In der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt stehen Führungskräfte zunehmend vor der Herausforderung, komplexe Situation zu meistern. Diese Kompetenz kann man Führungsnachwuchskräften mit Business-Simulationen vermitteln. Das zeigt dieser Projektbericht.
Unternehmen müssen ihrem Führungsnachwuchs die Kompetenz vermitteln,
- Veränderungen im Unternehmen und dessen Umfeld, aus denen neue Herausforderungen erwachsen könnten, früh zu erkennen,
- neue Herausforderungen beherzt anzugehen und
- die ihnen anvertrauten Bereiche in einem sich verändernden Umfeld mit Erfolg zu führen.
Dabei kämpfen Unternehmen oft mit dem Problem: In Seminaren können sie ihre Führungsnachwuchskräfte zwar für die Komplexität des Umfelds, in dem sie agieren, und die Vielschichtigkeit ihrer Führungsaufgabe sensibilisieren; erfahrbar werden diese Komplexität und Vielschichtigkeit in klassischen Seminaren aber nicht. Deshalb entsteht bei den jungen Führungskräften nicht die Verhaltenssicherheit, die sie bei ihrer (künftigen) Führungsarbeit brauchen.
Die Komplexität erfahrbar machen
Deshalb entschied im Herbst 2021 ein weltweit agierendes Technologieunternehmen, das das Machwürth Team International (MTI) bei der Personalentwicklung unterstützt, im Rahmen seiner Führungskräfteentwicklung eine Business-Simulation durchzuführen, bei der die Teilnehmer
- die Komplexität des Umfelds, in dem sich Führung vollzieht, sozusagen „live“ erfahren,
- verschiedene Problemlöse- und Managementstrategien ausprobieren,
- ihr Handeln gemeinsam reflektieren und
- alternative Vorgehensweisen identifizieren und ausprobieren, so dass sie letztlich ein größeres Handlungsrepertoire haben und ihre Verhaltenssicherheit steigt.
Zudem sollten die Führungsnachwuchskräfte durch ihr Probehandeln in der Business-Simulation ein Gespür dafür entwickeln, wo bei ihnen und im Team noch ein Entwicklungsbedarf besteht, wenn sie die gewünschte Wirkung als Führungskraft entfalten möchten.
In einem sich wandelnden Umfeld zielsicher agieren
Zunächst modifizierten die Personalentwickler in dem Unternehmen mit den Projektmanagern bei MTI ein bestehendes Business-Simulationsprogramm so, dass dieses die Herausforderungen des Unternehmens widergespiegelt. Über Vertriebsentwicklungen, Produktions- und Personaldaten bis hin zu sogenannten „schwarzen Schwänen“ – als unerwartet auftretenden Ereignissen wie die Corona-Pandemie nebst ihren wirtschaftlichen Folgen – wurde das Programm den Spezifika des Unternehmens und seines Marktes so angepasst, dass in der Simulation mit realen Daten gearbeitet werden konnte und dieses mehrere Wirtschaftsperioden abbildete.
Als die zentrale Herausforderung wurde definiert: Das Unternehmen steht unter einem hohen Innovationsdruck, weil sich sein Markt rasch wandelt und der technische Fortschritt immer neue Problemlösungen ermöglicht. Deshalb haben die Strategien und Business-Pläne des Unternehmens eine immer kürzere Haltbarkeit. Also müssen auch die Bereiche ihre Strategien sowie Prozesse regelmäßig überdenken und neu justieren. Daraus erwachsen unter anderem folgende Herausforderungen an die Führungskräfte:
- Sie müssen Veränderungsbedarfe früh erkennen.
- Sie müssen außer ihren Mitarbeitern oft auch die Bereiche, mit denen sie kooperieren, und ihre Vorgesetzten als Mitstreiter dafür gewinnen, gewisse Weichen neu zu stellen. Und:
- Die Führungskräfte müssen ihr Handeln koordinieren und als Team agieren.
Die Komplexität managen lernen
Nach Abschluss der vorbereitenden Arbeiten fand im Dezember 2021 ein dreitägiger Workshop mit zwölf jungen Führungskräften des Unternehmens statt. Er startete an einem Dienstagnachmittag. Die Teilnehmer reflektierten zunächst gemeinsam:
- Welche Funktion hat Führung?
- Was sind die Voraussetzungen, um in einer von Veränderung geprägten Zeit als Organisation auf Dauer Spitzenleistungen zu erbringen? Und:
- Welche Anforderungen resultieren hieraus an Führung?
In zwei 6er-Teams erstellten die Teilnehmer jeweils eine Collage, die diese Zusammenhänge verdeutlichte. Diese wurden im Plenum debattiert. Danach stellten die beiden Machwürth-Berater, die den Workshop leiteten, den Teilnehmern das Simulationsprogramm vor. Außerdem erläuterten sie ihnen das inhaltliche Setting. Danach erhielten die Teilnehmer ihre Rollenbeschreibungen in der Business-Simulation, so dass sie sich am Abend bereits überlegen konnten:
- Wie nehme ich diese Rolle adäquat wahr und
- welches Verhalten sollte ich als Führungskraft zeigen?
Bei der Rollenverteilung wurde darauf geachtet, dass die jungen Führungskräfte in ihrer Fachdisziplin fremden Bereichen zum Einsatz kamen. Aus Führungskräften in der Produktion wurden also zum Beispiel Einkaufsleiter und aus HR-Spezialisten Führungskräfte im Bereich Finanzen. So sollte vermieden werden, dass die Teilnehmer sich beim Bewältigen der Herausforderungen in der Simulation primär auf ihr Fachwissen stützen. Denn diese sollte nicht ihre fachliche Kompetenz vertiefen; vielmehr sollten sie erfahren, wie sie in einem komplexen, von zahlreichen Interdependenzen und Veränderungen geprägten Umfeld als Führungskräfte und -team handlungsfähig bleiben.
Am Mittwochmorgen begann die eigentliche Business-Simulation. Sie bestand aus fünf 90-minütigen Simulationsphasen, auf die jeweils Module folgten, in denen die Teilnehmer unter Anleitung ihr Vorgehen und Verhalten in der Simulation reflektierten beziehungsweise sich inhaltlich mit einem für das Führen von Bereichen relevanten Thema befassten. Dabei war in den Simulationsphasen stets eine der beiden Teilnehmergruppen als Managementteam aktiv; die zweite Gruppe beobachtete sie hierbei, um ihr anschließend Feedback zu geben. In der nächsten Phase erfolgte ein Rollentausch: Nun setzte die zweite Gruppe die Simulation fort, während die erste sie hierbei beobachtete.
Die Teilnehmer sind mal Akteure, mal Beobachter
In der ersten Phase der Simulation lautete das inhaltliche Setting: Das Unternehmen läuft rund und sein Geschäft ist stabil. Erste schwache Zeichen deuten aber darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit wandeln. Zentrale Fragen, auf die die Führungskräfte in dieser Phase eine Antwort finden sollten, waren:
- Wie verhalte ich mich als Führungskraft (beziehungsweise Führungsmannschaft) in einer solchen Situation? Und:
- Wie erkenne ich frühzeitig Veränderungen, aus denen sich neue Chancen oder Risiken ergeben könnten?
Die Mitglieder der zweiten Gruppe beobachten die Mitglieder der ersten bei der Simulation. Danach wurde deren Vorgehen im Plenum reflektiert, bevor schließlich die Machwürth-Berater einen Impulsvortrag zum Thema „Veränderungen früh erkennen“ hielten, in dem sie den Teilnehmern nochmals verdeutlichten:
- Welche Instrumente gibt es zum Erkennen von Veränderungen?
- Auf welchen Ebenen können sie auftreten?
- Wie kann man die registrierten Veränderungen bezüglich ihrer Relevanz für das Unternehmen bewerten? Und:
- Welche Reaktionen auf potenziell relevante Veränderungen sind möglich/angebracht?
Am Nachmittag folgte die zweite Simulationsrunde. Nun war die zweite Teilnehmergruppe aktiv und die erste beobachtete sie. Das Setting lautete jetzt: Das Geschäft des Unternehmens ist weiterhin stabil, doch die Signale, dass sich die Rahmenbedingungen des Handelns ändern, verstärken sich. Die Führungskräfte standen in der Business-Simulation nun vor der Herausforderung, aus den Umfeldsignalen konkrete Infos abzuleiten, ob eventuell im eigenen Bereich oder in der Organisation gewisse Weichen neu gestellt werden müssen; außerdem das Gespräch mit anderen Führungskräften darüber zu suchen, ob diese in ihrem Bereich ähnliche Signale registrieren, um anschließend im Führungsteam einen Dialog darüber zu starten, welche Maßnahmen eventuell ergriffen werden sollten. Nach dieser Simulationsphase folgte erneut eine Reflexionsrunde im Plenum, in der die Teilnehmer auch ihre Kooperation und Interaktion reflektierten. Danach folgte ein weiterer Input durch die Machwürth-Berater – dieses Mal zum Thema, wie Informationen über sich anbahnende Veränderungen gesammelt, sortiert, strukturiert und bewertet werden können, um den Changebedarf zu identifizieren.
Der Entscheidungs- und Handlungsdruck steigen
Nach diesem Schema verliefen auch die beiden Simulationsphasen am nächsten Tag. Dabei wurden der Entscheidungs- und Handlungsbedarf und -druck stets größer – zum Beispiel weil wichtige Kennzahlen wie der Umsatz und Auftragsbestand plötzliche negative Vorzeichen aufwiesen oder Mitbewerber neue, starke Konkurrenzprodukte auf den Markt brachten – so dass schließlich in der vierten Phase der Simulation für (fast) alle Mitglieder der fiktiven Organisation offensichtlich war:
- „Wenn wir uns in Phase 3 nicht auf ein verändertes Vorgehen committet und erste Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hätten, wären wir in eine Krise geschlittert“ und
- „Wenn wir jetzt die Weichen nicht neu stellen, erreichen wir als Organisation unsere mittel- und langfristigen Ziele nicht.“
Beim Bewältigen der hiermit verbundenen Herausforderungen in der Business-Simulation konnten die Führungskräfte bei Bedarf eine „Consulting-Karte“ zücken und einen Machwürth-Berater kontaktieren. Dieser gab ihnen jedoch nur die konkret nachgefragten Infos und wies sie auf mögliche alternative Interventionen hin. Danach mussten die Führungskräfte selbst entscheiden, ob diese zielführend sind. Die Berater hielten zudem bei signifikanten Ereignissen, sei auf der Prozessebene oder der Ebene der Kooperation, zuweilen die Simulation mittels eines „Time-outs“ an, um mit den Teilnehmern das gerade Geschehene zu reflektieren und die Lernprozesse zu sichern.
Das Erreichte sichern und ausbauen
In der fünften und letzten Simulationsphase am Freitagvormittag ging es darum, zu überprüfen, ob die ergriffenen Changemaßnahmen die gewünschte Wirkung zeigen; außerdem, wenn ja, deren Nachhaltigkeit zu sichern und dafür zu sorgen, dass die neu gestalteten Prozesse, Abläufe und Strukturen die nötige Stabilität aufweisen. Hierauf folgte wiederum eine gemeinsame Reflexion der Simulation im Plenum, bevor die Machwürth-Berater erneut einen Input gaben, wie Veränderungsprozesse gesteuert werden können – auf der personalen und organisationalen Ebene. Dabei bezogen sie sich regelmäßig auf das von den Teilnehmern in der Simulation Erlebte – auch um bei ihnen die für den Transfer wichtigen Erinnerungsanker zu schaffen. In einer ausführlichen Abschussrunde trugen die Teilnehmer dann nochmals zusammen, was für sie die wichtigsten Erkenntnisse der letzten Tage waren und was sie von dem Gelernten in ihren Arbeitsalltag übertragen möchten. Danach war der Workshop beendet.
Durch die praxisnahe Business-Simulation gelang es dem Unternehmen, die Sensibilität seiner jungen Führungskräfte für die Komplexität ihrer Führungsaufgabe und die zahlreichen Interdependenzen, die es hierbei zu berücksichtigen gilt, zu erhöhen. Außerdem stieg durch das gezielte Ausprobieren verschiedener Management-, Verhaltens- und Kooperationsstrategien ihre Handlungskompetenz in einem von Veränderung geprägten Umfeld. Davon profitierte das Technologieunternehmen unmittelbar, als sich nach Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 nicht nur die Beschaffungsprobleme verschärften. Deshalb entschied es: Die Business-Simulation soll fortan ein fester Bestandteil unserer Führungskräfteentwicklung sein – und zwar weltweit.
Hans-Peter Machwürth
Zum Autor: Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des international agierenden Trainings- und Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (www.mticonsultancy.com).