Der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar
Die Zinsrallye der Notenbanken scheint angesichts des anhaltenden Inflationsdrucks weiter zu gehen. Erst letzte Woche erhöhte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins für den Euroraum um 75 Basispunkte auf 2,0 Prozent und kündigte weitere Erhöhungen für Dezember an. Daten aus den USA deuten jedoch darauf hin, dass sich sowohl das Tempo als auch der Umfang derZinserhöhungen der amerikanischen Notenbank (Fed) schon bald verringern könnten. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars mehr über die Hintergründe dieser Einschätzung.
Gibt die Fed weiter Gas?
Futures bilden in der Regel Zukunftserwartungen ab. Dies sind Terminkontrakte auf Aktien, Rohstoffe oder andere Assets. Derartige Futures existieren auch für den Leitzins der Fed, woraus sich Eintrittswahrscheinlichkeiten für bestimmte Szenarien errechnen lassen. Die Derivatebörse CME Group hat das „FedWatch Tool“ ins Leben gerufen, welches detailliert aufzeigt, was Finanzmarktteilnehmer mit Hinblick auf die zukünftige Entwicklung des Leitzinses der Fed erwarten. Die Daten der Handelsbörse deuten darauf hin, dass schon im Dezember die Fed den Zinskorridor mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 50 Prozent um „nur“ 50 Basispunkte anheben wird (Vgl. Abbildung 1). Das entspricht einer Verringerung von 25 Basispunkten gegenüber vorherigen Zinsschritten. In März nächsten Jahres könnte es sogar zu einer Aussetzung der Leitzinserhöhungen kommen. Zudem wird erwartet, dass der Zinskorridor den Bereich von 5 bis 5,25 Prozent nicht übersteigt und ab Mai stagniert oder leicht abflacht. Doch worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen? Insbesondere mit Hinblick auf die Tatsache, dass die Inflation in den USA immer noch bei 8,2 Prozent liegt.
Abbildung 1: Leitzinsverlauf auf Basis des CME FedWatch Tools
Quelle: CME Group (2022), eigene Darstellung
Ein Großteil der Finanzmarktteilnehmer erwartet eine Verlangsamung der geldpolitischen Straffung aufgrund einer sich abzeichnenden Abschwächung der amerikanischen Konjunktur. Das Wachstum der Konsumausgaben ist von 12,0 Prozent Anfang dieses Jahres auf zuletzt 8,2 Prozent gefallen. Die steigenden Zinsen incentivieren Haushalte zum Sparen und machen Konsum wesentlich unattraktiver. Das könnte sich auch schon bald in der Preisentwicklung widerspiegeln. Der BIP-Deflator fiel bereits im 3. Quartal von 9,1 auf 4,1 Prozent, was auf einen sinkenden Inflationsdruck hindeutet. Dieser fungiert als Preisindex und wird berechnet als Quotient aus nominalem und realem BIP. Noch zeigt sich die amerikanische Wirtschaft relativ robust. Dies könnte sich aber schon bald ändern, sollte die Fed die Zinsen weiter radikal anheben. Um nicht Gefahr zu laufen eine schwere Rezession auszulösen, muss die Notenbank gegebenenfalls ihr Tempo anpassen und vom Gas gehen!