft, weil einige Berufs- und Funktionsgruppen bereits wieder „normal“ arbeiten dürfen, während andere noch in Kurzarbeit sind. Das verursacht nicht selten böses Blut, denn die Kurzarbeit ist mit teils massiven Einkommenseinbußen verbunden – speziell dann, wenn auch Zulagen entfallen. Hieraus erwachsen bei Beziehern eher niedriger und mittlerer Einkommen rasch finanzielle Probleme. Mit entsprechend vielen drängenden diesbezüglichen Nachfragen konfrontieren sie ihre Vorgesetzten, die deren Nöte in der Regel kennen und verstehen.
Das bereitet so mancher Führungskraft aktuell unruhige Nächte, zumal sie sich insgeheim fragt: „Was passiert, wenn die corona-bedingten staatlichen Subventionen entfallen und kein Kurzarbeiter-Geld mehr gezahlt wird? Muss auch ich dann Kündigungs- und Trennungsgespräche führen?“ Eine Aufgabe, vor der es nicht nur jungen Führungskräften, die solche Gespräche noch nie geführt haben, graut, denn: In der Regel handelt es sich bei den Gekündigten um Personen, mit denen sie jahrelang vertrauensvoll zusammengearbeitet haben und zu denen nicht selten freundschaftliche Bande bestehen.
Führungskräfte fühlen sich oft alleine gelassen
In dieser Phase der allgemeinen Verunsicherung fühlen sich aktuell viele Führungskräfte – speziell auf der operativen Ebene – weitgehend allein gelassen. Deshalb bröckelt auch bei ihnen zum Teil die Identifikation mit ihrem Arbeitgeber. Eine solche Entwicklung gilt es zu vermeiden, weil sie langfristig dem Unternehmen schadet – auch weil sich hierdurch die Gefahr erhöht, dass Leistungsträger abwandern.
Doch nicht nur bei den Verlierern der Krise sind die Führungskräfte oft verunsichert, auch bei vielen Gewinnern. Sie bangen zwar nicht um ihren Job, sie sehen sich aber mit zahlreichen neuen Herausforderungen konfrontiert. So waren zum Beispiel viele von ihnen nach dem Lockdown über Nacht mit der Situation konfrontiert, dass sie sozusagen „virtuelle Teams“ führen mussten, weil plötzlich das Gros ihrer Mitarbeiter im Homeoffice war. Einen entsprechend improvisierten Charakter hatte die Kommunikation und Zusammenarbeit oft in dieser Zeit. Hierfür herrschte allgemein Verständnis, weil dies als ein krisenbedingtes Provisorium angesehen wurde. Entsprechendes gilt für Defizite im Führungsbereich, die sich oft daraus ergaben, dass die Führungskräfte erstmals Mitarbeiter aus der Ferne führen und mit ihnen online kommunizieren mussten.
Führung muss neuen „Regelbetrieb“ etablieren
Diese Situation hat sich zwischenzeitlich geändert. Aktuell stehen die Führungskräfte in vielen Betrieben vor der Herausforderung, einen Regelbetrieb unter Corona-Bedingungen zu organisieren. Wie dieser aussehen kann, hierfür gibt es keine Blaupausen und Patentrezepte. Nicht nur weil die Arbeitsanforderungen in den verschiedenen Bereichen der Unternehmen, sondern auch die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter sehr unterschiedlich sind. Während manche von ihnen am liebsten fast nur noch im Homeoffice arbeiten würden, wollen andere wieder „fulltime“ im Büro arbeiten – sofort, aus den unterschiedlichsten Motiven. Auch für diesen Interessenunterschied, aus dem häufig Konflikte resultieren, gibt es keine Patentlösung – nicht nur, weil die Arbeitsanforderungen sehr unterschiedlich sind, sondern auch weil manche Mitarbeiter, um die geforderte Leistung zu erbringen, das Feedback ihrer Kollegen und eine gewisse soziale Kontrolle brauchen.
Führungskräfte stehen vor einem Berg von Fragen
Dessen ungeachtet müssen Führungskräfte, wenn sich die Führungskonstellation ändert, beispielsweise weil Mitarbeiter vermehrt im Homeoffice arbeiten, ihr Führungsverhalten überdenken und neu justieren. Sie müssen sich unter anderem fragen:
- Wie erfolgt künftig die Kommunikation und wechselseitige Information?
- Welche Rolle spielen hierbei die digitalen Medien?
- Wie erfolgt die Delegation von Aufgaben und Kontrolle der Leistung?
- Wie nehme ich bei Homeoffice-Mitarbeitern bzw. in einem teilweise virtuellen Team meine Führungsfunktion wahr?
- Wie gewähre ich als Führungskraft die nötige Unterstützung?
- Wie halte ich die Arbeitsmoral und -motivation hoch und bewahre ich den Teamspirit?
- Wie wird der Wegfall der sozialen Kontrolle kompensiert?
Das heißt, die Führungskräfte müssen ihr Führungsverhalten nicht nur situationsabhängig, sondern auch bezogen ihr jeweiliges Gegenüber neu justieren, denn: Nicht jeder Mitarbeiter verfügt über die für ein weitgehend eigenverantwortliches Arbeiten im Homeoffice erforderliche Kompetenz unter anderem zur Selbstführung und -organisation. Doch wie vermittle ich dies als Führungskraft einem Mitarbeiter, ohne einen Konflikt heraufzubeschwören? Die Führungskräfte müssen sich zudem mit ihren Teams auf neue Regeln für die Zusammenarbeit sowie Kommunikation und wechselseitige Information verständigen. Auch hierbei benötigen sie Unterstützung.
Das registrierte ich unter anderem bei den Online-Meetings, an denen ich in den letzten Monaten als Gast oder Berater teilnahm, immer wieder. Bei ihnen fiel mir auf:
- Die Führungskräfte loggen sich oft verspätet ein,
- sie tragen, wenn sie im Homeoffice arbeiten, häufig eine sehr legere Freizeitkleidung,
- sie haben für das Meeting keine Agenda erstellt,
- sie hängen nicht selten schlaff auf ihrem Stuhl und
- im Hintergrund sieht man bei ihnen zum Beispiel ein Strandbild mit Palmen.
Dabei wollten die Führungskräfte ihren Mitarbeitern in den Online-Meetings eigentlich stets auch die Botschaft vermitteln: „Wir arbeiten nun zwar vermehrt im Homeoffice, doch ansonsten gilt: Business as usual.“ Von ihrem persönlichen Auftritt ging jedoch oft die gegenteilige Botschaft aus.
Führungskräfte bei der Problemlösung unterstützen
Solche Verhaltensunsicherheiten spüren auch die Führungskräfte. Deshalb wünschen sie sich eine Unterstützung. Entsprechend wichtig ist es, in den Unternehmen Coachings- und Trainingsformate zu etablieren, die auf die brandaktuellen und sehr unterschiedlichen Herausforderungen eingehen und die Führungskräfte bei der Lösungsfindung unterstützen. Das erfordert außer bei den Führungskräften, auch bei ihren Unterstützern – unabhängig davon, ob sie Mitarbeiter der HR-Bereiche oder externe Berater sind – die Kompetenz, die bestehende Unsicherheit wahrzunehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen; außerdem die Bereitschaft anzuerkennen, dass sie nicht für alles eine Lösung in der Tasche haben. Vielmehr gilt es diese oft (gemeinsam) in einem explorativen Verfahren zu entwickeln. Das erfordert neben der Bereitschaft mit Übergangslösungen und Provisorien zu leben, auch oft Geduld – eine Eigenschaft, die allen Beteiligten, gerade in einer Situation, in der die Nerven ohnehin angespannt sind, leider oft fehlt. Auch deshalb ist ein Coaching, in dem unter anderem die Ist-Situation reflektiert wird, aktuell oft sinnvoll.
Hans-Peter Machwürth
Zum Autor: Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer der international agierenden Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (D), für die weltweit circa 450 Berater, Trainer, Coaches sowie Projektmanager arbeiten (www.mticonsultancy.com).