Großbritanniens Wirtschaft erholt sich – warum das gut für Deutschland ist

Die britische Wirtschaft verzeichnet im ersten Quartal 2024 überraschenderweise ein leichtes Wachstum. Das ist eine gute Nachricht auch für Deutschland und Europa.

Seitdem die Briten im Juni 2016 für den Austritt ihres Vereinigten Königreichs aus der EU votierten, scheint die britische Wirtschaft sich in einem Zustand andauernder Agonie zu befinden. Politische und wirtschaftliche Instabilität sind seitdem gängige Begleiter des einst mächtigen Wirtschaftsraums. Entgegen aller Erwartungen kann die britische Wirtschaft aber seit Januar 2024 zulegen, was nicht nur für das Königreich, sondern auch für die EU und insbesondere Deutschland eine gute Nachricht sein dürfte.

Überraschendes Wachstum in Zeiten dauernder Unsicherheit

Großbritannien macht in vielerlei Hinsicht eine besorgniserregende Figur. Das Gesundheitssystem weist katastrophale Zustände auf. Die Inflation erreichte ungeahnte Ausmaße und bewirkte horrende Energiekosten, die viele Haushalte bis heute nicht bewältigen können und es auch in absehbarer Zukunft nicht werden. Die illegale Migration konnte mit dem rigorosen Kurs des amtierenden Premierministers Rishi Sunak eingedämmt werden, doch riskiert er mit Programmen wie der Abschiebung illegal eingereister Flüchtlinge nach Ruanda politische und soziale Verwerfungen.

Umso erstaunlicher ist, dass Großbritanniens Wirtschaft in diesen Zeiten ein leichtes Wachstum vorweisen kann, im Januar legte das BIP um 0,2 Prozent zu und für das Gesamtjahr wird ein Wachstum von 0,8 Prozent prognostiziert. Die Löhne stiegen im Januar 2024 schneller als die Verbraucherpreise und lagen um 1,8 Prozent höher als im selben Zeitraum des Vorjahres. Auch von den Steuersenkungen, welche im November 2023 in Kraft gesetzt wurden, konnten einige Haushalte profitieren. Der private Sektor habe sich, so Premierminister Sunak, zudem erfreulicherweise erholen können. Ebenso scheinen sich die Investitionen zu stabilisieren, ein Umstand, der vor allem auf erhöhte Verteidigungs- und öffentliche Ausgaben zurückzuführen ist, den der Premierminister aber auch mit seinen Steuersenkungen erklärt.

Diese Zahlen sollten aber nicht missverstanden werden: Großbritannien zählt neben Deutschland zu den Wirtschaftsmächten, deren Wirtschaftskraft allenfalls als fragil bezeichnet werden kann.

Zweites Halbjahr 2023: Großbritannien in der Rezession

Kürzlich konnten aktualisierte Daten aufweisen, dass sich Großbritanniens Wirtschaft Ende 2023 in einer Rezession befand. So schrumpfte die Wirtschaft des Königreichs im dritten und vierten Quartal um 0,1 Prozent beziehungsweise um 0,3 Prozent. Manchen Experten zufolge könnte die Schrumpfung bis zu 0,7 Prozent betragen haben, wenn man das starke Bevölkerungswachstum herausrechnet.

Die Faktoren für den Niedergang der britischen Wirtschaft sind vielfältig. Die Finanzkrise 2008, ein Mangel an privaten Investitionen nach dem Brexit und die Handelsbeschränkungen zwischen dem Königreich und der EU seit 2021 tragen maßgeblich zum Wirtschaftsabschwung bei. Durch die höheren Preise von Energie und Rohstoffen müssen zudem die britischen Güter teurer ins Ausland verkauft werden als bisher — ein simpler, aber fataler Vorgang, der letztes Jahr schließlich zu einer Minderung der Exporte um 12,4 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 führte.

Großbritannien als Anker in einem starken Europa

Die zuletzt positiven Zahlen lassen aufhorchen. Denn ein Aufschwung der britischen Wirtschaft würde nicht nur für das Königreich, sondern auch für Europa und insbesondere Deutschland eine große Entlastung darstellen. Das Vereinigte Königreich hat trotz aller Entbehrungen der letzten Jahre immer noch einige Standortvorteile, die es zu einem wertvollen Partner für die Bundesrepublik machen. Dazu gehören eine ausgezeichnete geografische Lage, eine gut gebildete Bevölkerung, eine starke Industrie und ein riesiger militärischer Komplex. Folgende zwei Punkte bezeugen die Relevanz Großbritanniens für die Bundesrepublik Deutschland:

1. Deutschland ist Großbritanniens zweitwichtigster Handelspartner

In erster Linie wäre eine Erholung der britischen Wirtschaft für Deutschland von Vorteil, weil der Handel beider Nationen trotz der krisengeplagten Zeit ein stabiles Wachstum verzeichnen konnte. So erörtert das britische Department for Business & Trade:

„Der gesamte Waren- und Dienstleistungshandel (Exporte plus Importe) zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland belief sich in den vier Quartalen bis zum Ende des dritten Quartals 2023 auf 147,7 Milliarden Pfund, was einem Anstieg von 11,6 Prozent bzw. 15,4 Milliarden Pfund in aktuellen Preisen im Vorjahresvergleich entspricht.“

Während die britischen Exporte mit rund 60,4 Milliarden Pfund ein Wachstum von über acht Prozent markierten, betrug der Wert deutscher Exporte nach Britannien 87,3 Milliarden Pfund, was einem Anstieg von 14 Prozent seit 2022 entspricht. Deutschland ist der zweitwichtigste Handelspartner des Königreichs und macht etwa 8,3 Prozent von dessen gesamten Handelsvolumen aus. Während die Bundesrepublik vorrangig Fahrzeuge in das Königreich exportiert, kommen von dort in erster Linie Datenverarbeitungsgeräte nach Deutschland.

2. Britannien ist die militärische Macht, die Europa zur Souveränität braucht

Das Britische Heer stellt eine der stärksten Armeen weltweit dar. Zwar unterliegt es zwar in der allgemeinen Truppengröße schon bald der polnischen Armee, kann aber mit einem exzellenten Fundus an Material und Erfahrungen aufwarten. Mit zwei Flugzeugträgern, 25 Armeebasen weltweit, 663 Flugzeugen, 227 Panzern und sechs Satelliten im Orbit erreicht die British Army Höchstwerte unter seinen europäischen Nachbarn. Mit einer Flotte von vier atombetriebenen U-Booten, die jeweils vier Trident Interkontinentalraketen transportieren und abfeuern können, verfügt das Königreich über militärische Mittel, die für die Bundesrepublik noch in weiter Ferne liegen.

„Wir haben die Kurve gekriegt“

Eine Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen und ein wirtschaftlicher Aufschwung des Königreichs wäre ein großer Gewinn für die Bundesrepublik Deutschland und Europa. Auf dem Weg zur wirtschaftlichen Subsistenz und militärischen Stärke Europas ist ein Ineinandergreifen großer europäischer Staaten unausweichlich. Um nicht mehr von fremden Mächten wie den USA, Russland oder China abhängig zu sein, bedarf es einer permanenten strukturierten Zusammenarbeit, die zwischen einem prosperierenden Königreich und der Bundesrepublik zu mehr Sicherheit und Autonomie führen könnte. So brachte Friedrich Merz (CDU) kürzlich die Etablierung eines Verteidigungsschirms der Länder Polen, Deutschland, Frankreich und Großbritannien ins Spiel, der Europa mehr geostrategisches Gewicht verleihen könnte.

„Wir haben nach den Schocks der letzten Jahre die Kurve gekriegt“, gab sich Rishi Sunak bei einem Interview mit BBC zuversichtlich. Es ist aber alles andere als sicher, ob dieser Aufschwung unter der konservativen Regierung, die nun schon mehr als 13 Jahre an der Macht ist, wirklich eingeleitet werden kann. Auch stellt sich die Frage, ob Deutschland weiterhin Exporte im großen Maßstab an das Vereinigte Königreich liefern wird, denn diese bestanden vorrangig aus klassischen Verbrennerfahrzeugen, während Chinas E-Auto-Offensive sich zuletzt merklich auf Europas Automarkt bemerkbar machte.

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